Sari (29) aus Deir ez-Zor im östlichen Teil Syriens ist einer von tausenden desertierten Soldaten des vom Bürgerkrieg geplagten Landes. Nach einer monatelangen Flucht wurde er bis vor ein paar Tagen noch in einem geschlossenen Flüchtlingslager im ungarischen Kiskunhalas festgehalten. Lesen Sie im dritten Teil unseres Berichts über die momentane Flüchtlingssituation in Ungarn und speziell über die Haftbedingungen von Sari und seinen Freunden.
Von Michael Hegenloh und Simon Welte
Am 12. Dezember 2012 fuhr ich zusammen mit Simon nach Kiskunhalas in Ungarn, um Sari zu besuchen. Zuvor haben wir uns im Internet über die Haftbedingungen für Flüchtlinge in Ungarn informiert, welche allesamt ein düsteres Bild, vor allem in Kiskunhalas, zeichnen. Somit reisten wir mit gemischten Gefühlen nach Ungarn, einerseits den positiven Berichten von Sari und andererseits den Informationen aus dem Internet.
Glaubt man den Statistiken von Eurostat gingen zwischen März und November 2012 insgesamt 19.715 Asylanträge Syrischer Staatsbürger in Europa ein. Ungarn spielt hierbei mit 120 Asylanträgen im gleichen Zeitraum eher eine untergeordnete Rolle. Dennoch ist den Schaubildern zu entnehmen, dass sowohl in Ungarn als auch in Europa insgesamt die Asylanträge stetig mehr werden.
"Am liebsten wäre uns gewesen, wenn wir in Deutschland unseren Asylantrag hätten stellen können" sagt Sari. "Denn dort haben wir Freunde und bekommen ein monatliches Grundeinkommen mit dem wir leben können." Wenn man die Umstände vergleicht, unter denen ein Asylbewerber in Ungarn und in Deutschland leben muss, ist es gut nachvollziehbar, dass die meisten von ihnen versuchen, Ungarn nur im Lieferwagen versteckt zu durchfahren, um weiter in den Westen zu kommen.
Angekommen im Flüchtlingslager in Kiskunhalas (siehe Bild) wurden wir von einem Gefängniswärter gebeten, vor dem Gefängnis zu warten, damit er unsere Ankunft bei seinen Vorgesetzten anmelden kann. Nach einigen Minuten führten uns die Wärter über einige Schleusen und durch mehrere Räume, bis wir in einer Art improvisiertem Besuchszimmer standen, mit einer Plexiglaswand durchteilt. Zehn Minuten später sahen wir Sari in das Besuchszimmer kommen; durch das Plexiglas konnten wir mit ihm sprechen. Er begrüßte uns mit einem Lächeln im Gesicht. In den folgenden beiden Tagen hatten wir nun je zwei Stunden Besuchszeit am Vor – und am Nachmittag, in der wir mit Sari über sein Leben und seine Flucht sprachen. Simon und ich unterhielten uns mit Sari auf Englisch.
Sari stammt aus einem kleinen Dorf südlich von Deir ez-Zor, hat zwei Schwestern und zwei Brüder. Simon hat Sari im Jahr 2006 bei einem Aufenthalt in Damaskus kennengelernt, als Sari dort an der Universität die Ausbildung zum Englischlehrer absolvierte. Ich kenne Sari seit 2007, als ich ihn mit Simon zusammen in seinem Heimatdorf besucht hatte. Zwischen 2007 und 2011 hat Sari in Istanbul und in Dubai als Englischlehrer gearbeitet, bevor ihn 2011 die syrische Armee einzog. Im März 2011 desertierte er und begann seine abenteuerliche Flucht nach Europa.
Die Haftbedingungen
Nach der Festnahme wurde Sari von einem Arzt untersucht, dann kam er in das geschlossene Flüchtlingslager von Kiskunhalas. Das Flüchtlingslager besteht aus zwei wesentlichen Abteilungen – eine für die Gefangenen aus dem Nahen Osten und Nordafrika und eine für Wirtschaftsflüchtlinge und Schmuggler aus dem Balkan. Diese homogene kulturelle Aufteilung führte die Gefängnisleitung ein, da es in der Vergangenheit immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen Häftlingen dieser Gruppen kam, wie uns ein Sozialarbeiter erklärte. Mitte Dezember waren auf dem Stockwerk von Sari 22 Personen inhaftiert, die meisten aus Syrien und Afghanistan, sowie je ein Iraner und Iraker. In jedem Zimmer leben vier Häftlinge.
Um 7:30 Uhr gibt es Frühstück, um 12:30 Uhr Mittagessen und um 18:30 Uhr Abendessen. Das Essen, sagt Sari, sei ausreichend. In den Gemeinschaftsräumen hat jeder Häftling zweimal am Tag für eine halbe Stunde Zugang zum Internet, außerdem stehen dort ein großer Fernseher, eine Tischtennisplatte und ein Kicker. Es gibt auch Spielkarten und ein Schachbrett. Täglich reinigt eine externe Putzkraft die Räume und wöchentlich werden die Betten neu bezogen. Wie die Zellen und Gemeinschaftsräume aussehen, können wir hier nicht beschreiben, da dieser Bereich für uns nicht zugänglich war.
