05.05.2014
Zwischen Hammer und Amboss - Israel und die Ukraine-Krise

Jüngst verweigerte Israel den USA die Gefolgschaft vor der UN: Einer Abstimmung über eine Resolution zur Souveränität der Ukraine blieb die israelische Delegation fern. Ein Affront gegenüber dem engsten Verbündeten? Weniger möchte Israel die USA düpieren, als vielmehr Russland nicht auf die Füße treten, meint Gastautor Adrian Paukstat.

 

„Überrascht“ sei man gewesen, so ein hochrangiger Offizieller des amerikanischen Außenministeriums gegenüber der israelischen Zeitung Ha'aretz, dass Israel sich bei der Abstimmung über die Resolution der UN-Generalversammlung, welche die Politik Russlands gegenüber der Ukraine verurteilte, enthielt. Insbesondere die Aussage von Israels Außenminister Avigdor Lieberman, man verfüge über gute Beziehungen zu beiden Seiten und müsse sich deswegen nicht in die Angelegenheit verwickeln lassen, erzürnte Washington.

Auf russischer Seite sah man das naturgemäß anders: „Israel rejects Washington's pressure over Ukraine“, titelte zum Beispiel die Voice of Russia. Generalmajor Amos Gilad kommentierte für das militärische Establishment in Israel den Eklat mit der lapidaren Feststellung, dass die Sicherheitsinteressen Israels und der USA nun mal nicht notwendigerweise identisch seien.

In offiziellen Verlautbarungen werden leisere Töne angeschlagen. Dort erklärt Israel die Entscheidung, der Abstimmung fernzubleiben, mit einem Streik des diplomatischen Korps. Allerdings scheint diese Verlautbarung eher einen cleveren diplomatischen Schachzug, als eine wirkliche Erklärung für das Verhalten Tel Avivs darzustellen. Israel hält sich in der Ukraine-Krise mehr als bedeckt. Doch kennzeichnet die israelische Politik keineswegs einen zentralen Richtungswechsel. So selten es auch vorkommen mag, dass Israel vor der UN nicht unisono mit den USA abstimmt, zeigen sich doch gewisse Logiken in der Außenpolitik Tel Avivs, die man gegenüber Russland seit langem kennt. Fast vergessen sind die Aussagen Ariel Sharons, damals Verteidigungsminister, in Bezug auf die NATO Intervention im Kosovo 1999. Noch deutlich unverblümter als Lieberman und Netanjahu heute, nannte Sharon damals die Politik der USA „brutalen Interventionismus“ und fand sich auch hier im Einklang mit Moskau. Auf welcher Motivation beruht aber nun das seltene Ausscheren Israels aus dem westlichen Konsens bezüglich der Ukraine?

Kulturelle Bande

Einen zentralen Erklärungsansatz bieten die kulturellen Verbindungen beider Länder. Seit dem Zerfall der Sowjetunion und der damit verbundenen massenhaften russisch-jüdischen Auswanderung nach Israel, wurde das Land Heimat einer zunehmend wachsenden russischsprachigen Gemeinde. Diese Minderheit verfügt über eine sowohl von sephardisch-arabischstämmigen Juden wie auch französisch- oder amerikanisch-stämmigen Juden stark unterschiedliche Kultur: So gibt es unter anderem mehrere russischsprachige Zeitungen in Israel sowie eigene soziale Einrichtungen und Verbände. Nicht zuletzt stellt die russischsprachige Bevölkerung – immerhin rund ein Siebtel der Gesamtbevölkerung – ein beachtliches Wählerreservoir dar, vor allem für die Parteien rechts der Mitte, denen jene Minderheit politisch überwiegend zuneigt.

In den bilateralen Beziehungen zwischen Russland und Israel spielt die über diese Einwanderer vermittelte kulturelle Beziehung der beiden Staaten eine zentrale Rolle. Auch Israels Außenminister Avigdor Lieberman wird gemeinhin eine gewisse „Russophilie“ zugeschrieben. Da liegt es nahe, darin die „Neutralität“ Tel Avivs begründet zu sehen.

Dennoch wäre es falsch, sich hier zu schnellen Schlussfolgerungen verleiten zu lassen. Die russophone Community in Israel kann keineswegs als monolithischer Block betrachtet werden. Schon die Herkunftsländer der Zuwanderer sind über das ganze Territorium der Sowjetunion verteilt. Dementsprechend sind auch die politischen Positionen innerhalb der Gemeinde, zumindest in Bezug auf Russland, heterogen und keineswegs einheitlich moskaufreundlich. Naheliegender scheint es in diesem Kontext, von ganz nüchternen realpolitischen Erwägungen auszugehen. Russlands politische Entwicklung in den letzten 20 Jahren ist der Schlüssel zum Verständnis der bilateralen Beziehungen.

