In diesem Monat jährt sich die Schlacht von Poitiers zum 1274 mal. Zu diesem Anlass veröffentliche ich hier in den kommenden Tagen eine Seminararbeit zum Thema.:
I. Einleitung
Die Schlacht von Poitiers 732 ist in der historiographischen Tradition des Abendlandes lange Zeit herausgestellt und zum Wendepunkt der europäischen Geschichte stilisiert worden. Dem fränkischen Hausmeier Karl Martell kam hierbei die Rolle als Retter eines christlichen Abendlandes zu Teil und die christlich-islamischen Feindseligkeiten von Kreuzzügen und Reconquista im Hochmittelalter wurden recht selbstverständlich auch in das frühe 8. Jahrhundert zurück verortet. Beispielhaft dafür stand auch das Diktum Edward Gibbons, wonach ganz Europa bei einer Niederlage Karl Martells 732 vom Islam überrollt und in Oxford heute der Koran gelehrt worden würde.
Allerdings erfuhren solcherlei Urteile vor allem in den letzten Jahrzehnten eine kritische Neubewertung und einschneidende Relativierungen. Vergleichende Untersuchungen[besonders zeitnaher Quellen ergaben ein sehr differenziertes Bild der arabischen Einfälle ins Frankenreich sowie der Schlacht von Poitiers 732 und entwirrten zeitgenössische Darstellungen und spätere Instrumentalisierungen.
Ganz ähnlich ist der Ansatz dieser Arbeit: Die arabischen Aktivitäten im Frankenreich im allgemeinen und die Schlacht von Poitiers 732 im speziellen sollen in jeweils drei räumlich und perspektivisch unterschiedliche Kontexte eingeordnet werden. Der zu betrachtende Zeitraum wird hierbei auf ca. 720-740 n.Chr. beschränkt, die maßgeblichen Quellen vor allem auf die zweite Hälfte des 8. Jahrhunderts, um möglichst zeitnahe Sichtweisen aufzuzeigen.
Der erste Teil beschäftigt sich mit den Ereignissen aus Sicht der frühkarolingischen Historiographie, wie sie hauptsächlich in der Fortsetzung des sogenannten Fredegar, daneben in einigen kleineren Annalen zu Tage tritt. Im Mittelpunkt steht dabei die Einordnung der fränkisch-arabischen Begegnungen in die Integrationspolitik Karl Martells und deren prätentiöse Darstellung.
Im zweiten Teil werden die arabische Expansion und die Abwehrschlachten Karl Martells von der Perpektive der (westlichen) Kirche aus untersucht. Zum einen werden die Elaborationen des wohl bedeutendsten Universalgelehrten des Frühmittelalers, des Angelsachsen Beda, betrachtet. Zum anderen soll die Position des Papsttums innerhalb des betrachteten Zeitraums hinsichtlich seiner Etablierungspolitik verfolgt und mit den Vorgängen im Frankenreich in Zusammenhang gebracht werden.
Der dritte Teil bringt die untersuchten Ereignisse in den Kontext der arabischen Eroberungspolitik auf der iberischen Halbinsel. Grundlegend hierfür ist die einzige zeitgenössische Quelle aus dem eroberten Spanien, die 754 verfasste mozarabische Chronik, daneben soll aber auch die arabische Historiographie einbezogen werden. Maßgeblich ist in allen drei Teilen die Frage nach Art und Weise der Darstellung der Ereignisse, der handelnden Akteuere sowie deren Einordnung in Selbst- und Fremdwahrnehmung.
II. Der Kontext der fränkischen Historiographie
Das Jahr 719 sah einen fränkischen Maior Domus Karl Martell, der sich in den fünf Jahren zuvor seine austrasische Hausmacht erkämpft hatte und sich nun anschickte seine neustrischen Rivalen endgültig auszuschalten. Mit dem Sieg in der Schlacht von Soissons diesen Jahres gewann denn Karl auch die Überhand über seinen langjährigen Gegenspieler, den neustrischen Hausmeier Raganfred. Dessen Verbündete, der Merowinger Chilperich II. und der aquitanische Fürst Eudo mussten Karls praktische Vormachtstellung anerkennen. Raganfred zog sich völlig nach Angers zurück und Eudo, so berichtet die Fortsetzung der Fredegarchronik und führt den aquitanischen Fürsten somit erstmals ein, schloss einen Vertrag mit Karl und übergab ihm den eigentlich von den Neustriern eingesetzten Chilperich II. samt dessen Staatsschatz.
