04.05.2010
Interview mit dem Präsidenten der Green Party of Lebanon, Philippe Skaff

In diesen Tagen herrscht wieder Wahlkampf im Libanon. Doch im Gegensatz zu den aufgeheizten Parlamentswahlen laufen die Kommunalwahlen für libanesische Verhältnisse ausgesprochen friedlich ab. Doch obwohl Sachfragen auf Stadtteilebene im Vordergrund stehen, haben wieder einmal eigentlich nur die Politiker der etablierten, konfessionalistischen Parteien eine realistische Chance in die Bezirksverordnetenversammlungen einzuziehen. Unabhängige Kandidaten haben es schwer – die junge grüne Partei des Libanon versucht es trotzdem – mit ökologischen Schwerpunkthemen, die zwar viele Wähler interessieren, aber noch kaum mobilisieren. Alsharq sprach mit dem Präsidenten der Green Party of Lebanon, Philippe Skaff, über die Hürden des Parteiensystems, die Umweltprobleme des Libanon, ökologisches Bewusstsein und erste Erfolge.

Alsharq: Herr Skaff, wie lange gibt es die Grüne Partei im Libanon schon und wie viele Mitglieder hat sie bisher gewinnen können?

Philippe Skaff: Eigentlich sind wir schon seit 2004 offiziell als politische Partei registriert. Aber erst vor zwei Jahren, seitdem Ziad Baroud Innenminister ist, haben wir auch die Erlaubnis bekommen, unsere politische Arbeit aufzunehmen. Inzwischen haben sich uns etwa 1.400 Menschen angeschlossen. Die meisten kamen einfach auf uns zu, wirklich aktiv rekrutiert haben wir nicht. Der Großteil unserer Mitgliedschaft sind junge Leute im Alter von 21 bis 40 Jahren, die sich auch schon vorher für ökologische Themen interessiert haben. Außerdem ist unsere Anhängerschaft sehr gut ausgebildet, etwa 86% sind Universitätsabsolventen, viele davon in technischen Berufen, die uns mit ihrer Sachkompetenz extrem weiterhelfen.

Wie haben die etablierten Parteien auf ihre Neugründung und die Entwicklung der letzten beiden Jahre reagiert?

Die waren am Anfang vor allem verwirrt, weil sie uns nicht einordnen konnten, schließlich haben wir ja keine ideologische Agenda und unsere Anhängerschaft ist konfessionell bunt gemischt. Feindlich war man uns nicht gesinnt und inzwischen akzeptiert man uns als Teil der politischen Landschaft. Wir sind auch auf die Parteien zugegangen und haben ihnen unsere Themen und Vorschläge nahegebracht und auf einer pragmatischen Ebene sind sie dafür auch durchaus empfänglich.

Wie würden Sie sich denn inzwischen in der libanesischen Parteienlandschaft positionieren?

Wir schätzen uns schon realistisch ein, aber haben vor allem eine langfristige Vision. Gerade was Umweltthemen angeht, sind wir der Zeit schon voraus. Im Moment ist libanesische Politiklandschaft für einen ökologischen Diskurs noch nicht bereit, doch das beunruhigt uns nicht. In Europa hat es auch fast zwanzig Jahre gedauert, bis sich grüne Politik etablierte.

Wie steht es denn um die ökologische Situation des Libanon und gibt es so etwas wie eine offizielle Umweltpolitik?

Wir befinden uns in einer fast apokalyptischen Lage, denn die Umwelt leidet unter rapider Degradation. In den letzten Jahren lag die Priorität stets auf sicherheitspolitischen Themen, um die Umwelt kümmerte sich niemand in der Regierung. Wie auch? Der Staat ist kaum handlungsfähig und die Bürokratie hochkorrupt. Deshalb müssten wir eigentlich auf den Privatsektor bauen, der aber wiederum äußerst liberal verfasst ist. In Umweltfragen steht deswegen das öffentliche Interesse oft im Gegensatz zum liberalen Prinzip der libanesischen Wirtschaft.

Wie gestalten sich die Probleme, eine Umweltpolitik durchzusetzen, konkret?

Am gravierendsten ist die chaotische Organisation, es fehlen klare Kompetenzbereiche und vor allem Expertise. Außerdem ist das Umweltministerium viel zu klein und hat kaum Finanzmittel zur Verfügung. Wenn etwas Vielversprechendes beschlossen wird, versinkt es oft im Sumpf der Bürokratie. Außerdem ist Privateigentum im Libanon heilig, so dass Maßnahmen schon von vorneherein kaum greifen können. Ein ganz konkretes Problem sind zum Beispiel Steinbrüche in den libanesischen Bergen, von denen die meisten illegal betrieben werden. Das liegt daran, dass es einfach keine effektiven Regulationsmechanismen gibt. Deswegen befürworten wir einen „Hands-on-approach“, also eine stärkere Regulierung. Vielleicht ist es sinnvoll, einige Schlüsselindustrien, die für den Raubbau an der Natur verantwortlich sind, wie etwa die Bauindustrie, zu nationalisieren.

