Nach dem Ausstieg der USA aus dem Internationalen Atomabkommen überschlagen sich die Analysen und Berichte zu den möglichen Folgen für Europa, die USA und die politische Situation in Westasien. Wie geht es jedoch jungen Iraner*innen selbst mit dieser Entscheidung?
Wir sitzen in einem Café im Zentrum Teherans, einem jener szenigen Treffpunkte junger Iraner*innen, die in den letzten Jahren wie Pilze aus dem Boden geschossen sind. Das Café gehört einem Bekannten, Majid, und manchmal treffen wir uns hier am Abend mit einer Gruppe von Freund*innen. So auch heute, am Dienstag, den 8. Mai.[1]
Das Café ist leer, außer unserem ist nur ein weiterer Tisch besetzt. „Das war schon den ganzen Tag so“, meint Majid und fährt fort, „die Leute haben Angst, dass ihr Geld nach diesem Abend nur noch halb so viel wert ist. Da behalten sie es lieber bei sich.“ Galgenhumor ist weit verbreitet dieser Tage, auch in Bezug auf den rasanten Währungsverfall, den der iranische Rial in den letzten Monaten erlebt hat und der auch im Zusammenhang mit den politischen Entwicklungen gesehen wird, die heute Abend endgültig besiegelt werden sollen.
Wir warten auf Trumps Rede, die Stimmung ist gedrückt von dunkler Vorahnung. Dank VPN hat Majid BBC Persia auf seinem Handy eingeschaltet und es mit den Lautsprechern des Cafés verbunden. Um 22:30 ist es soweit. Schweigend lauschen wir den synchron ins Persische übersetzten Worten des US-Präsidenten, trinken Tee und rauchen Zigaretten. Mehr als einmal müssen wir angesichts einer Bemerkung bitter auflachen.
„Sie töten die junge Generation“
Majid ist der erste, der das Schweigen bricht. Mit einer Tirade an Flüchen und Beschimpfungen macht er seinem Ärger über den US-Präsidenten Luft, niemand widerspricht ihm. Dann schweigen wir wieder eine Weile über unserem Tee.
Schließlich meint Hosein in einem Anflug von Optimismus: „Na ja, wenn die anderen Staaten das Abkommen einhalten, dann ändert sich ja vielleicht gar nicht so viel an der Situation.“
„Als ob das eine Beruhigung wäre“, entgegnet Sepideh wütend. „Viel schlimmer kann es doch gar nicht werden! Die Wirtschaft ist am Boden, mit oder ohne Barjam.[2] Das Geld, das durch den Ölexport und Handel ins Land kommt, fließt nur in die Taschen der politischen und wirtschaftlichen Eliten, mit oder ohne Barjam.“
„Sie töten die junge Generation“, pflichtet Majid ihr bei, wobei er offenlässt, wen er mit „sie“ meint. „Wir wollen ja vorwärtskommen, Geschäfte machen, das Land aufbauen. Aber es ist unmöglich in der momentanen Situation. Mein Café hier kann ich auch bald dicht machen.“
„Ich will einfach nur raus“, wendet sich Fatemeh an mich, die Ausländerin. „Wir alle wollen das. Aber das ist unmöglich. Weißt du, wieviel zum Beispiel ein Visum in die USA kostet? Ich müsste mit meinem derzeitigen Gehalt…“ – sie rechnet kurz nach – „…4000 Jahre arbeiten, um das aufzubringen.“
Gespräche dieser Art sind keinesfalls neu, im Gegenteil. Der steigende Frust über die politische und wirtschaftliche Lage trotz Atomabkommen ist schon seit Monaten deutlich spürbar. Zu Beginn des Jahres hatte er sich in landesweiten Protesten Bahn gebrochen.
Und die Wut ist begründet: Trotz Wirtschaftswachstum fiel das Einkommen privater Haushalte in den vergangenen Jahren ab, während die Arbeitslosigkeit stetig anstieg. Vor allem junge Menschen sind von diesen Entwicklungen betroffen: Jeder dritte 15- bis 24-Jährige ist arbeitslos– und das in einem Land mit einem Durchschnittsalter von 30 Jahren.
„Wir leiden unter dem Missmanagement der Regierung mehr als unter den Sanktionen“
In den Tagen vor dem offiziellen Ausstieg der USA aus dem Atomabkommen habe ich mich immer wieder bei Freunden und Bekannten erkundigt, welche Bedeutung sie diesem Ereignis zumessen. Erstaunlicherweise zeigten sich die meisten relativ unbeeindruckt, ja, manche wussten noch nicht einmal, dass eine solche Entscheidung anstünde.
