20.04.2010
Der steinige Weg zur Gleichberechtigung: Zur Situation der Kurden in der Türkei

von Janina Urban

Welche vorrangige Bestrebung der türkische Ministerpräsident Recip Tayyip Erdoğan hatte, als er im Mai 2009 im Rahmen einer „demokratischen Öffnung“ mehr Rechte für Kurden ankündigte, wird immer deutlicher: Nicht die Lösung des seit Staatsgründung andauernden Konflikts zwischen dem türkischen Staat und seiner kurdischen Minderheit scheint sein Motiv gewesen zu sein, sondern der Erhalt seiner Macht. Dieser Eindruck ergibt sich zumindest mit Blick auf die von der regierenden „Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung“ (AKP) eingebrachte Initiative für eine Verfassungsreform und dem teils unsensiblen Vorgehen Erdoğans bei seinen „Kurdeninitiativen“.

Zunächst war die Regierungsübernahme der AKP im Jahr 2002 ein positives Signal für die Kurden, da diese moderat-islamistische Partei nicht so stark wie ihre kemalistischen Gegenspieler mit türkischem Nationalismus mobilisiert, sondern stattdessen die gemeinsamen muslimischen Wurzeln im sunnitischen Islam betont, den auch die Mehrheit der Kurden teilt. Im Rahmen der „demokratischen Öffnung“ von 2009 kündigte Erdoğan an, dass Städte im Kurdengebiet wieder ihren kurdischen Namen erhalten dürften, und dass die kurdische Sprache in den Massenmedien, im Wahlkampf, in Gebeten und als Unterrichtssprache in Schulen und Universitäten erlaubt würden.

Dann rief Erdoğan im Oktober 2009 als Zeichen der Versöhnung alle PKK-KämpferInnen, die nicht in Verbrechen verwickelt gewesen sind, dazu auf, aus den PKK- und Flüchtlingslagern in ihre Heimat zurückzukehren. Eine erste Gruppe von 34 Leuten kehrte tatsächlich zurück und wurde von einer großen Menschenmenge wie Helden empfangen.

Obwohl eine Rückkehr nach Artikel 221 des Strafgesetzbuches schon lange straffrei möglich möglich gewesen ist, erregte die laute Ankündigung Erdoğans große Aufmerksamkeit. Die Szenen lösten aber große Empörung bei vielen Türken aus, sodass Experten der AKP keine Wiederholung ihrer letzten Wahlerfolge mehr zutrauen.

Die zahlreichen Morde und Anschläge, für die die PKK verantwortlich ist, haben Hass und Wut in der türkischen Bevölkerung ausgelöst. Deren Forderung nach einem eigenen kurdischen Staat gilt bis heute als aktuell und ein Dialog mit der PKK ist für die meisten Türken daher absolut inakzeptabel.

Bereits 1993 signalisierte die PKK erstmals Kompromissbereitschaft in ihrer Forderung nach einem eigenen Staat. Außerdem forderte der PKK-Führer Abdullah Öcalan im Dezember 1994, auf einem Treffen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), dass der Westen zwischen den Türken und der PKK vermitteln sollten. Die türkische Regierung lehnte diesen Vorschlag ab und bezeichnete den vermeintlichen Sinneswandel als Trick. Erdoğans medienwirksame Initiative bekräftigte nun viele Türken in ihrer ablehnenden Haltung gegenüber Zugeständnissen an die Kurden.

Der konservative kurdische Intellektuelle Altan Tan hat wohl recht, wenn er sagt, dass die “übertriebenen“ Feiern bei der Rückkehr der PKK-KämpferInnnen ein Fehler der AKP und Erdoğans gewesen seien und kritisiert dabei die Reihenfolge seiner Politikschritte: „Zuerst muss der Demokratisierungsprozess abgeschlossen werden. Zweitens müssen gute Beziehungen zum [kurdischen] Nordirak aufgebaut werden. Und erst wenn die ganze Gesellschaft verstanden hat, dass der Prozess nicht zur Teilung des Landes führt, dann kann man über die Rückkehr dieser Leute reden “. Aber bietet die aktuell zur Diskussion stehende Verfassungsänderung vielleicht eine Chance, den Kurdenkonflikt zu entschärfen?

Das Verfassungspaket, das eine Arbeitsgruppe der AKP Ende März 2010 vorstellte, sieht unter anderem vor, Parteiverbote nur mit Zweidrittelmehrheit des Parlaments wirksam zu machen und einen Rechtsweg gegen Entscheidungen des Hohen Rats der Richter, der Staatsanwälte und des Hohen Militärrats zu ermöglichen. Die Aufhebung der Zehnprozenthürde, für die sich die Nachfolgepartei der im Dezember 2009 verbotenen DTP, die „Partei für Frieden und Demokratie“ (BDP), stark gemacht hatte, wurde nicht berücksichtigt. Dieser Schritt hätte eine elementare Veränderung dargestellt, um eine Grundlage zur Lösung des Konflikts zu schaffen. Anstatt wie bisher mit unabhängigen Kandidaten anzutreten, hätten sich durchaus kurdische Programmparteien gründen können, um den Kurden eine differenzierte Stimme zu verleihen. Eine etablierte kurdische Partei könnte dann auch ein Dialogpartner für alle anderen Parteien darstellen.

Die Erschwerung des Parteiverbots hingegen leistet wenig Anreiz, nun dem politischen System zu vertrauen und darin zu agieren. Als Minderheit ohne Minderheitenrecht können kurdische Parteien weiterhin nur schwer gegen die anderen Stimmen im Parlament ankommen. Die vorgeschlagene Verfassungsänderung würde also vor allem der AKP helfen, ein Parteiverbot gegen sie selbst zu erschweren.

Ohne Zweifel hat die AKP mit ihrer Politik reelle Fortschritte für Kurden erreicht. Weitere grundlegende Schritte wie das Senken der Zehnprozenthürde und ein klarer Dialog über die Ziele in der Kurdenpolitik sind aber ausgeblieben. Ohne eine wirkliche Demokratisierung kann es noch öfter zu solchen Vorfällen kommen, die Kurden als separatistisch brandmarken und die Fronten damit weiter verhärten.

Die internationale Gemeinschaft sollte daher erstens einen Dialog zwischen der türkischen Regierung und den Kurden begleiten und eine Art Roadmap aufstellen. Das würde zu Konsistenz und Erwartungssicherheit beitragen, anstatt die Kurden weiter der Willkür der jeweiligen Regierung zu überlassen. Doch Europa engagiert sich in der Lösung dieses Konflikts viel zu wenig, obwohl die türkische Minderheitenpolitik in den Beitrittsverhandlungen stets kritisiert wird.

Zweitens muss diese Demokratisierung aber auch eine Aufarbeitung der Assimilationspolitik des türkischen Staates beinhalten, da sonst jegliche Schritte zu mehr Rechten für Kurden mit Unverständnis oder Wut aufgenommen werden.

Janina Urban studiert Politik und Wirtschaft an der Universität Münster und hat diesen Beitrag im Rahmen des Seminars "Islamistische Bewegungen in Nahen Osten" verfasst.