27.12.2012
Vor die Wahl gestellt II: Stimmen aus Israel und Palästina zu den Knessetwahlen

Liebe Leserinnen und Leser,

es folgen weitere Stimmen zu den israelischen Parlamentswahlen am 22. Januar. Dieses Mal kommen der Vorsitzende des Jungen Likud und zukünftige Knessetabgeordnete Davidi Hermelin, die palästinensische parteipolitische Aktivistin Tamara aus Ostjerusalem und Uri Shani, israelischer Theaterregisseur und aktives Mitglied von Tarabut-Hitchabrut aus Tiv´on zu Wort.

Tamara, Palästinenserin aus Ostjerusalem

Warum sind die israelischen Parlamentswahlen wichtig?

Israelische Wahlen spielen eine wichtige Rolle, weil sie sich auf die gesamte Region auswirken. Als führende Figur der Besatzungsmacht bestimmt und feinjustiert der nächste Ministerpräsident Israels die  Besatzungsstrategien. Er oder sie entscheidet auch, welche Vergeltungsmaßnahmen Israel als Antwort auf die diplomatischen Erfolge der palästinensischen Führung bei den Vereinten Nationen ergreifen wird.

Was sind Deine Erwartungen bezüglich der Wahlen?

Ich glaube, dass der Ausgang der Wahlen in Israel unklar ist. Wenn alle linken Parteien in Israel sich zu einer Koalition zusammenschließen würden, denke ich, dass sie eine gute Chance hätten, die Wahlen zu gewinnen. Die Popularität des jetzigen Ministerpräsidenten und seiner Koalition mit Ex-Außenminister Lieberman ist seit dem Angriff auf den Gaza-Streifen nicht mehr besonders hoch ist, auch wegen Liebermans Korruptionsskandal.

Wer soll auf keinen Fall die Wahlen gewinnen und warum?

Ich hoffe, dass die Netanjahu/Liebermann Koalition wegen ihrer rassistischen Aussagen und ihrer Politik - den expandierenden Siedlungen in der Westbank und Neugründungen von Siedlungen sowie ständigen Verletzungen von Menschenrechten und Verstößen gegen die Vierte Genfer Konvention - die Wahlen verlieren wird. Mit ihrer Bildungspolitik versucht die Koalition Netanjahus gegenwärtig, die junge israelische Generation dahingehend zu erziehen, dass sie die Regierungspolitik stillschweigend akzeptiert.

Worauf sollte sich die neue Regierung konzentrieren und warum?

Die neue Regierung sollte alle Formen des Siedlungsausbaus sofort stoppen und alle nötigen Schritte unternehmen, um einen nachhaltigen und starken Frieden auf der Grundlage einer Zwei-Staaten-Lösung mit den Palästinensern zu erreichen. Diese Lösung sollte einen palästinensischen Staat mit Ost-Jerusalem als seine Hauptstadt, das Recht auf Selbstbestimmung des palästinensischen Volkes und eine faire Lösung für palästinensische Flüchtlinge beinhalten.

Davidi aus Zefat/Safad

In Vorbereitung auf die Wahlen haben Ministerpräsident Netanjahu und Außenminister Lieberman mit der Nachricht schockiert, dass die Parteien Likud und Israel Beiteinu eine gemeinsame Liste für die Wahlen am 22.Januar aufstellen wollen. Diese Entscheidung war aus verschiedenen Gründen überraschend.

Die größte Überraschung war vielleicht, dass diese Information nicht schon vorher an die Presse gelangt ist. Im porösen politischen System Israels war das eine besondere und wichtige Errungenschaft. Aber dennoch ist dieser Zusammenschluss nicht unproblematisch, denn die beiden Parteien sind sich ideologisch nicht in allem nah: Liebermans Ruf als Hardliner und sein brüsker Politikstil verbergen seinen raffinierten Kopf in der israelischen Politik. Während ihn viele Beobachter eindeutig als rechts einordnen würden, so ist seine Politik und die seiner Partei dennoch schwer einzuordnen. Er ist auf keinen Fall ein „Peace-Leftist“, aber auch kein klassischer „Erez-Israel“ –Anhänger wie viele Likudniks. Liebermans Partei unterstützt nicht nur die Zwei-Staaten-Lösung, sondern bewegt sich auch sehr weit außerhalb des israelischen Konsenses was einen weitreichenden Landaustausch mit den Palästinensern anbetrifft: Dies würde bedeuten, dass die palästinensischen Städte Israels einem zukünftigen Staat Palästina zugehörig wären und dafür die israelischen Siedlungen in der Westbank in den Staat Israel eingegliedert werden könnten. Einen großen Nachteil, unter dem Israel Beitenu leidet, ist die mangelnde Kenntnis des amerikanischen Judentums - geschweige denn ein effizientes Netzwerk in den Vereinigten Staaten. Dieses Thema wird die nächsten Wahlen wahrscheinlich nicht beeinflussen, allerdings wurde der Rotem-Gesetzesentwurf, 2010 von einem Mitglied von Israel Beiteinu vorgeschlagen, als der Versuch verstanden, die Bedeutung des Diaspora-Judentums und die Rolle möglicher Konvertiten für Israel zu negieren.