Die folgenden zehn Jahre waren zum einen durch Karls Bemühen gekennzeichnet seine in Neustrien errungene Macht auch politisch zu festigen. Durch Einsetzung treuer Gefolgsleute schaltete er die alteingesessenen neustrischen Adelsfamilien aus, baute ein klientelistisches Netzwerk auf und strebte somit einer Integration der beiden Reichsteile Austrasien und Neustrien entgegen. Zum anderen brach Karl in dieser Phase beinahe jährlich zu Feldzügen jenseits der Reichsgrenzen aus. Diese zielten vor allem auf die noch heidnischen Stammeskonföderationen der Sachsen und Friesen und die Herzogtümer von Alamannien und Bayern. In die anderen Teile der Francia, zu der ja formell auch noch Burgund gehörte, sowie peripher auch Aquitanien und die Provence, zog es ihn bis 730 nicht.
In der langen Epoche der austrasisch-neustrischen Kämpfe im 7. Jahrhundert war die Fragmentierung des Merowingerreiches voran geschritten und es hatten sich politisch de facto unabhängige Fürstentümer, z.B. in Aquitanien heraus gebildet. Zwar waren diese in sozialer, ökonomischer und kultureller Hinsicht teilweise fest in die Francia integriert, austrasische und neustrische Kloster hielten beispielsweiselich natürlich auch kirchliche Güter in Aquitanien, doch bezogen sie ihre Macht offiziell, so wie auch Karl Martell, von den merowingischen Königen und beriefen sich in ihrer Ablehnung des fränkischen Hausmeiers auch darauf. Ab 730 jedoch schien Karl Martell in der Lage gewesen zu sein seinen Einfluss auch in diese Regionen auszuweiten.
In diesem Zusammenhang tritt nun auch wieder jener aquitanische Fürst Eudo hervor, den die Fredegarfortsetzung knapp ein Jahrzehnt früher erstmalig erwähnt hatte. Berichtet wird von einem (nicht näher ausgeführten) Vetragsbruch Eudos, auf den Karl mit einem Strafzug im Jahre 731 reagiert. Dass sein alter Rivale Raganfred in diesem Jahr in Angers stirbt, findet jedoch auch Erwähnung und dürfte Karls Entscheidung, die Loire Richtung Süden zu überqueren, sicherlich auch beeinflusst haben.
Laut Fredegar-Kompilator ist es nun Eudo, der sich nach seiner Niederlage gegen Karl, gedemütigt und verspottet, mit den Sarazenen verbündet und diese zur Hilfe gegen Karl ins Land holt. Ein ähnlicher Vorwurf taucht später auch gegen den provençalischen Fürsten Maurontus auf, dem die Einladung der Sarazenen zur Last gelegt wird, woraufhin Karl Martell 737 auch in die Provence zieht. In diesen beiden Episoden nun tritt Karl Martell in der Beschreibung des Fredgar-Kompilators als triumphierender Sieger über die Sarazenen in Erscheinung, widerspenstige Lokalfürsten, insbesondere Eudo, dagegen obliegt die Schuld, für von den Sarazenen angerichtete Verwüstungen maßgeblich mitverantwortlich zu sein. Nicht erwähnt hingegen werden militärische Abwehrerfolge Eudos, wie sie beispielsweise die Chronik von Moissac für die Schlacht von Toulouse 721 gegen die Araber ausweist, die den Aquitanier in irgendeinem postiven Licht erscheinen lassen könnten.
Was die Schlacht von Poitiers anbetrifft, so ist die Struktur des Fredegar-Kompilators für die Rollenverteilung und deren Kontext klar: Karl Martell ist derjenige dem die Rettung des Martinsdom in Tours vor dem durch Eudo verursachten Sarazeneneinfall zufällt. Dieser spezifischen Darstellung der beteiligten Parteien liegen einige Intentionen zugrunde, die im folgenden ausgeführt werden.
Die Fortsetzung der Fredegarchronik im allgemeinen ist, als erstes und maßgebliches Geschichtswerk der frühkarolingischen Historiographie, darauf angelegt, den Aufstieg der Karolinger zu legitimieren und besonders Charakter und Befähigung Karl Martells hervorzuheben. Dafür sorgte vor allem auch Childebrand, ein Halbbruder und Mitstreiter Karl Martells, unter dessen Aufsicht die Fredegarfortsetzung ab ca. 751 kompiliert wurde. Die Darstellungen der Schlacht von Poitiers 732 und der Aktivitäten Karls in der Provence, insbesondere die Belagerung Avignons 737, unterliegen dementsprechend auch der Prämisse, Karl als, wenn nicht königlichen, dann doch zumindest königsgleichen Herrscher auszuweisen, der die nötige Befähigung besitzt um monarchische Macht legitim auszuüben, daher auch die Titulierung princeps für Karl.
