01.02.2008
Zur politischen Relevanz des Aga Khan III für Indiens Muslime in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Teil IV

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II.4. Exil und Teilung Indiens

Während des Zweiten Weltkriegs lebte der Aga Khan in der Schweiz und war, wie bereits erwähnt, aufgrund des neutralen Status der Schweiz dazu verpflichtet, keinen politischen Aktivitäten nachzugehen. Als der Krieg endete, war die Teilung Indiens bereits abzusehen, der Aga Khan gab das Ideal einer indischen Konföderation aber erst sehr spät auf. Im Winter 1946/1947 traf er bei einem Besuch in Indien Gandhi ein letztes Mal, um ihn von einer Kompromisslösung mit einer wahrhaftig föderalen Regierung zu überzeugen. Nach diesem Gespräch begrub er seine Hoffnungen und unterstützte fortan die Sezession Pakistans von Indien.

Abschließend lässt sich resümieren, dass die letzten großen Schritte auf dem Weg zur Teilung Indiens ab 1935 ohne den Aga Khan gegangen wurden. Nach den Misserfolgen der AIML bei den Wahlen 1937 und der anschließenden Dominanz des INC war es vor allem Muhammad Ali Jinnah, der den Weg zur Teilung Indiens vorzeichnete, vorantrieb und zur absoluten muslimischen Führungsfigur in Indien aufstieg.

III. Politische Konzeptionen des Aga Khan zur politischen Umgestaltung des indischen Subkontinents

III. 1. India in Transition 1918

Im Winter 1917/18 verfasste der Aga Khan in Bombay sein einziges ausführliches politisches Werk „India in Transition“. In dieser Schrift spricht er sich unter anderem für die weitgehende konstitutionelle Umgestaltung Indiens aus. Aufgrund der riesigen Fläche und der hohen Bevölkerungszahl des Subkontinents, der zahlreichen Völker und Religionen sei eine starke indische Zentralregierung nicht erwünschenswert. Vielmehr ließen die aufgezeigten Voraussetzungen einzig eine föderale Staatsstruktur zu, in der den Provinzen umfassende Kompetenzen zugestanden würden, damit diese sich bestmöglich mit den regional unterschiedlichen Problemen bezüglich „Bildung, Abwasserentsorgung, Straßenbau, Handel und Industrie“ auseinandersetzen könnten. Die indische Exekutive solle im Übrigen auch weiterhin der übergeordneten britischen Kolonialverwaltung mit dem Vizekönig an ihrer Spitze unterstehen. Mit der Ernennung indischer Provinzgouverneure durch den Vizekönig strebte der Aga Khan eine wichtige Veränderung zugunsten indischer Selbstverwaltung an. Zudem sollten die kleineren Provinzen deutlich vergrößert werden, um mittelgroßen europäischen Staaten zu entsprechen, einhergehend mit der Neuziehung von Grenzen anhand der dominanten Kriterien Sprache und Rasse, gefolgt Religion und Geschichte. Nur unter diesen Voraussetzungen könnten sich in den einzelnen Provinzen kohärente Einheiten, „Nationalitäten“, entwickeln, die sich in Anbetracht ihrer Größe und Homogenität in der Zukunft auf Augenhöhe mit manchen europäischen Staaten befinden könnten.

In diesem Zusammenhang ist aus muslimischer Perspektive vor allem der Vorschlag bedeutend, im Nord-Westen Indiens eine große muslimische Provinz aus Sindh, Baluchistan und der North-Western Frontier Province zu kreieren. Urdu sollte als Amtssprache verwendet werden, obwohl sie in weiten Teilen dieser vorgeschlagenen Provinz nicht gesprochen wurde. Zwölf Jahre später sollte Muhammad Iqbal diese Idee fortsetzen, indem er eine muslimische Provinz im Nord-Westen einschließlich des Punjab forderte. 1933 gipfelten diese Überlegungen in Chaudhary Rahmat Alis Pamphlet “Now or Never; Are we to live or perish forever?”, das eine unabhängige muslimische Föderation, inklusive Kashmirs, mit Namen Pakistan vorschlug.

Die Etablierung einer indischen Föderation sollte dabei den Nukleus für eine weit größere Konföderation in Südasien bilden. Gemäß den Vorstellungen des Aga Khan sollte sich zunächst Afghanistan mit der indischen Föderation freiwillig assoziieren, anschließend würden die arabischen Sheikhtümer am persischen Golf, Persien, Ceylon, Nepal, Bhutan und Tibet dem Beispiel Afghanistans folgen. Ein gemeinsames Verteidigungssystem und eine Zollunion würden gegen externe Aggressoren und ökonomische Ausbeutung als effizienter Schutz dienen. Ansonsten solle jedes Mitglied der Konföderation in seinem Handeln autonom sein. In diesem Zusammenhang prägte der Aga Khan den Begriff der „United States of South India within the British Empire“.

Es bleibt festzustellen, dass in dem Konzept des Aga Khan von 1918 trotz der weit reichenden Reformforderungen die britische Oberherrschaft grundsätzlich nicht in Frage gestellt wird. Als wichtigste Parameter für die Umgestaltung der Provinzen führt der Aga Khan das Territorium und die Sprachenfrage an, die Komponente Religion wird nicht ausführlich abgehandelt. Der Aga Khan argumentiert auf der Basis eines territorialen Nationalismus und regionaler Loyalitäten. Somit scheint auch der Gedanke einer muslimischen Sezession vom Hindu-dominierten Subkontinent noch nicht zur Debatte zu stehen, die Zwei-Nationen-Theorie wird nicht in Erwägung gezogen. Ebenso wird die Debatte um separate Wählerschaften für Minderheiten, für die sich der Aga Khan insbesondere von 1906-1909 in der Presse und bei politischen Veranstaltungen vehement einsetzte, nicht aufgegriffen Dies ist im Kontext der vor allem durch Jinnah vorangetriebenen Annäherung zwischen der AIML und dem INC zu verstehen, die in den Vereinbarungen des Lucknow Pact 1916 mündete, die unter anderem separate Wählerschaften für sämtliche Minderheiten vorsahen.

Das Konzept der „United Nations of South Asia“ kann ohne weiteres als innovativ bezeichnet werden. Ein derart ausgeprägter Föderalismus verbunden mit der Inklusion nicht-indischer Territorien lässt sich zu diesem Zeitpunkt bei keinem weiteren einflussreichen muslimischen Politiker Indiens erkennen. Insbesondere der Vorschlag, die muslimischen Provinzen im Nordwesten des Landes zu einer gewichtigen Einheit zusammen zu fassen, wurde wie geschildert in der Folgezeit immer wieder aufgegriffen und kann als erster Schritt einer Entwicklung interpretiert werden, die mit der Teilung Indiens und der Entstehung Pakistans endete. Dies scheint umso bemerkenswerter, da der Aga Khan 1918, als „India in Transition“ veröffentlicht wurde, keine herausragende Stellung unter den muslimischen Politikern Indiens einnahm und kritisch von den Führungskräften der AIML beäugt wurde.

Christoph ist studierter Islam-, Politik- und Geschichtswissenschaftler mit Fokus auf Westasien. Der Mitgründer von Alsharq - heute dis:orient - war zwischen 2011 und 2014 bei der Friedrich-Ebert-Stiftung und dem Willy-Brandt-Zentrum in Jerusalem tätig. In Berlin arbeitet er als Geschäftsführer für Alsharq REISE. Christoph hält regelmäßig...