Dann ist da noch die Herausforderung der Haredim (Ultra-orthodoxen). Viele der Israel Beiteinu-Unterstützer sind aus der ehemaligen Sowjetunion. Diese Gruppierung ist absolut säkular und viele sind mit dem Problem konfrontiert, ihre jüdische Identität (in der Regel den Nachweis, eine jüdische Mutter zu haben, Anmerkung der Redaktion) entsprechend der strengen Richtlinien des orthodoxen israelischen Oberrabbinates nachzuweisen. Aus denselben Gründen haben viele auch Probleme, sich zu verheiraten. Aufgrund dieser problematischen Situation haben diese Leute sehr wenig Verständnis und Geduld für die religiösen Sensibilitäten der Ultra-Orthodoxen. Deswegen ist die gemeinsame Likud Beiteinu-Liste (übersetzt: Likud ist unser Haus) durchaus von der anti-orthodoxen Agenda von Israel Beiteinu durchsetzt. Das wird Netanjahu vielleicht noch bereuen, denn seit Menachem Begins Koalition von 1977 besteht eine enge Allianz zwischen den Nationalisten von Likud und den Orthodoxen und Ultra-Orthodoxen. Zwar Lieberman  kooperiert auch in der jetzigen Koalition mit den Ultraorthodoxen, es ist jedoch ein ständiges Auf-und Ab. Es ist nicht klar, welchen Effekt diese neue politische Führung innerhalb der gemeinsamen Parteistruktur auf die Chancen einer zukünftigen Likud-Orthodoxen/Ultraorthodoxen Koalition in der Knesset haben wird.

 

Uri, 46 Jahre aus Tiv´on (Nordisrael)

Warum sind die israelischen Parlamentswahlen wichtig?

Ich mache mir nicht die geringsten Illusionen über den undemokratischen Charakter des zionistischen Regimes. Aber auch wenn Dir die Hände in Schellen gelegt werden, hebst Du sie nicht in die Höhe? Nützt Du nicht jeden geringsten Spielraum, der Dir gegeben wird? Die Knesset, dieses sogenannte "Parlament", ist dieser winzige Spielraum, und mehr noch: die Wahlen politisieren, sie geben die Gelegenheit, mit Menschen über das soziale und das ökonomische Gefüge zu sprechen und nachzudenken. Es muss betont werden: keine Wahlen können unsre Gesellschaft gesunden. Spätestens der arabische Frühling hat gezeigt, dass es nicht Wahlen sind, die eine Demokratie ausmachen. Die Wahlen sind nicht zuletzt eine Gelegenheit, die Lügen der Mächtigen allen zu zeigen, die Machenschaften der Mächtigen bloßzustellen und die Ballons mit den verlogenen Slogans zu zerplatzen. 
Allerdings besteht auch die Gefahr einer Desillusionierung. Trotzdem suggeriert nur schon das Wort "Wahlen", dass es eine Möglichkeit gäbe, mit Hilfe des Stimmzettels etwas zu verändern, und diesem Trugbild muss vorgebeugt werden.

Was sind Deine Erwartungen bezüglich der Wahlen?

Das Ablenkungsmanöver hat schon stattgefunden: wiedermal ein Angriff auf den Gazastreifen. Vielleicht wird es noch eines geben, aber es hat wahrscheinlich – so die Rechnung der Regierung – soweit gereicht. Da die stimmberechtigte Bevölkerung verwirrt und eingeschüchtert ist, zugleich aber eine Veränderung will, kann es sehr wohl zu oberflächlichen Überraschungen kommen, wie 2006, als die Rentnerpartei sieben Mandate erhielt, dann aber 2009 nicht mehr existierte. Im allgemeinen ist wahrscheinlich ein weiterer Rechtsrutsch zu erwarten, obschon es scheint, dass dies gar nicht mehr möglich ist. Eine schwerwiegende Veränderung ist aber nicht von den Wahlen zu erwarten.

Wen wirst Du auf keinen Fall wählen?
Natürlich keine zionistische Partei. Höchstwahrscheinlich auch nicht Chadash, denn es hat sich herausgestellt, dass die Kommunistische Partei, der Hauptteil dieser Front, gegen die wir von Tarabut-Hitchabrut als Minderheit in Chadash konkurrieren, immer noch konservativer und frauenfeindlicher ist als die meisten zionistischen Parteien. Unsre strategische Entscheidung, Teil von Chadasch zu sein, um diese Front zu erneuern, zu feminisieren und zu demokratisieren, ist für mich persönlich schärfstens in Frage gestellt. So bleibt mir eigentlich nicht mehr viel….

Worauf sollte sich die neue Regierung konzentrieren und warum?

Angesichts dessen, was ich schon geschrieben habe, habe ich keine Erwartungen. Vielleicht weist aber die zerstörerische Politik der Regierung, die Israel vollends in der Welt isoliert, auf eine ferne Zukunft, in der dieselbe Welt die Geduld mit diesem Regime verliert. Allerdings kann aber solch ein Weg sehr viel Menschenleben kosten, und da viele Menschen, die ich liebe, meine Familie, Freunde und Millionen von Unschuldigen dabei auch umkommen könnten, kann ich nicht dafür plädieren. Die einzige Hoffnung, die ich seit nunmehr 12 Jahren hege, ist, dass die Welt noch vorher aufhört, diesen Staat und seine Politik zu unterstützen. Es ist meine einzige Hoffnung.

 

Amina ist seit 2010 bei dis:orient, war lange im Vorstand aktiv und konzentriert sich mittlerweile auf die Bildungsarbeit des Vereins in Deutschland. Sie promoviert an der Justus-Liebig-Universität Gießen im Fach Soziologie im Bereich kritische Sicherheitsforschung und arbeitet in Berlin als Bildungsreferentin bei der Kreuzberger Initiative...