Russland als „global player“ im Nahen Osten

Nach dem Zerfall der Sowjetunion war die russische Föderation zunächst einmal mit sich selbst beschäftigt. Große Schritte auf der diplomatischen Weltbühne waren vorerst nicht denkbar. Zwar bemühte sich Moskau schon unter Jelzin wieder als starker Akteur in der Region aufzutreten, eine Politik, die vor allem mit Russlands Aufnahme in das Nahost-Quartett auch tendenzielle Erfolge zeitigen konnte. Doch war Jelzin nicht in der Lage über einen längeren Zeitraum eine kohärente Nahostpolitik zu konzeptionieren. Hierfür war der politische Spielraum in einem Staat, der von vielen Machtzentren geprägt war, schlicht zu eng.

Die „wilde Privatisierung“ der neunziger Jahre führte zur Entstehung einer oligarchischen Wirtschaftselite. Oft auf dubiosen Wegen zu ihrem Reichtum gekommen, betrachtete diese den Staat eher als Beuteobjekt denn als politische Institution. Der Staat als von der Ökonomie geschiedene und über deren Partikularinteressen stehende Instanz existierte, wenn überhaupt, in einem erst embryonalen Stadium.

Erst Putin begann mit seiner Partei „Einiges Russland“ die Oligarchen zu entmachten und den Zentralstaat überhaupt erst wiederherzustellen. Darauf folgend gelang es ihm, das bereits von Jelzin unternommene Projekt eines Aufstiegs Russlands zum „global player“ im Nahen Osten, zumindest teilweise zu verwirklichen.

Die Politik Putins kennzeichnete hierbei ein fundamentaler Paradigmenwechsel. Während zur Zeit der UdSSR der Nahe Osten in „progressive“ und „reaktionäre“ Regime aufgeteilt wurde, versuchte Putin nun, sich möglichst alle Türen offen zu halten. Einerseits setzte er die Unterstützung des klassischen Klienten der Sowjetunion, Syrien, fort. Anderseits baute er seine Kontakte zu den Golfmonarchien aus. Diese waren insbesondere von der amerikanischen Irak-Politik abgeschreckt, welche einen zunehmenden Einfluss schiitischer Kräfte in dem Land bewirkte und waren daher allzu bereit die Tür nach Russland nicht zufallen zu lassen.

Appeasement und gemeinsame Interessen

In diesem Kontext besteht die Bedeutung Russlands für Israel vor allem in zwei zentralen Sachverhalten: Russlands politischer Einfluss in der Region und seine außenpolitische Strategie bedeuten für Israel vor allem eines – Russland ist zwar kein direkter außenpolitischer Gegner, in dem Sinne wie es die UdSSR war, jedoch ist Moskau durchaus in der Lage, Israel das Leben in der Region schwer zu machen.

Bestes Beispiel hierfür wäre das ständige Ersuchen der syrischen Regierung nach S300 Luftabwehr-Raketen, welche von Russland bisher (und wohl absichtlich) nur in sehr dosiertem Maße geliefert wurden. Auch Russlands Möglichkeit, mäßigend auf den Iran einzuwirken, stellt einen zentrale Motivation für Israel dar, gegenüber Moskau außenpolitisch so sensibel wie möglich aufzutreten.

Netanjahu weiß in diesem Kontext ganz genau, dass es unter Umständen schwere Konsequenzen haben kann, Moskau auf die Füße zu treten – Washington zu düpieren jedoch nicht. Denn deren Waffen, Dollars und diplomatischer Unterstützung kann sich Netanjahu sicher sein.

Des Weiteren sind sich beide Seiten der Herausforderung vor allem durch den Islamismus bewusst. Nicht zuletzt in Bezug auf das harsche Vorgehen des russischen Militärs in Tschetschenien können sich Moskau und Tel Aviv zumindest in diesem Punkt als Brüder im Geiste wähnen. Auch in der Ukraine-Krise fürchtet Tel Aviv Positionen zu unterstützen, die sich gegen Israel selbst wenden könnten. Die Besatzer fürchten Präzedenzfälle für etwaige Interventionen. Dies wusste auch schon Ariel Sharon, als er 1999 gegenüber einer Belgrader Zeitung in Bezug auf die Politik der NATO gegenüber Milosevic sagte: „The moment that Israel expresses support […] it's likely to be the next victim. Imagine that one day Arabs in Galilee demand that the region in which they live be recognised as an autonomous area, connected to the Palestinian Authority...“

Adrian hat Anglistik, Geschichte und Konfliktforschung in Augsburg studiert. Von 2012 bis 2014 war er mehrmals in Israel/Palästina 2012-2014 und studierte Hebräisch in Jerusalem. Sein Regionalschwerpunkt liegt auf Bilad ash-Sham im Allgemeinen und Israel/Palästina im Speziellen. Seit 2017 ist Adrian bei dis:orient und dort vor allem im...