06.10.2009
Hamas-Führer Osama Hamdan im Interview mit Alsharq

Liebe Leser,
Am Montag, dem 12.10.2009 erscheint Ausgabe 03/09 von Zenith - Zeitschrift für den Orient in ausgewählten Kiosken und Buchläden. Im aktuellen Heft finden sich einige Beiträge der Alsharq-Autoren sowie eine Vielzahl interessanter wie abwechslungsreicher Artikel auf insgesamt 80 Seiten. Vorab veröffentlicht Alsharq einen Vorgeschmack auf das Heft in voller Länge: Unser Palästina-Experte Maximilian Felsch traf exklusiv für Alsharq und Zenith in Beirut den Repräsentanten der Hamas im Libanon, Osama Hamdan, und befragte ihn zu aktuellen Themen.

Herr Hamdan, im Januar 2006 nahm Hamas erstmals an Wahlen für den Nationalrat teil und gewann sie mit einem unerwarteten Erdrutschsieg. Wie würden Sie die allgemeine Lage der Hamas drei Jahre nach dem Wahlerfolg beschreiben?

Ich muss sagen, dass die Situation der Hamas unter den Palästinensern stärker wurde, trotz des Belagerungszustandes seit den Wahlen. Alles was gegen die Hamas in den letzten drei Jahren unternommen wurde, um ihren Wahlsieg und ihre Popularität zu untergraben, hat eine gegenläufige Reaktion ausgelöst. Die Palästinenser haben gemerkt, dass alles was von den USA, dem Nahostquartett, der israelischen Seite und Teilen der Palästinensischen Autonomiebehörde unternommen wurde, sich gegen ihren Willen richtete, sodass die Unterstützung [für die Hamas] stärker und stärker wurde. Ich glaube, dass sich das Leiden der Palästinenser in den drei Jahren stets vergrößerte.
Und verantwortlich dafür ist nicht allein die israelische Besetzung, sondern auch die internationale Gemeinschaft, die Israels Position gegen die palästinensische Demokratie unterstützt hat. Ich möchte hinzufügen, dass die Hamas nach drei Jahren als Widerstandsbewegung den Kampf gegen Israel in Gaza Anfang des Jahres gewonnen hat. Hamas hat ihre Fähigkeit unter Beweis gestellt, die Palästinenser zu führen, ihre Fähigkeit das Alltagsleben der Menschen zu regeln, auch wenn die Situation sehr schwierig ist.

Aber Sie sind daran gescheitert, für Sicherheit zu sorgen. Seit Sie die Wahlen gewonnen haben gab es blutige Kämpfe mit der Fatah 2007, einen Krieg mit Israel Anfang des Jahres und kürzlich Zusammenstöße mit radikalen Islamisten. Warum fällt es Hamas so schwer, für Sicherheit zu sorgen?

Ich denke wir konnten für mehr Sicherheit sorgen als irgendwer sonst. Die Kämpfe von 2007 waren eine Art militanter Angriff gegen die gewählte palästinensische Regierung, sie wurden geführt von einigen Fatah-Generälen und Sicherheitsleuten mit Unterstützung der US-Regierung. Sie haben verloren und konnten ihre Ziele nicht erreichen: die Demontage der Regierung und Revidierung des Wahlergebnisses. Man kann den israelischen Angriff nicht als ein Scheitern der Hamas darstellen, denn wir wissen alle, dass das palästinensische Volk immer noch unter israelischer Besetzung lebt und dass es seit über 45 Jahren angegriffen und getötet wird und dass seine Häuser zerstört werden. Daher kann ich nicht erkennen, dass es wegen der Hamas-Regierung einen Mangel an Sicherheit gibt. Der letzte Vorfall, der in Rafah passierte [die Kämpfe mit militanten Islamisten] zeigt gerade, dass Hamas sich um die Sicherheit der Menschen kümmert. Das Problem entstand, als diese Leute versuchten, das Gesetz in die Hand zu nehmen, was nicht akzeptiert wurde. Sie haben sich dazu entschieden, die eigenen Leute anzugreifen, und auch das ist nicht akzeptabel. Jeder, der im Gazastreifen lebt, versteht, dass die Sicherheitslage unter der jetzigen Regierung gut ist.

Die Hamas gilt selbst als eine islamistische Bewegung. Warum wird sie Ihrer Meinung nach von anderen Islamisten angegriffen?

Einige Hardliner glauben, dass die Demokratie im Gaza-Streifen nach drei Jahren Belagerungszustand nicht mehr funktioniert. Sie glauben, man könne allein mit dem Koran eine Gesellschaft ordnen, und versuchten, das gewaltsam durchzusetzen. Wir hatten gehofft, dass es nicht so weit kommen wird. Aber wenn wir die Kontrolle behalten wollen, muss jeder wissen, dass wir es ernst meinen.

Fühlen Sie in Gaza einen wachsenden Druck, das Alltagsleben der Menschen zu islamisieren und radikaler zu werden, seit Sie in Regierungsverantwortung sind?

