Von Kathrin Hagemann
Die Richtung hat wieder einmal gewechselt im Tauziehen über die Definitionsmacht des Türkentums. Hatte die Regierungspartei AKP in den letzten Wochen unter dem Motto der „Öffnung“ die Versöhnung mit Armenien vorangetrieben, als tabuisiertes Kapitel der Republikgeschichte die Niederschlagung des kurdisch-alevitischen Aufstandes von Dersim 1938 thematisiert, eine exemplarische „freiwillige“ Entwaffnung einiger PKK-KämpferInnen organisiert und erste Gesetze zur freieren Verwendung der kurdischen Sprachen angekündigt, scheint besonders letztere Initiative nun überholt zu sein. Am vergangenen Freitag wurde die pro-kurdische Partei DTP durch das Verfassungsgericht verboten und 37 ihrer Mitglieder zu einem fünfjährigen Politikverbot verurteilt.
Während es bereits als typisch für die AKP bezeichnet werden kann, sich durch regelrechte Charmeoffensiven in Problemfeldern (nicht zuletzt derer, die vom Westen als solche definiert werden) zu profilieren, scheint die Rolle der kemalistischen CHP und der rechtsnationalistischen MHP vor allem darin zu bestehen, vor der antilaizistischen hidden agenda der AKP zu warnen, und ebenso verfassungskonform wie innovationsfrei ihren Einfluss in den Staatsinstitutionen zu verteidigen. Durch das Verbot der DTP, die mit 21 Abgeordneten im Parlament vertreten war, kommt es nun wieder einmal zu einer Déjà Vu-Situation: wie ihren Vorgängerparteien werden ihr Verbindungen zur PKK vorgeworfen, von der sie sich nie explizit distanzierte. Und wie bei früheren Parteiverboten steht mit der „Partei des Friedens und der Demokratie“ schon eine „Backup“-Partei bereit, die Ex-DTP-Mitglieder übernehmen könnte. Während eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte sich einige Tage nach dem Urteil bereits in Vorbereitung befand, wurde eine Erklärung veröffentlicht, nach der die 19 Abgeordneten aus dem Parlament ausscheiden wollen: „Sind wir Don Quichote? Wie sollen wir gemeinsam mit denen Politik machen, die die Auflösung unserer Partei bejubeln?“, wird die Fraktionsvorsitzende Gülten Kışanak zitiert.