In wenigen Stunden geht unser Flieger in Richtung Heimat, knapp 3 Monate im Libanon werden dann zu Ende gehen. Die Zeit war sehr schoen, spannend, lehrreich. Wir sind in den vergangenen Wochen durch das ganze Land gereist, haben mit vielen Leuten gesprochen, gelacht, nur selten gestritten.
Wir haben seit Mitte Februar eine Umfrage unter Studenten verschiedener libanesischer Universitaeten durchgefuehrt. Insgesamt waren wir an 20 Campi in Tripoli, Beirut
Jounieh, Zahle, Khalde, Saida, Nabatieh und Rmeish. Etwa 1500 Studenten aus allen Fachbereichen haben dort einen von uns konzipierten Fragebogen ausgefuellt, in dem die Studenten zu religiosen Wertvorstellungen, politischen Einstellungen, Zukunftsaussichten und Mediennutzung befragt wurden.
Auch wenn die Auswertung noch vor uns liegt kann man nach einem ersten Blick in die Frageboegen und nach unzaehligen Gespraechen mit den Studenten folgende Trends ausmachen.: Die Unzufriedenheit mit dem politischen System und der Unfaehigkeit der politischen Elite des Landes zum Wohle des Libanon zu arbeiten ist gross. Unser Eindruck ist, dass im gegenwaertigen Machtkampf zwischen Regierung und Opposition eine deutliche Mehrheit der Studenten mit dem Oppositionslager sympathisiert. Gleichzeitig beklagen viele Studenten, dass ein grundlegender Mentalitaetswandel mit einer Reform des politischen Systems einhergehen muesse. Immer wieder werden die grassierende Korruption und praktisch nicht vorhandende Transparenz im Umgang mit Steuergeldern als Hauptversaeunisse der Politik ausgemacht.
Viele Studenten geben an, nach dem Ende ihres Studiums ins Ausland gehen zu wollen. Sie sehen keine Perspektive fuer sich in einem Land, in dem lukrative Jobs praktisch nur ueber Patronageverhaeltnisse vergeben werden und in dem praktisch an jedem Tag ein neuer Krieg ausbrechen koennte der das Land wieder um Jahre zurueckwerfen wuerde.
Von Anhaengern der Opposition muss man sich als Deutscher des Oefteren den Vorwurf der Heuchelei gefallen lassen. Der Westen fuehre sich immer wieder als Vorreiter fuer Demokratie und Selbstbestimmung auf, heisst es dann, unterstuetze aber gleichzeitig eine libanesische Regierung, die die Mehrheit des Volkes gegen sich habe. Wenn pro-westliche Demonstranten in Zeltstaedten gegen ihre Regierungen protestierten, wie etwa in der Ukraine oder im Libanon 2005, werde das als Zeichen einer Demokratisierung der Gesellschaft gewertet, die Proteste der libanesischen Opposition wuerden jedoch als undemokratisch verurteilt, nur weil sie auch gegen die US-Politik im Nahen Osten gerichtet seien.
Natuerlich wird man auch nach dem Holocaust gefragt. Es gibt Studenten die das Ausmass des Massenmords an den europaeischen Juden in Frage stellen. Gegenargumente von uns blocken an ihnen meistens unbeeindruckt ab, haeufig wird erklaert, das Ausmass werde von westlichen Forschern und Politikern uebertrieben dargestellt um die Existenz des Staates Israel und dessen Politik gegenueber den Palaestinensern und dem Libanon zu legitimieren.
Fuer die nahe Zukunft des Libanon kann in der momentanen Lage niemand verlaessliche Voraussagen treffen. In den letzten Wochen scheint das Land zunehmend in Apathie zu verfallen, ohnmaechtig schaut das Volk den Politikern dabei zu, wie sie immer wieder die Nationale Einheit beschwoeren, saemtliche Gespraeche am Ende aber doch ergebnislos zu Ende gehen. Hizbollah-Fuehrer Hassan Nasrallah hat in einer Rede am Ostermontag erklaert, ein Referendum oder Neuwahlen seien die beiden einzigen Wege aus der Krise, mit dem Regierungslager sei durch Verhandlungen kein Kompromiss zu erreichen, die Entscheidung muesse nun dem Volk ueberlassen werden.
Irgendwie scheint jeder darauf zu warten, dass etwas passiert, ein Attentat, ein erneuter Anschlag auf einen Politiker, irgendwas. Dann bleibt nur zu hoffen, dass nicht ein aehnlicher Gewaltexzess beginnt wie heute vor 32 Jahren. Am 13.April 1975 begann der libanesische Buergerkrieg.