In diesem Kontext ist auch die überaus biblisch gefärbte Sprache der Fredegarfortsetzung zu deuten. Christo auxiliante erringt Karl die Siege über die Sarazenen, aber auch über seine anderen Gegner, erscheint also als von Gott begünstigt und in seinem Anspruch bestätigt. Gar mit dem Ansturm auf Jericho, also deutlich altestamentarischem Bezug, wird auch die Belagerung Avignons verglichen.
Die überaus negative Darstellung Eudos hingegen hat noch ihren eigenen Grund. Wie oben bereits angeführt, stand der Aquitanier auf der Seite Raganfreds gegen Karl Martell und errang 721 bei Toulouse, worauf später noch ausführlicher einzugehen ist, einen nicht unerheblichen, zeitlich vor Poitiers liegenden Abwehrerfolg gegen die Araber. Desweiteren weist der Liber Pontificalis eine daraufhin folgende Korrespondenz zwischen Eudo und Papst Gregor II. auf. Es scheint also, dass es im Süden mit Eudo einen Akteur gab, dessen Erfolge und Stellung der beabsichtigten Glorifizierung Karl Martells entgegen liefen.
Überaus interessant ist schließlich auch die Darstellung der Araber. In Anbetracht des Feindbildes Eudo scheinen sie keine eigenständige Wirkungsmacht zu entfalten. Zwar werden sie als Christengegner ausgewiesen, was auf der zweifellos richtigen Beobachtung von Kirchenplünderungen beruht, doch viel mehr, gar Informationen zu ihren Glaubensvorstellungen oder überhaupt zu ihren expansiven Motiven, vermag die Fredegarfortsetzung nicht zu berichten. Auch die Bezeichnung als gens perfida o.ä. ist nicht besonders originell, wenn man die gängigen Beschreibungen beispielsweise der heidnischen Sachsen und Friesen heranzieht.
Über die innere Hierarchie der Sarazenen kann der Kompilator aber immerhin einige Informationen geben. Der Rex Abdirama, übrigens ein in Anbetracht späterer Namensverstümmelungen noch außerordentlich gut überlieferter Name, wird bei Poitiers getötet. Daneben gibt es aber noch weitere reges Sarracinorum, beispielsweise, der, den Karl bei Narbonne belagert, und der, der diesem aus Spanien zu Hilfe eilt.
Ein direktes Ergebnis der Schlacht von Poitiers, nämlich die angeblich vollständige Niedermachung der soweit nördlich vorgedrungenen Sarazenen, wird durch die Vita Pardulfi widerlegt, die von Plünderungen der auf dem Rückweg nach Narbonne befindlichen Sarazenen zu berichten weiß. Überhaupt sind die praktischen Folgen der vielgerühmten Schlacht, auch in der Fredegarfortsetzung, sehr differenziert zu betrachten. Unstrittig ist, dass ihm der Sieg zumindest soviel Ansehen einbrachte, dass er sich in der Lage sah noch im gleichen Jahr nach Burgund zu ziehen, dort einflussreiche Persönlichkeiten, wie den Bischof Eucherius, auszuschalten, und die renitente Region wieder stärker ins Reich zu integrieren.
In Aquitanien hingegen herrschte bis zu seinem Tod 735 Eudo, erst danach unternahm Karl einen vereinzelten Zug bis zur Garonne. Zwar erkannte Eudos Sohn Hunoald Karl Martell politisch an, was denn auch wohl Karls eigentliches Anliegen war, doch dieses Verhältnis überlebte ihn nicht. Es sollte erst seinen Söhnen gelingen das aquitanische Fürstentum nach langen Kämpfen endgültig zu unterjochen. Mit der Wiedereingliederung Burgunds war für Karl auch der Weg in die Provençe frei. Auf diese Region konzentrierten sich denn auch seine militärischen Expeditionen in den letzten Jahren seiner Herrschaft ab 737. Neben der Absetzung des schon erwähnten Dux Maurontus konnte er hier auch die letzten Überbleibsel der alten neustrischen Opposition beseitigen, die in der Provençe Exil gesucht hatten.
Neben dieser eigentlich innenpolitischen Maßnahme gelang ihm in dieser Region zwar die Zurückdrängung der Araber nach Narbonne, welches zu dieser Zeit, wie Septimanien im allgemeinen, als gotisch verstanden und bezeichnet wurde, doch es war gerade die Provençe, die in den kommenden zwei Jahrhunderten mit am stärksten von arabischen Beutezügen betroffen sein sollte.