Hier veröffentliche ich eine Seminararbeit, die sich mit der Einstellung des Reformators Martin Luther gegenüber dem Osmanischen Reich und dem Islam befasst. Für eine größere Leserfreundlichkeit habe ich den Text in drei Abschnitte unterteilt; die Teile 2 und 3 erscheinen in den kommenden Tagen.
I. Einleitung
Die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts war maßgeblich durch die osmanische Expansion Richtung Mitteleuropa und die Auseinandersetzung mit dem Habsburgerreich gekennzeichnet. Der dadurch etablierte Diskurs der „Türkengefahr“ stellte somit auch einen wichtigen Faktor innerhalb anderer größerer Problemfelder der Zeit dar.
Das gilt insbesondere für die die frühe Phase der Reformation und ihren bedeutendsten Vertreter im Reich Martin Luther. Sein ganzes Leben und Werk durchzieht die politische wie theologische Beschäftigung mit osmanischer Expansion und islamischer Religion. Dabei nahm Luther verschiedene Rollen ein: Er war Zeitzeuge der aktuellen Ereignisse, aber auch Kommentator und Exeget, der versuchte die „Türkenfrage“ in einen größeren Zusammenhang einzuordnen. Damit verbunden war auch stets die Agitation gegen das Papsttum sowie die Apologie des reformatorischen Glaubensbekenntnisses.
Luthers Stellungnahmen erfolgten zu verschiedenen Zeitpunkten in verschiedenen Kontexten und spiegeln zum einen seinen jeweiligen Wissensstand, zum anderen die Entwicklung bestimmter Dogmen und Glaubenssätze wieder, die sich in der Auseinandersetzung mit diversen Quellen einerseits und mit seinen Gegnern andererseits herausbildeten.
Die vorliegende Arbeit versucht diese Phasen zu verfolgen und dabei die wesentlichen Argumentationsgänge Luthers sowie Kontinuitäten und Brüche in seiner Lehre herauszuarbeiten. Aus dem umfangreichen Werk des Reformators werden dazu hauptsächlich die Schriften, die sich explizit mit der „Türkenfrage“ beschäftigen, herangezogen.
Am Ende sollte die Frage nach Charakter und Originalität von Luthers Gedanken im Hinblick auf den Diskurs der „Türkengefahr“ in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts hinreichend beantwortet werden können.
II. Frühe Deutung der „Türkengefahr“
Von ca. 1480 bis 1520 waren die expansiven Bestrebungen des Osmanischen Reiches vorrangig auf den Nahen Osten konzentriert. Dessen ungeachtet erhob die römische Kurie weiterhin Anspruch auf die Eintreibung von Türkensteuern bzw. –ablässen, die nach der Eroberung Konstantinopels 1453 eingeführt worden waren. Ein Kreuzzug gegen die Osmanen hatte sich dadurch jedoch nicht materialisiert, vielmehr war die zentralistische Macht des Papsttums gestärkt worden.
Die Kritik an den Türkenablässen des Papstes wuchs also zunehmend und bildete auch einen zentralen Angriffspunkt, den der junge Martin Luther in den erklärenden „Resolutiones“ zu den 95 Thesen behandelte.
Dabei zielte er auf zweierlei: Zum einen warf er dem Vatikan mehr oder weniger offen vor, mit den eingetriebenen Geldern die eigenen Taschen zu füllen, zum anderen lehnte er den Absolutionscharakter des Ablasses ab. Den eigentlichen Grund für den militärischen Erfolg des Osmanischen Reiches sah Luther schon damals in der Sündhaftigkeit des Papsttums und der Menschen gleichermaßen. Nicht der Ablass, sondern innere Buße stellte für ihn die einzige Alternative dar. Ebenso kategorisch lehnte er auch einen Feldzug gegen die Türken ab, die in seiner Vorstellung ja als „Zuchtrute Gottes“ fungierten, folglich also ein Ankämpfen gegen sie einem Ankämpfen gegen Gott selbst gleichkäme:
„Widder die Türken streiten ist nit andersz denn widder got streben, der durch den Turcken unszer sund strafft.“
Luthers frühe Äußerungen entsprangen also einem anti-papalistischen, gegen das Ablasssystem zielenden Kontext, und waren noch wenig elaboriert, dafür durchaus mehrdeutig.
Zum Problem wurde das für Luther spätestens ab 1520, als mit Süleyman dem Prächtigen die bisher aggressivste Expansionswelle osmanischer Außenpolitik begann. Ungeachtet der tatsächlichen Gefährdung für das Reichsgebiet erzeugte eine wahre Flut in der Turcica-Publizistik ein gestiegenes, allgegenwärtiges Bedrohungsgefühl. Luthers Aufruf zur Buße als einzige Lösung machte ihn jetzt zusätzlich verdächtig und seine Gegner beschuldigten ihn des Defätismus. Konkreten Ausdruck fand das in der Bannandrohungsbulle des Papstes, woraufhin Luther sich erstmals gezwungen sah, seine Äußerungen zu präzisieren.
In seiner Antwort auf die Bannandrohung rückt er denn auch vom vorher implizierten Gewaltverzicht ab und betont vielmehr seine Prioritätensetzung. Dabei ist innere Buße die Voraussetzung für eine erfolgreiche Kriegsführung:
„Deus contra nos pugnat. Hic primum esset expugnandus lachrymis, puris orationibus, sancta vita et fide pura.”
Gerade das Scheitern früherer Kreuzzugsunternehmen beweist für ihn den mangelnden Gottesbeistand, ausgelöst durch Sünde und bestraft durch die Türken.
Die durch diesen Disput mit Rom, wie auch der häufigeren Frequenz osmanischer Feldzüge ausgelöste Beschäftigung mit der „Türkenfrage“ erlangte in den folgenden Jahren für Luther immer größere Bedeutung. Folglich suchte er sein bis dato nicht einmal rudimentäres Wissen über den Islam zu erweitern, um seinen Standpunkt fundierter vermitteln und verteidigen zu können.
weiter mit Teil 2