Die Meldung schlug ein wie eine Bombe: Am Samstag veröffentlichte "Der Spiegel" auf seiner englischsprachigen Website einen Artikel, indem die Hizbollah beschuldigt wird, den ehemaligen libanesischen Ministerpräsidenten Rafiq Hariri ermordet zu haben. Der Bericht von Erich Follath löste im Libanon ein breites Echo aus und dominiert seither die Berichterstattung in den libanesischen Medien.
Follaths Enthüllungen, die auch im aktuellen Magazin veröffentlicht wurden, stützen sich auf die Aussagen nicht namentlich genannter Quellen aus dem Umfeld des Sondertribunals in Den Haag. Daneben habe der Autor Einsicht in interne Dokumente erhalten, die nicht genauer spezifiziert oder abgedruckt wurden.
In jedem Fall hat der Bericht das Potential die politische Landschaft im Libanon schwer zu erschüttern - besonders angesichts der Wahlen, die am 7. Juni anstehen. Aus diesem Grund haben die rivalisierenden politischen Lager im Libanon bislang äußerst zurückhaltend auf den Spiegel-Artikel reagiert. Walid Jumblatt, Führer der drusischen PSP und derzeit (noch) ein innenpolitischer Gegner der Hizbollah, erinnerte an die Ereignisse die zum Ausbruch des Bürgerkriegs 1975 geführt hatten und warnte, der Spiegel-Bericht könnte eine ähnliche Wirkung entfalten.
Diese Befürchtung scheint keinesfalls übertrieben und in der aktuellen Lage könnte jedes falsche Wort eines libanesischen Parteichefs die Lage jederzeit eskalieren lassen. Sollten sich die im Spiegel veröffentlichen Anschuldigungen gegen die Hizbollah bestätigen drohe ein neuer Bürgerkrieg, fürchten Analysten.
Bislang wird der Bericht in der libanesischen Presse weitgehend einhellig zurückgewiesen. Hinter der angeblichen Quelle stecke Israel, das mit dem Bericht für Unruhe im Libanon sorgen wolle. Einige Blätter sehen in Follaths Bericht eine Reaktion auf die angeblichen israelischen Spionage-Ringe, die in den letzten Wochen im Libanon enttarnt wurden.
Über die Glaubwürdigkeit des Spiegel-Artikels fällt es derzeit schwer, konkrete Aussagen zu treffen. In keinem Fall außer Acht sollten ältere Artikel Erich Follaths, in denen der Journalist kaum Zweifel daran ließ, dass Syrien für den Mord an Hariri verantwortlich sei. Man sollte jedoch auch davon ausgehen können, dass Follaths jetzige Quelle einigermaßen seriös ist, denn der Spiegel-Journalist dürfte sich der Auswirkungen seiner Geschichte bewusst sein. Auch für das Hamburger Nachrichtenmagazin steht einiges auf dem Spiel. Sollte sich der vermeintliche Scoop als Ente entpuppen, droht die Glaubwürdigkeit des Spiegel - gerade hinsichtlich der Nahost-Berichterstattung - schweren Schaden zu nehmen.
Einige Punkte in dem Bericht werfen jedoch Fragen auf - besonders die nach dem Motiv für den Mord: Die Behauptung, Rafiq Hariri sei auf dem Wege gewesen Hassan Nasrallah in puncto Popularität zu überflügeln, scheint jedenfalls sehr weit hergeholt. Dafür, dass der Multi-Milliardär als Gegenmodell zu Nasrallah an Beliebtheit gewann, gibt es keine Belege. Hariri war beliebt unter Sunniten; bei den Schiiten - und nur die dürften aus Sicht Nasrallahs interessant sein - war der Zuspruch für den Hizbollah-Generalsekretär ungebrochen, wie etwa die Demonstration am 8.März 2005 kurz nach dem Mord an Hariri bewies.
Daneben ist von persönlichen Konflikten zwischen Nasrallah und Hariri nichts bekannt. Beide sollen sich regelmäßig getroffen haben - ihre politischen Bewegungen waren zudem keine direkten Konkurrenten, die etwa um die gleiche Wählerschaft konkurrierten.
Seltsam erscheint auch dass dieser Ermittlungs-Durchbruch mehr als 4 Jahre nach dem tödlichen Anschlag von Beirut gelungen sein soll. Dass mehrere Mobiltelefone bei dem Anschlag eine Rolle gespielt haben sollen, ist seit Langem bekannt. Merkwürdig erscheint daher, dass man erst jetzt herausgefunden haben will, dass diese zum Umfeld der Hizbollah gehört haben sollen. Warum aber wurden diese dann in Tripoli gekauft - einer sunnitischen Hochburg, fernab von den Gebieten, die von der Hizbollah kontrolliert werden?
Das größte Fragezeichen hinter dem Bericht wirft jedoch der Zeitpunkt seiner Veröffentlichung auf. 14 Tage vor den mit Spannung erwarteten Parlamentswahlen im Libanon glaubt kaum jemand an einen Zufall und es ist nur eine Frage der Zeit, bis der Bericht politisch benutzt wird.