Heute wird im Libanon ein neues Parlament gewählt. Erwartet wird ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen den beiden großen politischen Lagern "8. März" und "14. März". Hintergründe zum komplizierten Wahlgesetz und dem Wahlkampf kann man hier und hier nachlesen. Offizielle Ergebnisse werden frühestens am Montag Nachmittag erwartet.
In diesem Beitrag werden wir bis dahin über Ereignisse im Libanon berichten, mögliche Zwischenfälle melden und erste Einschätzungen von vor Ort liefern. Der Post wird laufend überarbeitet.
8:40: Der Saad Hariri nahestehende Fernsehsender Future TV meldet erste Zusammenstöße zwischen Hizbullah und Anhängern des (schiitischen) Future-Kandidaten Bassem Sabeh im von Hizbullah dominierten Südbeiruter Stadtteil Burj al-Barajneh
9:00: Now Lebanon berichtet von Verstößen des Wahlgesetzes seitens Hizbullah und Amal: Demnach verteilten beide Parteien innerhalb der Wahllokale Stimmzettel. Zudem hätten in schiitischen Regionen teilweise bereits bis zu 10% der registrierten Wähler abgestimmt - das lässt auf eine vergleichsweise hohe Wahlbeteiligung bzw. Mobilisierung schiitischer Wähler schließen
10:20: Now Lebanon berichtet, dass im mehrheitlich christlichen Wahldistrikt Batroun (zwischen Beirut und Tripoli) bereits 20% der registrierten Wähler ihre Stimme abgegeben haben - der Zweikampf um die christliche "Führerschaft" zwischen Lebanese Forces und FPM scheint hier die christlichen Wähler zu mobilisieren. Berichte über Zusammenstöße beider Parteien liegen bisher noch nicht vor.
10:30: Der Michel Aoun nahestehende Fernsehsender OTV meldet, dass libanesische Sicherheitskräfte Wahhlhelfer des griechisch-orthodoxen Politikers Michel Murr (2005 mit Aoun alliert, dieses Jahr mit March 14) im Ost-Beiruter Vorort Mansourieh festgenommen worden seien, nachdem sie vor dem Wahllokal Geld verteilt hätten
11:00: Die bisherigen Zwischenmeldungen von An-Nahar, Now Lebanon und Al-Jazeera deuten auf eine bereits zu diesem Zeitpunkt außergewöhnlich hohe Wahlbeteiligung hin: Im Distrikt Jezzin haben 60% aller registrierten Wähler ihre Stimme abgegeben, 40% im Bezirk Beirut III, 25% in Zghorta (Nordlibanon) und 22% in Zahle (Bekaa-Ebene).
Derweil berichten An-Nahar und Al-Jazeera, dass die libanesische Armee in Zahle Waffen eintreffender Future-Anhänger konfisziert habe
14:00: Es kommt vereinzelt zu Zusammenstößen in den Beiruter Stadtteilen Ashrafiye (christlich) und Tariq al-Jdeideh (sunnitisch), sowie in Zahle. In der nordlibanesischen Region Akkar wurden mehrere Personen festgenommen, die sich mit gefälschten Personaldokumenten Zugang zu den Wahllokalen verschaffen wollten. Viele kleinere Zusammenstöße werden aus Wahllokalen, in denen es aufgrund des hohen Andrangs zu langen Wartezeiten kommt. Im Zuge dessen verstarb ein 85-jähriger Wähler im Distrikt Beirut I kurz nachdem er seine Stimme abgegeben hatte. Bisher konnten Armee und Sicherheitskräfte die meisten Zwischenfälle schnell beenden. Insgesamt verliefen die Wahlen bisher weitgehend freidlich - das bestätigt auch der Chef der EC-Delegation Ignacio Salafranca
15:00: Aus Jezzin (Südlibanon) schickt uns alsharq-Korrespondentin Celine Serhal erste Bilder von den Wahlen. Wie auch in anderen Distrikten war der Andrang unerwartet groß und schien die Organisatoren zu überfordern. Viele ältere Wähler erlitten Schwächeanfälle, oder verließen nach stundelangem Warten das Wahllokal ohne gewählt zu haben. Anderen wurde empfohlen zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal wiederzukommen. Aus mehereren Quellen wird uns inzwischen berichtet, dass die Wahllokale in stark frequentierten Bezirken wohl bis mindestens 19 uhr geöffnet bleiben sollen.
Wahlbeobachter von LADE (Lebanese Association for Democratic Elections)
15:40: Neue Fotos aus Jezzin (Südlibanon).