Das komplette Gefängnis ist gut beheizt und nach Auskunft Saris war es noch nie zu kalt, trotz des strengen Winters in Ungarn. Die Gefängniswärter sind nicht bewaffnet, haben aber alle einen Schlagstock und Handschellen am Gürtel. Die meisten der Wärter waren mehr oder weniger höflich zu uns, doch immer mit einem strengen Unterton und nach Auskunft von Sari werden die Häftlinge fair behandelt. Insgesamt ist das Haus jedoch heruntergekommen und es scheint, dass es erst im Nachhinein zu einem Gefängnis provisorisch umgebaut wurde.
Mit Erlaubnis der Gefängnisleitung schenkten Simon und ich Sari und seinen Freunden mehrere hundert Kleidungsstücke, die wir aus Deutschland mitgebracht hatten. Freunde und Verwandte hatten sie gespendet. Vier Gefängniswärter durchsuchten jedes Kleidungsstück einzeln, bevor Sari es erhielt; einige Frauenkleider sortierten sie aus. Auch mit dabei hatten wir 20 neu gekaufte Boxershorts und Unterhosen, sowie verschiedene Hygieneartikel für den täglichen Gebrauch. Kurz nach unserer Abfahrt rief uns Sari an und erzählte, dass die Unterwäsche nicht mit dabei war. Er vermutet, dass sie wahrscheinlich einer der Wärter abgezweigt hatte. Auch variieren die genauen Besuchsregeln im Gefängnis je nach der Besetzung der Wärter, denn beim zweiten Besuch saßen wir mit Sari im gleichen Raum und wir konnten ihn zur Begrüßung umarmen.
Über die Zustände in den insgesamt fünf geschlossenen Flüchtlingslagern in Ungarn liegen uns jedoch auch durchaus weniger positive Informationen vor. Dank der Ungarischen Menschenrechtsorganisation „Magyar Helsinki Bizottság (Hungarian Helsinki Committee)“, die wir im Vorfeld unseres Besuches kontaktiert hatten, sind wir auf einen Bericht der NAIH (Nationale Ungarische Behörde für Datenschutz und Informationsfreiheit) aufmerksam geworden. Dieser Bericht von September 2012 beleuchtet die Situation von Flüchtlingen in Ungarn am Beispiel des geschlossenen Flüchtlingslagers von Nyírbátor im Osten des Landes.
Eine Übersichtskarte der Einrichtungen für Flüchtlinge in Ungarn finden auf der zweiten Seite der Informationsbroschüre der Vereinten Nationen.
Grund der Untersuchungen ist, dass sich immer mehr Flüchtlinge in diesen Einrichtungen über die Bedingungen beschwert haben, sowie Vorwürfe der Vereinten Nationen und der Mahatma Gandhi Menschenrechtsorganisation. Für diesen Bericht hat die Ungarische Behörde für Datenschutz und Informationsfreiheit im Juli 2012 dem geschlossenen Flüchtlingslager in Nyírbátor einen unangekündigten Besuch abgestattet. Dabei inspizierte sie die Einrichtungen im Detail und interviewte die Insassen. Zum Zeitpunkt der Inspektion waren 207 Häftlinge vor Ort,das Lager hatte eine Kapazität von 259 Plätzen.
Einige Erkenntnisse in diesem Bericht möchten wir hier kurz festhalten:
- Die Isolationsräume in der Krankenstation sind in einem maroden und verwahrlosten Zustand, des Weiteren werden diese auch zur temporären Separierung von Häftlingen benutzt (z.B. nach einem Streit)
- Trotz einer Kapazität von mehr als 250 Häftlingen ist eine medizinische Betreuung zwischen 19 Uhr und 7 Uhr morgens nicht gegeben
- Grundlegende Hygieneartikel wie z.B. Seife, Shampoo und Toilettenpapier sind nur in beschränktem Umfang frei erhältlich. Fehlende Artikel müssen die Häftlinge im Gefängnisladen zum Teil selbst nachkaufen, was sich aber nicht alle Häftlinge leisten können
- Etwa zwei Wochen vor der Inspektion schlugen mehreren Häftlingen zufolge die Gefängniswärter einen Insassen so stark, dass ihm ein Zahn ausgefallen ist. Dazu brachten sie ihn in einen Sicherheitsraum, den die Kameras nicht erfassen.
- Die Ausübung religiöser Rituale wie die Reinigung mit Wasser vor dem Beten für Muslime ist nicht immer gewährleistet, da die Häftlinge zu bestimmten Zeiten nicht aus ihrer Zelle dürfen, wenn Wachablösungen anstehen und nicht in allen Zellen sanitäre Einrichtungen vorhanden sind. Die große Mehrheit der Gefängniswärter spricht überhaupt keine Fremdsprachen oder nur sehr gebrochen Englisch, daher beschränkt sich die Kommunikation mit den Gefangenen fast ausschließlich auf Gestiken
Letzte Woche wurde Sari in ein offenes Flüchtlingslager („open refugee camp“) in Debrecen überführt. Hier bleibt er nun, bis sein Flüchtlingsantrag genehmigt wird. Es ist ihm jetzt auch gestattet, sich frei in der Stadt Debrecen zu bewegen, muss sich allerdings alle 24 Stunden im Lager melden. Pro Monat erhält er 34 € Taschengeld und er darf im Lager arbeiten.
Sari und seinen Freunden geht es den Umständen entsprechend gut. Das Taschengeld reicht aber längst nicht aus, um über die Runden zu kommen, weshalb sie ihr Abendessen verkaufen. Sie brauchen das Geld, vor allem für Telefonkarten und Internetcafés, um mit der Familie in Syrien zu sprechen.
Wir werden weiter mit Sari in Kontakt bleiben, ihn auf seinem Lebensweg begleiten und ihn auch weiterhin finanziell unterstützen.