22.07.2009
Wahlen in Kurdistan: Erfolgsstory vor der Zerreißprobe? - Teil 2

Die anstehenden Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im irakischen Teil Kurdistans stehen ohne Zweifel ganz im Zeichen des schwelenden Konflikts um die Provinz Kirkuk. Dennoch sollte die innerkurdische Dimension nicht außer Acht gelassen werden, schließlich gehörte es zu den erklärten Zielen amerikanischer Politik - aber auch der kurdischen Autonomieverwaltung - ein Kurdistan aufzubauen, das nicht nur sicher und wirtschaftlich lebensfähig, sondern eben auch demokratisch sein sollte.

Nimmt man die diesjährigen Wahlen als Gradmesser dafür, bietet sich ein Besorgnis erregendes Bild: Im Zentrum stehen dabei die beiden dominanten kurdischen Parteien: die Kurdische Demokratische Partei (KDP) und die Patriotische Union Kurdistans (PUK). Deren Führer Massoud Barzani (KDP) und Jalal Talabani (PUK) waren über Jahrzehnte hinweg verfeindet, und lieferten sich einen blutigen Machtkampf um die Führerschaft der irakischen Kurden. Seit den Wahlen 2005 jedoch verbindet beide eine strategische Partnerschaft. Während Jalal Talabani das irakische Präsidentenamt übernahm, wurde Massoud Barzani vom kurdischen Parlament zum Präsidenten der kurdischen Autonomieverwaltung gewählt.

Das Übereinkommen beider Parteien bedeutete den Anfang der längsten friedlichen Phase in der modernen kurdischen Geschichte, brachte aber auch einige Nachteile, die im Vorfeld der nun anstehenden Wahlen offenbar werden. Zwar erlebte Irakisch-Kurdistan einen beträchtlichen wirtschaftlichen Aufschwung. Dieser erfasst jedoch nicht den Großteil der Bevölkerung und ist mehr denn je unter der Kontrolle der mächtigen Clans Barzani und Talabani. Weitverbreitete Korruption ist nur eine der Folgen der Monopolisierung von politischer und wirtschaftlicher Macht. Gerade im Vorfeld der Wahlen werden bereits Kritik und die bloße Nichtanhängerschaft von den beiden großen Parteien, die auch diesmal wieder gemeinsam als "Kurdistani List" antreten werden, bestraft.

Dementsprechend ungleich gestalten sich die Möglichkeiten zum Wahlkampf, schließlich, so der Vorwurf an beide Parteien, missbrauchen sie öffentliche Gelder und monoplisieren die Medien für die eigene Kampagne. Dennoch scheinen sie zurzeit besorgt um ihre Wiederwahl, nur so lässt sich die ungewöhnlich scharfe Drangsalierung politischer Gegner erklären. Der Grund dafür ist das Auftauchen einer neuen Oppositionsbewegung, die die Missstände in der kurdischen Regionalverwaltung öffentlich anprangert und vor einem Abrutschen in totalitäre Verhältnisse warnt.

Der Widerstand äußert sich dabei allerdings weniger in Form von Unterstützung für islamistische Parteien - zumindest nicht in dem Maße, wie es vielen anderen Ländern der Region zu beobachten ist. Die Herausforderung für Talabani und Barzani entspringt den eigenen Reihen, genauer gesagt, einer Abspaltung aus Talabani`s PUK. Nawshirwan Mustafa, Mitbegründer der PUK und über Jahrzehnte hinweg der zweite Mann hinter Talabani, trat 2006 aus Protest gegen die schleppende Bekämpfung von Korruption und Vetternwirtschaft aus der Partei. 2009 tritt er mit einer eigenen Liste an, die sich den mittlerweile populären Slogan "Change" (auf kurdisch "Gorran") auf die Fahne geschrieben hat.

Wie die Chancen von Mustafa's Liste stehen, das Monopol von KDP und PUK ernsthaft herauszufordern, lässt sich gegenwärtig selbst einige Tage vor den Wahlen nicht wirklich sagen, schließlich liegen bisher keinerlei repräsentativen Umfragen vor. Während KDP und PUK fest von einer Bestätigung ihrer Führungsrolle ausgehen, unterstreicht Mustafa die große Unzufriedenheit mit der ineffektiven Verteilung des neuen Wirtschaftsaufschwungs und den schwindenenden Rückhalt für die beiden dominanten Parteien in weiten Teilen der Bevölkerung.

So beschuldigt Mustafa beide Parteien im Vorfeld der Wahlen, sämtliche Angestellten der öffentlichen Verwaltung auf ihre Loyalität hin überprüft zu haben und alle Behörden, aber auch die Medien, in ihrem Sinne "säubern" zu wollen. Eine fast absurd anmutende Episode wird zudem aus Sulaymaniye überliefert, das seit einigen Wochen von gewalttätigen Auseinandersetzungen gebeutelt wird. Dort soll der gegenwärtige Verteidigungsminister Jafar Mohammad mit einem Mob getreuer Peshmerga-Kämpfer marodierend durch die Straßen gezogen sein. Mittlerweile wurde Strafanzeige gegen den Minister gestellt, ob das Verfahren jedoch zur Verurteilung führen wird scheint mehr als ungewiss.

Die Peshmerga stehen besonders in der Kritik von Mustafa`s "Gorran"-Liste. So sei es den letzten Jahren nicht gelungen, die ehemaligen Widerstanskämpfer erfolgreich in die Armee zu integrieren. Die Peshmerga, die offiziell dem Verteidigungsministerium unter Jafar Mohammad unterstellt sind, seien vielmehr zu Privatmilizen von Talabani und Barzani degeneriert und hätten viel von ihrem früherem Prestige bei der Bevölkerung eingebüßt.

Wenigstens in Einem sind sich die politischen Kontrahenten einig: und zwar in der Streitfrage Kirkuk. Grundsätzlich besteht nämlich auch Mustafa auf den Anschluss der ölreichen Provinz - allerdings argumentiert er, den kurdischen Standpunkt besser gegenüber der Regierung al-Maliki durchsetzen zu können.