Wahlzettel, die von Wahl-
helfern der FPM vor dem
Wahllokal verteilt werden
Im ganzen Land sind ca. 50.000
Soldaten stationiert, um einen
friedlichen Wahlverlauf zu gewährleisten
wer gewählt hat, dessen Daumen wird durch violette Tinte gekennzeichnet
16:00 : Unser Wahlreporter Jalal aus der Bekaa-Ebene berichtet von einer heiteren Atmosphäre ohne jegliche Aggressionen sowohl in seinem Heimatdorf Khirbet Qanafar als auch rund um sein Wahllokal im Wahlbezirk Zahle. Hier einige Bilder aus Khirbet, die unser Wahlreporter Uli dankenswerterweise zur Verfügung gestellt hat.
16:40: An-Nahar und Now Lebanon berichten von einigen Zwischen fällen: Ein Kamerateam des Fernsehsenders LBC sein im Westbeiruter Stadtteil Basta angegriffen worden, Amal-Anhänger hätten nahe der Zentrale des Senders Future TV das Feuer eröffnet. Die libanesische Armee soll in beiden Fällen interveniert und die Vorfälle schnell beendet haben.
17:50: Vereinzelte Zusammenstöße werden aus der Region Akkar (Nordlibanon), Tripoli und im Südbeiruter Stadtteil Hadath gemeldet, wurden allerdings anscheinend schnell von den Sicherheitskräften eingedämmt. Auffallend ist, dass es bisher keinerlei Meldungen über Zusammenstöße zwischen den Anhängern der christlichen Parteien Lebanese Forces und FPM gibt. Im von beiden Seiten hoch umkämpften Wahldistrikt Metn verläuft der Wahlgang ausgesprochen friedlich.
Der hohe Wählerandrang ging in den letzten Nachmittagsstunden deutlich zurück. Innenminister Ziad Baroud kündigte deshalb in einer Pressekonferenz an, den Abstimmungszeitraum nicht pauschal verlängern zu wollen. Gleichwohl könnten Wähler, die vor Ablauf der Abstimmung um 19 Uhr (18 Uhr MEZ) am Wahllokal seien, noch ihre Stimme abgeben. Sollte der Auszählungsprozess so reibungslos ablaufen wie bisher, werde er bereits gegen Mitternacht erste Ergebnisse verkünden können, so Baroud weiter.
18:30: FPM-Chef Michel Aoun hat sich in einer ersten Stellungnahme über mehrere Verstöße gegen das Wahlgesetz in christlichen Gebieten beschwert. Wähler sei der Zutritt zu Wahllokalen verwährt worden."Die Wahlen hätten besser an mehreren Tagen stattfinden sollen."
19:15: Pressekonferenz mit Innenminister Ziad Baroud: Wahlbeteiligung bei über 52% - Zahl erhöht sich möglicherweise noch. Beteiligung damit fast 20% höher als bei den letzten Wahlen 2005. Höchste Beteiligung in den christlichen Gebieten Kesrouan, Metn und Jbeil - am geringsten im Wahlkreis Beirut II. Einige Wahllokale sind derzeit noch geöffnet. Erste Ergebnisse werden gegen Mitternacht veröffentlicht.
Obwohl noch keine Ergebnisse vorliegen, ist Ziad Baroud sicher einer der Gewinner der Wahl. Anhänger beider Seiten äußerten sich sehr zufrieden mit seiner Organisation.
20:15: Der Fernsehsender LBC veröffentlicht erste exit polls: Demnach liegt March 8 im Distrikt Beirut I 49,3% hauchdünn vor der March 14-Liste 47%. In Zahle gehen zudem alle Mandate an die March 8-Koalition. Der mit March 8 verbündete Lokalpolitiker Elie Skaff liegt in Zahle mit 55% zu 40% deutlich vor seinem Herausfoederer Nicolas Fattoush
21:20: An-Nahar berichtet, dass die LF-Kandidaten im Distrikt Bsharre, Elie Kayrouz und Strida Geagea, Frau von LF-Chef Samir Geagea, die beiden maronitischen Sitze mit deutlichem Vorsprung gewinnen werden. Future TV vermeldet zudem, dass March 14 alle 6 Sitze im Bezirk West Bekaa-Rashaya erringen werde.
