Nach mehr als sechs Wochen im Libanon ist die Zeit fuer einen Wochenendausflug nach Damaskus gekommen. Am Freitag Vormittag fahren wi zunaechst im Minibus von Beirut nach Chtoura, den wichtigsten Verkehrskontenpunkt im Bekaatal, von hier soll es mit dem Taxi weiter in die syrische Hauptstadt gehen. Das gestaltet sich schwieriger als erwartet, weil zwar ziemlich viele Leute aus dem Libanon nach Syrien wollen, die Taxifahrer jedoch zu Beginn des Wochenendes kaum Fahrgaeste fuer den Rueckweg finden. Am Ende einigen wir uns auf einen Fahrpreis von 5 Dollar pro Person unter der Bedingung, dass wir uns zu viert auf die Rueckbank des betagten Mercedes zwaengen. Auf dem Beifahrersitz nehmen zwei Syrer Platz.
Die Abfertigung am Grenzuebergang Masnaa laeuft zwar schleppend aber dank unseres Multi-Entry-Visums fuer Syrien ohne Probleme ab. Nur am syrischen Kontrollpunkt muessen wir unser Gepaeck aus dem Kofferrraum hieven und ein Grenzbeamter macht Anstalten unser Gepaeck zu kontrollieren. Als jedoch einer unserer syrischen Mitreisenden einen Geldschein unauffaellig in die Hand des Grenzers wandern laesst, verliert dieser das Interesse an den Reisetaschen.
Damaskus selbst steht an diesem Freitag noch ganz im Zeichen des Jahrestags der "Revolution des 8.Maerz", an allen oeffentlichen Gebaeuden haengen Transparente mit Lobspruechen fuer die Baath-Partei und ihren Fuehrer Baschar al-Assad. Am 8.Maerz 1963 hatte die Baathpartei durch einen Militaerputsch die Macht in Syrien unternommen und regiert seither in Damaskus. Das Portrait des Staatschefs ist indes weniger praesent als noch vor 2 Jahren, die syrische Fahne ist stattdessen staerker in den Mittelpunktder staatlichen Propaganda gerueckt - haeufig in Verbindung mit Slogans wie "Gott schuetze das Syrien der Assads".
An diesem Wochenende haben sich zehntausende Besucher aus dem In- und Ausland auf den Weg nach Damaskus gemacht, auch am Freitag tummeln sich tausende Menschen im Suq al-Hamidiye, auch wenn alle Geschaefte geschlossen haben. Schiitische Pilger aus Pakistan ziehen in einer Art Prozession durch die Hauptstrasse des Basars in Richtung der Umayyadenmoschee.
Zu einer Gruppe gehoeren etwa 100 Maenner, ihre wehklagenden Frauen folgen mit einigem Abstand. Die Maenner im Alter zwischen 15 und 65 haben ihre Oberkoerper entbloesst, singen Klagelieder ueber das Schicksal des Imams Hussein und schlagen sich mit voller Wucht auf den Brustkorb. Das Geraeusch, das entsteht, wenn sich in dem ueberdachten Markt hunderte Maenner mit ganzer Kraft auf die Brust schlagen, trifft selbst den Zuschauer bis ins Mark.
Die Pilger geraten waehrend der Prozession in einen Zustand der Ekstase, viele wirken der Welt entrueckt und registrieren daher wohl auch nicht die unglaeubigen Blicke der Einheimischen, die das Spektakel halb verwundert, halb amuesiert an sich vorbeiziehen lassen. Fast alle Pakistaner haben auf ihren Ruecken grossflaechige Narben, die sie sich durch die Selbstgeisselungen waehrend der Ashura-Feiern vor 40 Tagen zugefuegt haben. An diesem Wochenende begehen sie das Arba'in-Fest mit dem die Trauerzeit im Islam endet und an dem noch einmal an das Schicksal des schiitischen Imams Hussein gedacht wird dessen Kopf nach dem Glauben eines Teils der Schiiten in der Umayyadenmoschee bestattet worden sein soll. Als die Pilger das Tor der Moschee erreichen, schillert ihre Haut ueber der Brust in den Farben blau-violett-schwarz.
Den Sonnenuntergang erleben wir auf dem Jabal Qassiyun, dem Hausberg der syrischen Hauptstadt. Viele Familien haben sich in Autos oder auf den Ladeflaechen von Kleintransporten auf den Weg hinauf gemacht, der Geruch von schwerem Damenparfum, Kardamomkaffee und unzaehligen Wasserpfeifen liegt in der Luft. Als die Sonne hinter den Bergen verschwindet und die Daemmerung ueber dem 6-Millionen-Moloch hereinbricht, schlaegt die Stunde der Muezzine, die zum Maghrib-Gebet rufen. Einer macht den Anfang, Sekunden spaeter sind es zwei, schliesslich klingt ein dissonanter Chor von den hunderten Minaretten der Stadt nach oben - parallel dazu erhellen sich die Lichter der Grossstadt und es wird fast schlagartig merklich kuehler.
Den Samstag nutzen viele der Pilger - in ihrer Mehrzahl kommen sie aus dem Libanon, dem Iran und Pakistan - zum ausgiebigen Einkaufsbummel. Dessous finden ebenso reissenden Absatz wie Suessigkeiten, Sonnenbrillen und Kopftuecher. Einige vollverschleierte Frauen muehen sich mit den Tuecken des oeffentlichen Speiseeisverzehrs. Die Loesung sieht dann so aus, dass eine Frau sich als Sichtschutz vor ihre Freundin stellt, damit diese fuer Sekundenbruchteile ihren Gesichtsschleier lueften und vom leckeren Pistazieneis aus dem Hause "Bakdash" schlecken kann.