Kann denn die libanesische Wirtschaft auch einen positiven Beitrag zum Umweltschutz leisten?

Theoretisch schon. Es gibt im Libanon eine Vielzahl von Unternehmen, die sich beispielsweise auf Erneuerbare Energien spezialisiert haben. Besonders Solarenergie hat sich in den letzten Jahren zum Wachstumsmarkt entwickelt. Aber es fehlt die Linie, es gibt keine kohärente Förderungsstrategie.

Ist denn ein ökologisches Bewusstsein, gerade was Erneuerbare Energien anbetrifft, vorhanden?

Grundsätzlich ist die libanesische Gesellschaft für ökologische Themen sehr aufnahmefähig, aber sie haben auch ganz alltägliche Probleme. Der Staat schafft es nicht mal, uns mit Energie zu versorgen, der staatliche Stromkonzern „Électricité du Liban“ ist ein völlig marodes und ineffektives Unternehmen. Aus diesem Grund sind viele Libanesen gezwungen, umweltschädliche Generatoren zu benutzen. Es gibt ein Bewusstsein für die Problematik, aber der Staat hinkt hinterher und der Bevölkerung fehlen oft die Mittel, um etwas zu verändern.

Ist denn die Tourismusindustrie, die ja auch von der landschaftlichen Schönheit des Libanon zehrt, an einer umweltfreundlichen Politik interessiert?

Eine wirkliche Tourismusindustrie gibt es in dem Sinne im Libanon doch kaum. 80 bis 90 Prozent der Leute, die hierher kommen sind Touristen aus den Golfländern oder Auslandslibanesen. Die kommen in den Libanon, um sich zu amüsieren, und weniger wegen der schönen Landschaft. Die Kriege der letzten vierzig Jahre bedeuteten für die libanesische Natur einen riesigen Rückschritt. Der Öko-Tourismus ist ein guter erster Schritt, dem entgegenzuwirken, aber auch hier fehlt wieder eine klare Linie. Zudem braucht Öko-Tourismus Infrastruktur in ländlichen Gegenden, wohingegen der Tourismus im Libanon bisher sehr in Beirut konzentriert ist. In einer idealen Welt wäre der Libanon eigentlich ein einziger, vielfältiger Park, denn jedes Dorf hat sein eigenes Öko-System. Unser größter Feind, zu dem leider auch die Hotelbauten der Tourismusindustrie beitragen, ist die zunehmende Urbanisierung, die auch auf das Land umgreift und droht, bestehende Öko-Systeme im ganzen Land zu zerstören.

Steht die Green Party of Lebanon eigentlich mit den grünen Parteien in Europa in Kontakt und gibt es in den umliegenden arabischen Staaten vergleichbare Parteien wie Ihre?

Ja! Wir unterhalten sehr enge Beziehungen zu den europäischen Grünen, besonders in Frankreich und Deutschland. In den letzten Jahren kamen schon einige Delegationen aus diesen Ländern in den Libanon, im Falle der deutschen Grünen arbeiten wir auch mit Heinrich-Böll-Stiftung zusammen. Was die regionale Umgebung anbetrifft, so sind wir hier die einzige grüne Partei im Nahen Osten. Das liegt vor allem daran, dass die meisten arabischen Staaten autoritäre Regime sind, in denen solche Parteigründungen oft gar nicht möglich sind. Aber es gibt dort schon umweltbewusste Aktivisten, nur haben die ganz andere ökologische Probleme als wir im Libanon. Die größte Gefahr für die umliegenden arabischen Staaten stellt die Desertifikation und die Zukunft der Wasserversorgung dar, während im Libanon die wilde Urbanisierung die meisten Gefahren birgt.

Kann ihre Partei denn schon Erfolge in der Umweltpolitik verbuchen?

Wir haben ein paar hoffnungsvolle Projekte angestoßen, etwa das „Green River Project“. Der Beirut-Fluss, der bisher eine stinkende Kloake war, soll ökologisch wiederaufgewertet werden. Die Arbeiten haben schon begonnen. Die etablierten Parteien waren zunächst etwas perplex, weil wir diejenigen waren, die mit Lösungen kamen, aber inzwischen arbeiten wir mit ihnen bei diesem Projekt zusammen. Das „Green River Project“ wird noch Jahrzehnte in Anspruch nehmen, aber das ist ja genau unsere Philosophie: Wir pflanzen die Bäume für die Generation von morgen.

Könnte sich das schon bei den gerade stattfindenden Wahlen bezahlt machen?

Wir treten gerade zum ersten Mal mit eigenen Kandidaten zu Wahlen an. Immerhin rauschte es ein wenig im Blätterwald und generell wurde sehr wohlwollend über unsere Agenda und unsere Projektarbeit berichtet. Aber wir haben nicht wirklich Hoffnung, schon jetzt in großem Stile gewählt zu werden. Wir treten aus Prinzip an und lassen uns natürlich auch gern überraschen.