Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,
die Unterzeichner dieses Briefes sind Leiter von in Beirut tätigen deutschen Organisationen sowie private deutsche Staatsangehörige mit langjährigen Erfahrungen im Alltags,- Wirtschafts,- und Politikleben des Landes. Wir wenden uns an Sie unter dem schmerzhaften Eindruck der Aggression, die dieses Land wiederum erleidet und möchten bei Ihnen eine angemessene Reaktion auf dieses Geschehen anmahnen.
Eindeutig verurteilen wir die Entführung israelischer Soldaten und alle gewalttätigen Aktionen von Hezbollah ohne jede staatliche Legitimation. Die militärische Antwort des Nachbarstaates auf die Entführung der Soldaten verletzt jedoch zweifelsfrei die gebotene Verhältnismäßigkeit. Sie dient nicht der Selbstverteidigung nach Art. 51 UN-Charta und widerspricht dem Völkerrecht. Die israelischen Attacken, die praktische Gefangennahme beider Völker -sowohl im Gaza-Streifen wie nun im Libanon- steht auch im Widerspruch zu Prinzipien unserer eigenen Rechtsordnung, die der staatlichen Gewalt Grenzen setzt.
Die Zerstörung der nach dem Bürgerkrieg soeben wieder aufgebauten Infrastruktur des Landes (Flughafen, Elektrizitäswerke, Brücken, Straßen , Wohnhäuser), wirft das Land wirtschaftlich in die 80iger Jahre zurück. Die Blockierung der Häfen macht die Versorgung von 3,6 Millionen Menschen unmöglich. Die anhaltende planvolle Zerstörung aller Verkehrsverbindungen mit Syrien verwandelt das gesamte Land praktisch in ein großes Gefängnis. Wir erleben diese Zerstörung als Zerstörungswut, wenngleich sie kalkuliert sein mag. Und wir fragen Sie: Kann dieser Terror als Selbstverteidigung eines Landes gerechtfertigt bzw. mit der Befreiung von Soldaten begründet werden?
Von dieser Einlassung ist die israelische Regierung inzwischen selbst abgerückt und nimmt nun für sich in Anspruch, für die Einhaltung des UN-Sicherheitsrats Beschlusses 1559 (Entwaffnung der Hezbollah) sorgen zu wollen. Aber auch diese Begründung gestattet nicht das unmenschliche und völkerrechtswidrige Vorgehen Israels. Es versperrt im übrigen jede Aussicht auf Erfolg für die seit Monaten laufenden Bemühungen des Ministerpräsidenten Fouad Siniora, durch inner-libanesischen Dialog zu diesem Ergebnis zu kommen.
Viele unter uns haben vergleichbares Vorgehen der israelischen Regierung bei der Invasion von 1982, die bei Beginn auch mit Art. 51 (Selbstverteidigung) vor der Welt gerechtfertigt wurde, miterlebt. Damals haben die Truppen von Sharon 2.000 (=israelische Quellen) bis 18.000 (=libanes. Quellen) Menschen getötet. Die Verbrechen von Sabra und Chatila unter der Verantwortung der israelischen Truppen sind unvergessen.
Zu der Frage nach Ursache und Wirkung können die Unterzeichner mit vielen Details und eigenen Erfahrungen beitragen: hier kommt jedoch niemand zu dem Schluss, dass der anhaltende Bomben-Terror der Selbstverteidigung Israels dienen könnte.
Wir sind der Überzeugung, dass dieses Land seit 1978 ständigen Demütigungen seitens der israelischen Regierung unterworfen wird, die ein Ende finden müssen. Wir fordern Sie auf, sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, sich in den Schmerz des Libanon und die Verzweiflung derjenigen, die diesen Terror miterleben, einzufühlen und die Rechtfertigung der anhaltenden Bombardierungen seitens der übermächtigen Kriegspartei auch öffentlich aufzugeben.
Demütigungen und Hoffnungslosigkeit tragen dazu bei, Extremismus zu fördern. Bisher haben Ihre öffentlichen Erklärungen den betroffenen hilflosen Menschen hier keinerlei Hoffnung gegeben.
Mit freundlichen Grüßen
Uwe Weltzien Dr. Willy Rellecke
Pfarrer EV. Gemeinde Beirut