Sir Shimon Peres – so darf sich Israels Präsident nennen, seit ihn die Queen 2008 in den Ritterstand erhoben hat. Aber viel wichtiger als das Große Kreuz des Ordens vom Heiligen Michael und Georg dürfte ihm der Friedensnobelpreis sein, den er 1994 zusammen mit Yassir Arafat und Yitzak Rabin erhalten hat. Der 84-Jährige aber ist nicht nur Friedenspolitiker, sondern auch Nationalist. Das jedenfalls versucht die israelischen Historikerin Tamar Amar-Dahl, die seit 1996 in Deutschland lebt, in ihrer jüngst erschienenen Dissertation zu belegen – und es gelingt ihr. Auf 464 Seiten arbeitet die Dozentin der Humboldt-Universität das Profil eines Mannes heraus, der zu den kontroversesten Figuren der israelischen Geschichte gehört.
1923 wird der „ewige“ Politiker im jüdischen Schtetl Wischnewa als Shimon Persky geboren, wandert 1935 nach Palästina aus, wird dort in der gewerkschaftlichen Jugendbewegung aktiv und schließt sich schließlich der „Haganah“ (zu dt.: Verteidigung) an – ein typischer Vertreter der sozialistisch-aschkenasischen Gründungselite, könnte man meinen. Aber sein Werdegang unterscheidet sich von all den Rabins, Sharons und Dayans – er kämpft nicht: Zumindest nicht auf den Schlachtfeldern des Unabhängigkeitskrieges 1948. Seine fehlende Kampferfahrung ist seine Schwäche und Stärke zugleich: Er wird zum Strategen, dem politischen Strippenzieher hinter den Kulissen des damals noch jungen Staates. Noch während des Unabhängigkeitskrieges ist er die rechte Hand Ben Gurions und zusammen mit Teddy Kollek, dem verstorbenen ehemaligen Bürgermeister Jerusalems, für die Waffenbeschaffung der entstehenden Armee zuständig. 1950 dann verlässt er „sein Land“, studiert in Harvard Verwaltungswissenschaften, um zwei Jahre später stellvertretender Generaldirektor des Verteidigungsministeriums und 1953 sogar Generaldirektor zu werden. Er sorgt dafür, dass das Verteidigungsministerium eine Hegemonialstellung in der israelischen Politik einnimmt – er der Friedenspolitiker.
Der „zweite Mann“ des Zionismus
Amar-Dahl zeichnet die Widersprüchlichkeit der Person Peres haarscharf nach und – das ist das Besondere an dieser deutschen Publikation – geht auf seine zionistische Weltsicht ein. Die wissenschaftliche Akribie mit der sie den Zionismus-Begriff analysiert und bewertet, ist hierzulande kaum Gegenstand der Debatten und Kommentare, obwohl sie so wichtig ist für das Verstehen Israels – und Shimon Peres. Denn wer „die einzige Demokratie des Nahen Ostens“ versuchen zu verstehen will, muss sich mit dieser Weltanschauung beschäftigen. Peres ist der letzte lebende Zionist, der den Staat mitgegründet und aufgebaut hat. Sein politischer Werdegang erzählt die Geschichte der Durchsetzung des Zionismus – und seines Scheiterns, wie Amar-Dahl meint. Deshalb legt die Autorin in verschiedenen Kapiteln Peres’s Verständnis von Krieg und Frieden, Palästinensern und Israelis, Militär, Presse und Parteienlandschaft dar und zeigt, dass Peres Drang, ein politisches Amt auszuüben, seine gesamte Laufbahn durchzieht.
Schimon Peres war 48 Jahre lang Mitglied der Knesset. Er zwar zwei Mal Ministerpräsident, zwei Mal Vize-Ministerpräsident, Außenminister, Verteidigungsminister, Minister für Einwanderung und Integration, Minister für Transport und Kommunikation, Informationsminister, Chef der israelischen Arbeiterpartei, Vize-Präsident der Sozialistischen Internationalen und vieles mehr. Heute, 62 Jahre nach der Staatsgründung , ist er immer noch Politiker, diesmal als Präsident des Landes.
Er prägte das zionistische Projekt, die israelische Politik und Geschichte seit den 50-er Jahren wie kein anderer, trotzdem – und das ist das spannend-paradoxe – „bleibt sein eigentlicher politischer Beitrag weitgehend verborgen“. Er hat sie alle überlebt: die Politikergrößen seiner Generation und war dennoch immer nur der zweite Mann des Zionismus. An Ben Gurion kam er nie ran, als Verteidigungsminister verblasste er im Vergleich zu Dayan, ebenso zu Rabin und auch die „Söhne der Pioniere“, Barak und Netanyahu, standen mehr im Rampenlicht, als er. Und doch hat er sie alle und die politische Kultur Israels geprägt: Er, der Vater der israelischen Atomstreitmacht und Zivilpolitiker. Shimon Peres verkörpert das politische Ringen um Sicherheit und Legitimität des jüdischen Staates – und doch steht der „Mann des Friedens“ für „Israels Tragik der Friedensunfähigkeit“. Denn aus seiner ausgestreckten Hand wurde allzu oft eine geballte Faust, wie die Autorin zeigt, wenn sie über seine Einstellung zur „Palästinenserfrage“ schreibt. Diese Widersprüchlichkeit seiner Biographie, macht die wissenschaftliche Kost zu einem Leckerbissen.
Friedenspolitiker und Nationalist
Das Buch zeigt viele unbekannte Seiten des Friedenspolitikers und Nationalisten, so beispielsweise auch, wie Peres enge Bande mit führenden Journalisten knüpft, um sie mit Exklusivmaterial zu versorgen, damit sie wiederum keine unliebsamen Berichte über den Ritter aus Wischnewa schreiben.
Die Details dieser intellektuellen Biografie sowie die differenzierte Auseinandersetzung mit seiner Person, und damit auch der politischen Kultur Israels sowie der Nahost-Konfliktes, lassen die Veröffentlichung so wertvoll werden. Einen Schwachpunkt allerdings hat das Buch: Die Rolle, die Peres’ bei der jüdischen Besiedlung der Westbank spielte, wird angeschnitten, aber nicht ausgeführt. Ebenso ist der Leser überrascht, wenn mit seinem Wechsel in die Kadima-Partei 2005 und seiner Wahl zum Staatsoberhaupt 2007 das Buch abrupt endet. Schließlich haben sich durch die Wahl Benjamin Netanyahus und Barack Obamas die Friedens-Bedingungen im Nahen Osten wieder verändert.
Trotz dieser Schwächen ist dieses Buch ein Meilenstein innerhalb der deutschen Veröffentlichungen mit Nahost-Bezug, da es nicht nur für wissenschaftliche Kreise geschrieben ist und doch diesem Anspruch mehr als gerecht wird. Oder wie Moshe Zuckermann, Professor für Geschichte und Philosophie an der Universität Tel Aviv, im Vorwort schreibt: „Die sorgfältige Lektüre verschafft Einblicke und Einsichten, die auch den kompetentesten Leser bereichern dürfte.“