Die Jury des Internationalen Filmfestivals von Cannes vergibt morgen die „goldene Palme“, einen der wichtigsten Preise, die es für Regisseure weltweit zu gewinnen gilt. In den vergangenen Tagen wurden an der Cote d’Azur Filme aller Genres gezeigt: Da ritt Russel Crowe in Strumpfhosen durch den Sherwood Forrest, Michael Douglas spielte im zweiten Teil von Oliver Stones „Wall Street“ den geläuterten Gordon Gecko und Sean Penn brillierte im CIA-Streifen „Fair Game“. Daneben gab es aber auch einige Filme aus der arabischen Welt, die zwar nicht mit Hollywood-Stars besetzt waren, dafür aber umso mehr die Anforderungen erfüllen, die zum Gewinn der Trophäe notwendig sind.
Kreislauf aus Gewalt und Gegengewalt
„Wir wollen Filme, die uns berühren“, sagte der Jury-Vorsitzende Tim Burton. Und genau das schaffte beispielsweise Rachid Boucharebs Wettbewerbsfilm „Hors la Loi“. Das Widerstandsepos, erzählt von drei unterschiedlichen Brüdern aus Algerien, die es in den 50er Jahren nach dem Algerien-Krieg gen Paris verschlägt und die dort den Widerstand gegen Frankreich organisieren. Die internationale Presse überschüttete Bouchareb mit Lob, dafür, dass er kein glorifizierendes Heldenbild auf die Leinwand projezierte, sondern sich kritisch mit dem Widerstand im Kreislauf aus Gewalt und Gegengewalt auseinandersetzte.
Diese Meinung teilten jedoch nicht alle: Rechte Gruppierungen und Veteranen hatten im Vorfeld der Aufführung gegen den Film mobilisiert, warfen ihm Geschichtsverfälschung in Bezug auf den Algerienkrieg vor und demonstrierten gestern noch unter hohem Polizeiaufgebot während der Filmvorführung in der Nähe des Festivalpalais.
Das leichte Schlagen der Wellen im Swimmingpool
Mahamat-Saleh Harouns Film „Un homme qui crie“ sorgte weniger für politischen Zündstoff, wurde aber ebenso von den Kritikern gelobt. Vor dem Hintergrund des Bürgerkriegs im Tschad erzählt er das persönliche Drama eines Vaters, der von seinem Posten als Schwimmmeister in einem Hotel der Hauptstadt N’Djamena entlassen wird, sich verloren und nutzlos fühlt, auch weil sein Sohn von der Armee zwangsrekrutiert wird und die Familie zerrissen ist. In Cannes war man sich einig, dass Mahamat-Saleh Haroun Realitäten zeige, die berühren. Sein Film sei ruhig und leise, begleitet vom leichten Schlagen der Wellen im Swimmingpool und des langsamen Flusses, der die Toten und die letzten Hoffnung davonträgt, in einem Land, das im Bürgerkrieg versinkt.
Nachgeben oder standhalten?
In eine ähnlich gewalttätige Welt inszenierte Xavier Beauvois „Des hommes et des dieux“, einen Film, der als heißester Anwärter auf die goldene Palme gilt und auf einer wahren Begebenheit beruht. Das Drama zeigt sieben Zisterziensermönche im Frühjahr 1996, die aus aus ihrem Kloster im algerischen Tibhirine als Geiseln verschleppt wurden. Beauvois erzählt in seinem Film, die Vorgeschichte der Entüfhrung und Tötung: Von der ersten Glaubensprüfung, die die Mönche bestehen müssen, als das Kloster von Rebellen heimgesucht wird und davon wie die Geistlichen sich trotz des Schreckensereignisses in gemeinsamer Selbstbefragung zum Bleiben entschließen, was ihren Tod bedeutet.
„Wie das geschieht, von äußerer Herausforderung zu innerer Prüfung, ist in jedem Augenblick durchsichtig – und grandios aufregend“, urteilt die ZEIT. Der Film enthalte viel mehr Gedanken aus Nathan der Weise als Werbung für das Christentum. Er zeige nur eine verschworene Gemeinschaft bei dem Versuch, inmitten einer entfesselt gewalttätigen Welt den Glauben an die Vernunft zu bewahren.