Auf meinen gestrigen Beitrag Libanon - Wege aus der Krise erwiderte ein anonymer Leser dieses Blogs Folgendes.:
"Der Text macht einen sprachlos. Eine Umverteilung der politischen Macht nach dem vorgestellten Modell stärkt die radikalen, nicht-staatstragenden Kräfte. Was kommt danach? Der islamische Gottesstaat? Diese Perspektive führt zur Auswanderung der gemäßigten Libanesen. Man könnte dagegen aber auch das Wahlrecht für Auslandslibanesen fordern. Dann sähe die Verteilung im Parlament anders aus. Aber die Radikalen boykottieren diese Forderung. Vielleicht ist eine Separation des Staates die bessere Alternative. Die Gemäßigten zahlen schon seit langem einen zu hohen Preis für die Koexistenz mit Radikalen."
Fakt ist, dass die Schiiten als zahlenmäßig größte Konfessionsgruppe im Libanon im Parlament unterrepräsentiert sind. Es ist daher absolut legitim, dass diese Gruppe nun eine Vertretung im Parlament für sich beansprucht, die anteilsmäßig den demographischen Realitäten im Land Rechnung trägt. Dies ist ein demokratisches Grundrecht.
Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass nur eine Minderheit der Schiiten im Libanon "radikal" und nicht jeder Schiit Hizbollah-Anhänger ist. Es ist vielmehr die Ausgrenzung und Benachteiligung der Schiiten in vielen Bereichen von Politik und Gesellschaft, die die radikalen Kräfte innerhalb der Religionsgemeinschaft stärkt. Eine angemessene Repräsentation der Schiiten in der Nationalversammlung wäre der erste Schritt zu einer wirklichen Integration der Schiiten in den libanesischen Staat. Gegenwärtig sind 27 von 128 Abgeordneten Schiiten. Will man an dem konfessionellen Wahlsystem festhalten, ist das schlicht zu wenig.
Vom Ideal eines Gottesstaats hat sich die Hizbollah im Übrigen längst verabschiedet, wenn es dieses überhaupt je entschieden verfochten hat. Die Partei ist sich durchaus bewusst, dass auch die Schiiten nur eine der 18 religiösen Minderheiten im Land sind, die den anderen Konfessionen nicht ihr Staatsideal aufzwingen kann.
Das Wahlrecht fuer Auslandslibanesen ist in der Tat ein brisantes Thema. Sollten die etwa 1,2 Millionen Exil-Libanesen der zweiten Generation tatsächlich das Wahlrecht bekommen, würde dies natürlich die Zusammensetzung des Parlaments beeinflussen, da etwa drei Viertel von ihnen christlichen Glaubens sind. Gleichwohl muss die Frage erlaubt sein, wie demokratisch ein Wahlsystem ist, in dem dann ein Drittel der Wähler im Ausland lebt und von den politischen Entscheidungen im Libanon nur sehr mittelbar betroffen ist.
Eine Aufspaltung des Libanons entlang der Konfessionen ist erstens nicht praktikabel, da nur wenige Teile des Landes ausschließlich von einer Konfessionsgruppe bewohnt werden und ein solcher Schritt nur zun noch mehr Tod und Vertreibung führen wuerde. Das libanesische Volk wird über kurz oder lang einen Modus Vivendi finden müssen, in dem sich die religiöse Vielfalt des Landes angemessen widerspiegelt.
Zum Abschluss eine Aufgabe für die Leserschaft: Gesucht werden Definitionen für die Begriffe "radikaler Libanese" und "gemäßigter Libanese".