In den letzten 24 Stunden haben die schiitischen Milizen Amal und Hizbollah weite Teile West-Beiruts unter ihre Kontrolle gebracht. Nach stundenlangen Gefechten befinden sich mittlerweile auch viele mehrheitlich von Sunniten bewohnte Gebiete in der Hand der schiitischen Bewegungen. Die Miliz der sunnitischen Mustaqbal-Bewegung von Saad Hariri hat sich mittlerweile offenbar weitgehend zurückgezogen. Mindestens 11 Menschen sind seit gestern bei den Kämpfen getötet worden.
Die Kämpfe hatten sich am gestrigen Abend nach einer Pressekonferenz des Hizbollah-Generalsekretärs Hassan Nasrallah verschärft. Dieser hatte darin gesagt, die Regierung habe seiner Bewegung den Krieg erklärt, als sie die Abschaltung des internen Telekommunikationsnetzes der Hizbollah beschloss. Diese sei für die Verteidigung gegen israelische Angriffe jedoch lebensnotwendig. An das Regierungslager gerichtet erklärte Nasrallah: "Wenn Ihr auf einem Krieg besteht, dann werden unsere Reaktionen unberechenbar sein."
Daraufhin brachen in mehreren Stadtteilen heftige Gefechte zwischen bewaffneten Kämpfern der Opposition und der Regierung aus. Wie angekündigt hielt sich die Armee aus diesem inner-libanesischem Konflikt bislang weitgehend raus. Augenzeugen berichten von Heckenschützen auf Häuserdächern und vermummten Kämpfern die zum Teil auf Motorrädern durch die Strassen patroullieren.
Aus den schiitischen Vororten in Südbeirut kommend, brachten Amal und Hizbollah im Laufe der Nacht und der Morgenstunden offenbar Stadtteil für Stadtteil unter ihre Kontrolle. Am Morgen stürmten ihre Kämpfer das zur Büro der zur Mustaqbal-Bewegung gehörenden Zeitung und zwangen ihren TV-Sender Future TV dazu, ihr Programm einzustellen. Auch der zum gleichen Medienunternehmen gehörende Radiosender mit dem schönen Namen al-Sharq ist nicht mehr auf Sendung.
Mittlerweile haben die schiitischen Milizionäre offenbar auch die Privatresidenzen führender Politiker des Regierungslagers, etwa den Palast des wichtigsten sunnitischen Politikers Saad Hariri und des Führers der drusischen PSP Walid Jumblat umstellt. Auch auf den Regierungspalast von Ministerpräsident Fuad Siniora sollen sich die Kämpfer zubewegen.
Während in Westbeirut ein Bürgerkrieg tobt, ist die Lage im mehrheitlich von Christen bewohnten Ostteil der Stadt bislang weitgehend ruhig geblieben. Viele Banken und Geschäfte haben geöffnet. Auch im Südlibanon, dem Libanongebirge und dem Norden des Zedernstaats ist es von kleineren Zwischenfällen abgesehen, nicht zu Kämpfen gekommen. In der Bekaa-Ebene haben sich aber offenbar in der Nacht rivalisierende Gruppen Schusswchsel geliefert.
Abzuwarten bleibt nun, wie sich die Ereignisse in den nächsten Tagen entwicklen werden. Es ist unwahrscheinlich, dass Hizbollah und Amal die von ihnen kontrollierten sunnitischen Wohnviertel dauerhaft besetzen wird. Beide Milizen haben gezeigt, dass die von Saudi-Arabien und den USA in den letzten Jahren üppig finanzierten sunnitischen Gruppen ihnen militärisch derzeit nicht die Stirn bieten können.
Unklar ist derzeit ob und wie die Opposition diesen sich abzeichnenden miltärischen Sieg politisch nutzen kann. Dies wird nicht zuletzt von der Unterstzung der USA und Saudi-Arabiens für die Regierung abhängen und von der Tatsache ob die libanesische Regierung zu einer Rücknahme ihrer Beschlüsse vom Wochenanfang bereit ist.
Unabhängig davon steht der Libanon vor einer äußerst ungewissen Zukunft. Eine stabile Regierung kann es in dem Land nur gegeben, wenn Sunniten wie Schiiten angemessen in selbiger repräsentiert sind. Die Kämpfe der letzten 3 Tage haben den Graben zwischen beiden islamischen Konfessionen im Libanon jedoch weiter vertieft und lassen eine Einigung zwischen den politischen Lagern nach jetzigen Stand fast unmöglich erscheinen.
Mittelfristig könnte sich der inner-muslimische Konflikt für die Hizbollah als schwere Bürde erweisen. Bislang verwies die Bewegung mit Berechtigung und Stolz darauf, ihre Waffen nur gegen Feinde von Außen, nicht aber Libanesen gerichtet zu haben. Dieses Tabu hat die Hizbollah in dieser Woche gebrochen. Auf lange Sicht könnte dies der Reputation Nasrallahs und seiner Bewegung unter libanesischen Sunniten und Christen schweren Schaden zufügen.