22.03.2010
Die Rolle der Bourgeoisie in Saudi-Arabien
Liebe LeserInnen,
Said Khalid Scharaf stellt im Folgenden seinen Artikel "Institutioneller Wandel und die Rolle der Bourgeoisie in Saudi-Arabien" vor, der kürzlich in Ulrike Freitags Aufsatzband "Saudi-Arabien: Ein Königreich im Wandel?" erschienen ist. 
 
Wer regiert eigentlich in Saudi-Arabien? Die Antwort auf diese Frage scheint so offensichtlich, dass ihr selten nachgegangen wird. Als absolute Monarchie hat der König natürlich die absolute Autoriät inne. Aber wie genau kommen seine Entscheidungen zustande? Der Begriff "Realpolitik" trifft es in diesem Fall recht genau. Nicht nur in demokratischen Systemen, auch im Falle des saudischen Königreichs ist das Zustandekommen politischer Entscheidungen ein komplexer Prozess, und in beiden Fällen spielen Lobbygruppen eine wichtige Rolle.

Eine für Saudi-Arabien bisher vernachlässigte Lobbygruppe oder Interessengemeinschaft ist die saudische Bourgeoisie. Nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass es im Königreich nicht üblich ist über Besitzverhältnisse zu sprechen, ist ihr Einfluss kaum untersucht worden. Dass Verbindungen zwischen der politischen und der wirtschaftlichen Elite ungerne offen thematisiert werden, hat mit der informellen Natur dieser Verbindung zu tun.

Die Geschichte der saudischen Unternehmerschaft hat, wie so vieles in dem Land, mit den Einnahmen aus der Vermarktung von Erdöl begonnen. Im Gegensatz zu vielen anderen arabischen Staaten haben die rohstoffreichen Golfstaaten ihre Privatwirtschaft nicht verstaatlicht sondern eher gefördert. Außer in den erdölverarbeitenden Sektoren ist der private Sektor in Saudi-Arabien durch finanzkräftige und international agierende Unternehmen geprägt.

Der Einfluss der saudischen Bourgeoise wird in dem Artikel vor allem vor dem Hintergrund verschiedener polit-ökonomischer Elitemodelle analysiert. Dabei werden die in den letzten 15 Jahren entstandenen
wirtschaftspolitisch relevanten Institutionen als Zeichen für die Nähe zur politischen Elite verstanden. Vor allem dank des amtierenden Königs Abdallah, und seiner Förderung des Privatsektors, kann die Bourgeoisie auf politische Entscheidungen Einfluss nehmen wie kaum eine andere Gesellschaftsgruppe.

In dem Artikel werden sowohl formelle Formen der Interessenvertretung wie Industrie- und Handelskammern als auch informelle Patronagenetzwerke untersucht. Dabei interagieren formelle und informelle Wege der Einflussnahme. Die besondere Entwicklung der Bourgeoisie wird durch empirisches Material verdeutlicht, und die für die Möglichkeit der Einflussnahme besonderen Charakteristika der Unternehmerschaft herausgearbeitet.

Christoph ist studierter Islam-, Politik- und Geschichtswissenschaftler mit Fokus auf Westasien. Der Mitgründer von Alsharq - heute dis:orient - war zwischen 2011 und 2014 bei der Friedrich-Ebert-Stiftung und dem Willy-Brandt-Zentrum in Jerusalem tätig. In Berlin arbeitet er als Geschäftsführer für Alsharq REISE. Christoph hält regelmäßig...