Ich glaube im Allgemeinen, dass die palästinensische Gemeinschaft eine Gemeinschaft von Muslimen ist. Sogar die Christen fühlen sich als Teil dieser Gemeinschaft und fühlen sich nicht als Fremdkörper. Jeder hat seine eigene Religion. Religion zu praktizieren, als Muslim oder als Christ, hat meiner Meinung nach immer eine Wirkung auf das Alltagsleben. Wenn die Menschen also ihre Religion praktizieren ist das gut, aber die eigentliche Idee ist: Wir zwingen niemanden.

Aber Ihr Religionsministerium hat kürzlich eine so genannte Tugendkampagne gestartet, die ...

...die die Menschen zu einem Leben nach islamischen Regeln anleiten soll. Wir wollen niemanden zwingen, diese Ideen anzunehmen. Wir wollen beraten und überzeugen.Wenn sie [die Ratschläge] annehmen ist es gut, wenn nicht, dann ist es ihre Wahl. Also niemand zwingt irgendjemanden, eine Idee zu akzeptieren oder abzulehnen.

Wie steht es um die Verhandlungen mit der Fatah um eine Einheitsregierung?

Ein Treffen war für den 25. August geplant. Abu Mazen [Palästinenserpräsident und Führer der Fatah, auch Mahmud Abbas genannt] bat den ägyptischen Vermittler, das Treffen zu verschieben. Wir sagten, dass wir bereit seien für eine nächste Dialogrunde. In den nächsten Tagen und Wochen werden wir mit den Ägyptern an einem Vorschlag arbeiten, in der Hoffnung, dass die Fatah diesen akzeptiert.

Erwarten Sie eine Einigung noch vor den nächsten Wahlen, die für 2010 angesetzt sind?

Ich glaube wir müssen ein Abkommen unterzeichnen, weil dieses das Klima für die Wahlen bestimmen wird. Ohne Aussöhnung wird es keine Wahlen geben.

Kommen wir nun zu den Aussichten auf einen Gefangenenaustausch mit Israel. Es wurde berichtet, dass mit ägyptischer und deutscher Hilfe eine Vereinbarung erzielt wurde. Können Sie uns weitere Informationen darüber geben?

Ich kann nicht bestätigen, dass es eine Vereinbarung gab. Es gab hilfreiche ägyptische Bemühungen, die uns zu einer guten Einigung in den letzten Wochen von [Ministerpräsident Ehud] Olmerts Amtszeit führte. Aber, aus innenpolitischen Gründen wie ich denke, konnte Olmert den Prozess nicht zum Abschluss bringen. Daher haben wir ihn gestoppt. Seitdem gab es keine israelische Antwort auf den ägyptischen Vorschlag. Vor einigen Wochen hat Deutschland angeboten, die ägyptische Vermittlung zu unterstützen. Das wurde von Ägypten, der Hamas und von Israel akzeptiert. Es ist zu hoffen, dass sie [die Deutschen] Erfolg mit ihrer Unterstützung für Ägypten haben und dabei helfen können, den Gefangenenaustausch zu erreichen. Aber ich möchte keine Erwartungen wecken.

Warum wollen Sie [Fatah-Veteran]Marwan Barghouti für Schalit frei bekommen?

Nun, als wir begannen über einen Austausch zu sprechen, entschieden wir uns, dies nicht auf der Basis unserer Organisation zu tun. Wir haben erklärt, dass das eine nationale Angelegenheit ist. Also arbeiten wir daran, Gefangene frei zu bekommen, die gewisse Besonderheiten aufweisen. Wir entschieden uns, die Freilassung der Frauen, der Kinder und der Gefangenen, die eine bestimmte Zeit im Gefängnis saßen oder die eine lebenslängliche Haft verbüßen müssen, zu verlangen. Einige von ihnen haben ernsthafte Gesundheitsprobleme.
Wir kamen so auf 1000 Gefangene – von der Hamas, von Fatah, dem Islamischen Jihad und anderen Fraktionen. Marwan Barghouti war einer unter ihnen. Die Israelis haben auf Rat Abu Mazens versucht, diesen Namen auf der Liste zu verhindern. Aber wir haben deutlich gesagt, Marwan ist wie jeder palästinensische Gefangene, daher sollte er frei kommen.

Hier im Libanon erleben wir seit Wochen einen Austausch von Warnungen zwischen der Hisbollah und Israel. Erwarten Sie einen baldigen weiteren Krieg im Libanon?

Ich glaube, dass Israel entweder Gaza oder den Libanon zu einer bestimmten Zeit angreifen wird. Sie glauben, sie haben keine Wahl und sie wollen das politische Klima verändern. Aber sie haben auch Angst. Wir sind auf einen weiteren Misserfolg ihrer Armee vorbereitet. Und jeder weiß: Wenn das passiert, dann wird das den Widerstand mehr und mehr stärken. Und ich muss sagen, dass sie sich nicht mehr sicher sind über ihre Fähigkeiten, einen Krieg gegen den Widerstand zu gewinnen.

Osama Hamdan gehört zum Politbüro der Hamas und führt die Bewegung im Libanon an. Hamdan wurde 1965 in Gaza geboren, studierte in Jordanien Chemie und wurde 1994 zum Repräsentanten der Hamas im Iran berufen. Seit 1998 fungiert er als Repräsentant der Hamas im Libanon.