Unterdessen werden Zusammenstöße in den Beiruter Vororten Ain ar-Roummaneh, Chiyah und Burj al-Barajneh gemeldet
21:45 : Wahlreporter Uli berichtet von Feuerwerken und Freudenschüssen aus den sunnitischen Orten der West Bekaa. Vor "seinem" Wahllokal in der 1952 von Deutschen gegründeten Schneller Schule in Khirbet Qanafar haben sich die orangenen Aoun-Anhänger verzogen. Stattdessen dominieren hier nun die Lebanese Forces.
Now Lebanon berichtet indessen, dass in Batroun March 14 nach etwa 2/3 der ausgezählten Stimmen hauchdünn vor March 8 liegt.
LBC veröffentlichte neue exit polls aus Saida: Hier liegt Bahia Hariri, Schwester des ermorderten Ex-Premiers Rafiq Hariri, mit 13.000 Stimmen vor Premier Fouad Siniora mit 12.000 Stimmen. Deutlich abgeschlagen liegt der mit March 8 verbündete Lokalpolitiker Ossama Saad mit 6000 Stimmen. Damit dürften beide sunnitischen Sitze an March 14 gehen.
22:15: Now Lebanon veröffentlicht Zwischenstände aus dem umkämpften Bezirk Beirut I. Demnach führen alle March 14-Kandidaten nach Auszählung von 72 von 129 Wahlstationen mit durchschnittlich 2000 Stimmen Vorsprung.
LBC gibt nach Auswertung der exit polls alle 3 Sitze in Jezzin sowie alle 8 Sitze im umkämpften Distrikt Metn an die Liste Michel Aouns.
Dessen Partei FPM verkündete zudem, alle 3 Sitze in Jbeil errungen zu haben
22:45: Now Lebanon gibt Beirut I's 5 Sitze komplett an March 14, ebenso die 3 Sitze im mehrheitlich griechissch-orthodoxen Distrikt Koura südlich von Tripoli. An-Nahar sieht March 14 zudem in den drusischen Ballungsgebieten Chouf und Aley klar vorne.
Die Stimmenauswertungen in Metn scheinen darauf zu deuten, dass sich die zahlreichen armenischen Wähler überwiegend für Michel Aoun's FPM entschieden haben, und nicht für die von Michel Murr und Sami Gemayel (Sohn des Ex-Präsidenten Amin Gemayel) angeführte Liste von March 14
23:00 Nach Berichten von LBC gewinnt March 14 doch sämtliche Sitze in Zahle - eigentlich eine Hochburg des mit Michel Aoun verbündeten Elias Skaff.
Angeblich sollen Quellen aus dem Umfeld der Hizbollah die Wahlniederlage der Opposition bereits eingestanden haben. Future TV prognostiziert 72 der 128 Parlamentssitze für March 14.
Nun warten wir gespannt darauf, welches Ergebnis Innenminister Ziad Baroud in Kürze verkünden wird.
23:35: Ein Offizieller des March 14-Bündnisses soll gegenüber AFP erklärt haben, dass er von einem Wahlsieg seines Bündnisses mit 68 von 128 Sitzen ausgeht. Laut aktueller LBC-Prognose führt March 14 gegenüber March 8 derzeit mit 61 zu 38 Sitzen - 29 Mandate sind noch unentschieden. Der Sender von Michel Aoun, Orange TV, hat sich aus der Wahlberichterstattung verabschiedet und spielt Musik.
23:55: Jebran Bassil, Schwiegersohn von Michel Aoun, gesteht Niederlage der Opposition ein. Ministerpräsident Siniora erklärt March 14 zum Wahlsieger. Anhänger der Lebanese Forces feiern in Ostbeirut. Auch aus Tripoli meldet unser Korrespondent Amer Feuerwerk von Future-Anhängern. Walid Jumblatt ruft seine Anhänger auf, von Siegesfeiern abzusehen.
00:30: Future-Chef Saad Hariri ruft March 14 zum Wahlsieger aus. Hizbollah-Abgeordneter Hassan Fadlallah erklärt March 8 akzeptiere die Niederlage, erwarte aber eine Regierung, die alle Konfessionen einschließt und anerkennt, dass die Mehrheit nicht über die Köpfe der Minderheit hinweg entscheiden dürfe.
01:15: Auch wenn Innenminister Baroud mit offiziellen Zahlen auf sich warten lässt, steht der Wahlsieg für das March 14-Bündnis fest. Die bisherige Parlamentssmehrheit sichert sich etwa 70 der 128 Mandate.
Wir danken allen Lesern für die Aufmerksamkeit und die netten Kommentare und melden uns in den nächsten Tagen mit Einschätzungen und Berichten wieder.