09.05.2010
Aufmarsch der Gotteskrieger
Ehud Barak mag es luxuriös. In Tel Aviv gehört ihm ein 485-Quadratmeter-Appartement im 31. Stock der feudalen „Akirov Towers“. Wenn der israelische Verteidigungsminister bei wolkenfreiem Wetter aus dem Fenster schaut, sieht er das strahlend blaue Mittelmeer. In der vergangenen Woche wurde der Panoramablick allerdings gestört.

Als Antwort auf die Zerstörung von sechs Häusern in der Siedlung Shavei Shomron, die Barak angeordnet hatte, setzen ihm die betroffenen Siedler Steine vor den Hauseingang – die Trümmer ihrer vormaligen Wohnungen. Daneben stand geschrieben: „Barak, Minister der Zerstörung, hoffentlich wird auch dein Haus bald zerstört sein.“ Eine klare Botschaft. Eine Kampfansage an den Ex-General.
Das „Siedlungskomitte Samaria“, das die neuerliche Protestaktion organisiert hatte, führt seit Jahren einen Kleinkrieg gegen Ehud Barak. Er ist das Feindbild der Religiösen und Rechten, steht er doch – wie kaum ein anderer – für die vorherrschende, aschkenasische Polit- und Militärelite, die im Land das Sagen hat und sich zum Großteil aus der aussterbenden, links-säkularen Kibbuzbewegung rekrutiert. Diese Vormachtstellung jedoch scheint langsam zu schwinden. Besonders deutlich wird das an den Konflikten zwischen dem engstirnigen Barak und den sturköpfigen Siedlern. Der Verteidigungsminister hat seit seinem Amtsantritt beinahe wöchentlich Auseinandersetzungen mit Rabbinern, die den sogenannten Hesder-Yeshivot vorstehen. In diesen Thoraschulen absolvieren Religiöse ein fünfjähriges Studium kombiniert mit einem 16-monatigen Wehrdienst. Diese Schulen werden zum Teil von Steuergeldern der Säkularen finanziert – und stellen gleichzeitig den geistlichen Grundpfeiler der nationalreligiösen Bevölkerung im Land dar, die den Staat Israel als biblische Verheißung Gottes betrachtet und deswegen im biblischen Kernland Judäa und Samaria siedelt.

Die Rabbiner dieser Thoraschulen haben sich in der jüngeren Vergangenheit gegen Entscheidungen Baraks gewehrt, illegale Außenposten in der Westbank von Armeeeinheiten zerstören zu lassen. Als der Verteidigungsminister im vergangenen Dezember die Räumung einiger Außenposten ankündigte, folgte die Antwort aus dem religiösen Lager prompt.

Der Leiter der Thoraschule Har Bracha, Rabbi Elieser Melamed, sagte: „Die Räumung biblischen Landes ist von Gott verboten, daher empfehle ich Soldaten, bei Räumungen den Gehorsam zu verweigern.“ Trotz mehrerer Warnungen aus dem Verteidigungsministerium weigerte sich Melamed, seine Meinung aufzugeben und Ehud Barak zu treffen, der deshalb die Zusammenarbeit mit Melamdes Thoraschule beendete. Rabbiner anderer Hesder-Thoraschulen schrieben daraufhin eine gemeinsame Erklärung, in der es hieß, die Loyalität zum Gesetz Gottes und der Thora stehe immer über anderen Loyalitäten – sei es gegenüber dem Staat oder der Armee. Ein Teil ihrer Schüler, die Soldaten Baraks, weigerten sich die betreffenden Siedlungen zu räumen. Die Anzahl der Befehlsverweigerer könnte in den nächsten Jahren weiter zu nehmen, da aus den Reihen der religiösen Siedler immer mehr Absolventen die Offizierslehrgänge der Elite-Einheiten besuchen.
Barak steckt in einer Dilemma-Situation: Noch sind die Befehlshaber und Offiziere der israelischen Streitkräfte meist Kinder der säkularen Gründergeneration, so wie er. Sie sind die Herren des Landes, denen es aber an Nachkommen mangelt, denn aus den Reihen der Kibbuzim kommen immer weniger Offiziersanwärter. Das durch ihren allmählichen Rückzug aus der Armee entstandene Vakuum wird mehr und mehr von gläubigen Jugendlichen der Siedlerbewegung gefüllt, die zuerst als Rekruten und später als Reservisten dienen. Aus ihren Reihen kamen die Demonstranten vor Baraks Appartement und aus ihren Reihen kommen die Befehlsverweigerer, die sich dagegen wehren, völkerrechtswidrig errichtete Siedlungen und Außenposten in der Westbank zu räumen. Der Aufmarsch der Gotteskrieger scheint unaufhaltsam.