Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch beschuldigt die ägyptischen Behörden, mumaßliche Terroristen auf der Grundlage unter Folter erpresster, falscher Geständnisse festzuhalten. Ein heute veröffentlichter Bericht untersucht den Fall von 22 Inhaftierten, die zur Terrorgruppe "al-Taifa al-Mansura", "die siegreiche Gruppe/Sekte" gehören sollen und beschuldigt werden, Anschläge auf touristische Ziele in Ägypten geplant zu haben.
Am 19.April 2006 gab das ägyptische Innenministerium die Festnahme von 22 Terrorverdächtigen bekannt, die Bombenanschläge auf Touristen, eine Gas-Pipeline, sowie christliche und muslimische Führer geplant haben sollen. Nach Angaben des Innenministeriums nannte sich die Gruppe "al-Taifa al-Mansura".
Nur fünf Tage später wurden bei einer Anschlagsserie im Ferienort Dahab auf dem Sinai 18 Menschen getötet. Die Anschläge von Dahab wurden von einigen Medien als Reaktion auf die Verhaftungswelle gedeutet, Terror-Experten werteten die Aufdeckung der Terrorzelle und die anschließenden Bombenanschläge als Beweis für den wachsenden Zulauf "salafistisch-jihadistischer" Gruppen in Ägypten.
Im Juni und Juli dieses Jahres untersuchte HRW den Fall "al-Taifa al-Mansura". Es war der Menschenrechtsorganisation nicht möglich ein längeres Gespräch mit einem der 22 Verdächtigen zu führen. Ihr Bericht basiert auf der Aussage eines der mittlerweile 12 Freigelassenen, sowie auf Berichten von ehemaligen Gefangenen die über einen längeren Zeitraum gemeinsam mit den Terrorverdächtigen inhaftiert waren. Daneben wurden Interviews mit den Anwälten und Familienangehörigen geführt. Anfragen an das Innen- und Außenministerium in Kairo blieben unbeantwortet.
Bei ihren Untersuchungen stießen die HRW-Mitarbeiter auf zahlreiche Ungereimtheiten. So wurden die Verdächtigen anders als offiziell verkündet nicht im April sondern schon im Februar und März 2006 festgenommen und in Gefängnisse des Inlandsgeheimdienstes SSI gesperrt. Angehörige der Inhaftierten beschreiben die Männer als streng gläubige Muslime, deren Religiösität von den Behörden genutzt wurde um ihnen verdächtige Aktivitäten zu unterstellen.
Vieles deutet darauf hin, dass die Männer vom Zeitpunkt ihrer Festnahme bis zum 19.April massiv gefoltert wurden. Ein Mithäftling beschreibt dies wie folgt.: "Was ich hörte war nicht nur Folter, es war jenseits aller Vorstellung.[...] Sie können sich nicht vorstellen, wie es war das zu hören, das Schreien, wie sehr sie gefoltert wurden.[...]Ich konnte einige von ihnen schreien hören als sie mit Stromschlägen gefoltern wurden. Ich konnte auch den Strom hören, das `zizzzt, zizzzt´".
Fast während ihrer gesamten Haftzeit seien die Gefangenen mit Handschellen gefesselt gewesen, außerdem seien ihnen die Augen verbunden worden. Ziel der Folterungen sei es gewesen, die Männer zu den Geständnissen zu bewegen, die dann am 19.April 2006 an die Presse weitergegeben wurden. Der zwischenzeitlich freigelassene Verdächtige berichtet, dass mehrere Gefangene Geständnisse für Taten ablegten, die sie nicht begangen hatten.
Im Verlauf der Folterungen sei auch der Name für die angebliche Terrorgruppe vom Geheimdienst SSI erfunden worden. Ein Offizier habe einen der Gefangenen im Zuge eines Verhörs gefragt: "Wie möchtest du deine Gruppe nennen? Welchen Namen bevorzugst du - al-Taifa al-Mansura oder al-Murabitun?" Der Häftling sei sich unschlüssig gewesen und habe schließlich "al-Taifa al-Mansura" geantwortet. Auf diese Weise sei die angebliche Terrorzelle zu ihrem Namen gekommen.
Der Zeitpunkt der Zerschlagung der angeblichen Terrorzelle war vermutlich nicht zufällig gewählt. Nur 11 Tage nach der Bekanntgabe der Festnahmen verlängerte Präsident Hosni Mubarak die Notstandsgesetze unter Verweis auf die terroristischen Gefahren für den ägyptischen Staat. Die falschen Geständnisse der 22 Inhaftierten lieferten hierfür einen willkommenen Vorwand.
Im August und September ordnete ein Gericht jedoch die Freilassung der Häftlinge an. Offenbar hat der Inlandsgeheimdienst SSI daraufhin jedoch eine Verlängerung der Haftbefehle erwirkt, eine nicht unübliche Praxis auf der Basis des seit 1981 geltenden Ausnahmezustands in Ägypten. Zwar sind im Laufe dieses Jahres einige der Inhaftierten freigekommen, doch sitzen noch immer 10 von ihnen im Gefängnis.
Mit hoher Wahrscheinlichkeit ist dieses Vorgehen kein Einzelfall. Mit einiger Gewissheit kann davon ausgegangen werden, dass in der Vergangenheit in ähnlicher Weise vorgegangen wurde und es ist zu befürchten, dass sich der ägyptische Staat als treuer Verbündeter im "Krieg gegen den Terror" in Zukunft kaum anders verhalten wird.