Ein iranischer Freund, der derzeit im europäischen Ausland lebt und daher eine Außenperspektive einnimmt, entgegnete auf meine Nachfrage: „Die Menschen in Iran wissen nicht, wie wichtig Trumps Entscheidung ist, weil die iranischen Medien ihnen nichts dazu sagen. Sie haben einen anderen Blick auf die Entwicklungen.“
Im Café frage ich meine Freunde*innen, warum die Menschen anscheinend so gelassen mit der Situation umgehen. „Für uns sind solch schwierige Situationen der Normalzustand“, entgegnet Sepideh. „Und viele Menschen interessieren sich auch nicht für diese Neuigkeiten, weil sie glauben, dass es für sie keinen Unterschied macht, was im Ausland beschlossen wird. Die meiste Schuld schieben sie ohnehin auf die Regierung.“
„Wir leiden unter dem Missmanagement des Regimes mehr als unter den Sanktionen“, bekräftigt Ashkan.
Fatemeh wiegt den Kopf. „Na ja, die Sanktionen haben der Wirtschaft sehr geschadet. Haben uns sehr geschadet, den Menschen in Iran. Der Atomdeal war eine Chance, aber es stimmt schon, wir haben kaum Besserung gespürt.“
Auf meine Frage, woran das ihrer Meinung nach liege, fügt sie hinzu: „Das hing auf der einen Seite mit dem politischen Kurswechsel der USA nach der Wahl Trumps zusammen. Aber es gibt auch sehr viele interne Faktoren, die eine Besserung verhindert haben.“
Ich frage sie, welche Faktoren sie meint. „Einmal die Korruption natürlich, die verhindert, dass das Geld produktiv investiert wird“, erwidert sie. „Aber das politische System in Iran ist ein Problem an sich. Es ist so kompliziert, es gibt so viele verschiedene Machtzentren, die im Wettbewerb miteinander stehen und sich gegenseitig behindern. Niemand weiß wirklich, was passiert. Ich glaube, die Regierung selbst hat keine Ahnung, was sie tut.“
„Die Regierung verhält sich genauso wie in dieser Geschichte von Marie-Antoinette mit dem Brot und dem Kuchen“, meint Ashkan. „Sie hat keine Ahnung, was in der Welt passiert. Und sie hat auch keine Ahnung, wie es uns Iraner*innen geht.“
„Unser Leben ist wie eingefroren, wir wissen nicht was vor uns liegt“
„Was mir wirklich Angst macht“, meint Sepideh, „ist der Gedanke, dass Teile des Regimes – damit meine ich vor allem die Revolutionsgarden – sich tatsächlich auf einen Krieg einlassen könnten, um die Krise zu überstehen.“
Hosein widerspricht ihr: „Es wird keinen Krieg geben! Die Regierung hat doch gar nicht das Geld dazu. Und sie wissen, dass die Iraner*innen nicht dahinterstehen würden.“
Lachend entgegnet Majid: „Unterschätze niemals den Nationalismus der Iraner*innen!“
Mich schaudert es bei diesen düsteren Aussichten. Wie so oft wundere ich mich, wie verhältnismäßig gelassen meine iranischen Freund*innen und Bekannten mit ihrer Lebenssituation umgehen. Wie schaffen sie das, möchte ich wissen.
„Wir sind die Unsicherheit einfach gewohnt. Stabilität kennen wir nicht“, meint Hosein.
„Unser Leben ist wie eingefroren, wir wissen nicht, was vor uns liegt“, sagt Fatemeh. „Aber viele glauben, dass sehr bald eine große Veränderung kommen wird.“
„Bald kommt eine Flut, die alles wegspült“, bekräftigt Ashkan. „Das Regime wird sich nicht halten können, es hat zu wenig Unterstützung in der Bevölkerung.“
Fatemeh pflichtet ihm bei. „Ich glaube auch, dass irgendwann – in naher oder ferner Zukunft – der Punkt kommen wird, an dem das Regime die Kontrolle verliert. Aber sie werden keine guten Verlierer sein, sie werden sich an ihre Macht klammern. Nicht so wie der Schah, der einfach abgehauen ist. Es wird vermutlich viel Blut fließen.“
„Ja, wir werden viel leiden, aber wir werden es überleben“, meint Majid mit einem schiefen Grinsen.
Fußnoten:
[1] Das Szenario ist fiktiv. Die Aussagen entstammen wirklichen Unterhaltungen mit jungen Iraner*innen. Die Namen wurden zum Schutz der Personen geändert.
[2] „Barjam“ ist das persische Kürzel für den Atomvertrag zwischen den fünf UN-Sicherheitsrat-Ländern, Deutschland, der Europäischen Union und Iran.