22.12.2009
Iran - Zum Tod von Großayatollah Montazeri

Mit Großayatollah Hossein Ali Montazeri ist am Wochenende eine der interessantesten und widersprüchlichsten Figuren der Islamischen Republik Iran gestorben. Der 87-Jährige war seit zwei Jahrzehnten ein scharfer Kritiker der Islamischen Republik und ihres Obersten Führers Ali Khamenei. Der Theologe genoss breite Sympathien im Volk - sowohl unter älteren Iranern, die einst für die Islamische Revolution gekämpft hatten und später enttäuscht wurden, als auch unter den Studenten, die seit der Präsidentenwahl im Juni dieses Jahres offen das System in Frage stellen.

Jahrzehntelang war Montazeri ein treuer Gefolgsmann des iranischen Revolutionsführers Ayatollah Ruhollah Khomeini. Als dieser ins Exil gehen musste, war der 20 Jahre jüngere Montazeri einer seiner wichtigsten Verbindungsleute im Iran. Wegen seiner engen Beziehungen mit dem damaligen Staatsfeind Khomeini saß Montazeri von 1974 bis 1978 im Gefängnis.

Im Zuge der Islamischen Revolution im Iran wurde der Rechtsgelehrte zu einem Haupttheoretiker, die das System der zukünftigen Islamischen Republik entwarfen. Seine Ideen legte er in seiner Schrift „Dirasat fi Vilayat al-Faqih“ dar. Darin plädiert Montazeri für eine demokratische Staatsform, in der dem Obersten Rechtsgelehrten die Rolle eines Beraters für die Regierenden zukommt. Eine absolute Herrschaft des Obersten Rechtsgelehrten, wie sie später im Iran praktisch Wirklichkeit wurde, lehnte Montazeri ab.

1985 designierte ihn der Expertenrat zum Nachfolger Khomeinis an der Spitze des iranischen Staates. In den folgenden Jahren bis zum Tode des Revolutionsführers 1989 kam es jedoch zum Bruch mit dem Establishment. Zunächst forderte Montazeri die Zulassung von Parteien, wenig später rief er zu einer offenen Debatte über Fehlentwicklungen im post-revolutionären Iran auf. Anfang 1989 stellte er sich schließlich vollends gegen Khomeini. Nachdem dieser im Herbst 1988 hunderte politische Gefangene hinrichten ließ, erklärte Montazeri in einem Interview mit der iranischen Zeitung „Keyhan“ ziemlich unverblümt, dass Khomeini die Ideale der Islamischen Revolution verraten habe. Als er dann auch noch Khomeinis Fatwa gegen Salman Rushie mit den Worten kritisierte „Die Welt bekommt den Eindruck, dass es unsere einzige Beschäftigung im Iran ist, Menschen zu töten“, war Montazeris politisches Schicksal besiegelt. Im März 1989 enthob ihn Khomeini aller Ämter, drei Monate später starb der Revolutionsführer und sein Nachfolger wurde der nach religiösen Kriterien weit weniger qualifizierte Ali Khamenei.

Derweil begann in den Medien eine Säuberungsaktion nach stalinistischem Vorbild. Staatliche Zeitungen veröffentlichten Schmähartikel gegen Montazeri, sein Kopf wurde aus Bildern, die ihn zu Revolutionszeiten mit Khomeini zeigten wegretuschiert, der Regimekritiker wurde mundtot gemacht. Von 1997 bis 2003 stellte ihn Khamenei unter Hausarrest, weil dieser mehrfach die Qualifikation des Obersten Rechtsgelehrten für dieses Amt in Frage gestellt hatte.

Trotz allem blieb Montazeri bis zu seinem Tod eine kraftvolle Stimme der iranischen Opposition. Mehrfach kritisierte der Theologe die Politik von Präsident Mahmud Ahmadinejad, besonders die Wirtschaftspolitik und die kompromisslose Haltung in der Atom-Frage, die das Land zusehends isoliere. Nach der Präsidentenwahl vom 12. Juni 2009 und den anschließenden Protesten erklärte Montazeri, das iranische Regime sei weder islamisch noch republikanisch. Am vergangenen Samstag verstarb der 87-Jährige in seinem Haus in Qum.

Ali Khamenei kondolierte den Angehörigen auf seiner Internetseite. Dabei unterließ er es jedoch, Montazeri mit seinem richtigen Titel „Großayatollah“ anzureden, und beschränkte sich auf „Ayatollah“. Über seinen Bruch mit der Islamischen Republik schreibt Khamenei: „In der letzten Phase von Imam Khomeinis erfülltem Leben, durchlief er eine schwierige und folgenschwere Prüfung“. Aus Sicht des iranischen Establishments ist Montazeri bei dieser Prüfung durchgefallen.

Montazeris Beisetzung am Montag wurde zu einer weiteren eindrucksvollen Kundgebung der grünen Oppositionsbewegung. Auch deren beide Protagonisten, die unterlegenen Präsidentschaftskandidaten Mir Hossein Mussawi und Mahdi Karroubi nahmen an der Trauerfeier teil. Die Beerdigung wurde mehrfach von regierungstreuen Demonstranten gestört, die die beiden Oppositionspolitiker attackierten und Montazeris Rivalen Khamenei hochleben ließen.

Besondere Bedeutung erhält Montazeris Tod für die iranische Oppositionsbewegung dadurch, dass am Wochenende der islamische Trauermonat Muharram begonnen hat. Dieser ist besonders für schiitische Muslime von großer Bedeutung, weil der Überlieferung nach Imam Hossein in diesem Monat den Märtyrertod fand. An diesen Gründungsmythos des schiitischen Islam wird in wenigen Tagen mit dem Ashura-Fest erinnert. In der Islamischen Republik Iran ist dieser Trauertag Anlass für staatlich organisierte Demonstrationen. Doch schon vor wenigen Wochen hat die Grüne Bewegung im Iran anlässlich des „al-Quds-Tags“ bewiesen, dass sie in der Lage ist staatlich verordnete Kundgebungen zu unterwandern und gegen das Regime zu wenden. Wenn in den nächsten Tagen hunderttausende Demonstranten und Mussawi-Anhänger auf den Straßen von Teheran, Isfahan und Qom mit dem Ruf „Ya Hossein“ durch die Straßen ziehen, wird der Staat schwerlich etwas dagegen unternehmen können.