Bücher über Flucht und Flüchtlinge aus deutscher Sicht gibt es viele. Belletristik, die Flucht und Asyl aus Sicht der Betroffen schildern, findet sich aber nur selten. Eine Ausnahme bildet der Roman „Ohrfeige“ des Deutsch-Irakischen Autors Abbas Khider. Henning Schmidt hat das Buch gelesen, das keine Erfolgsgeschichte erzählt.
Abbas Khiders Buch beginnt mit einer Ohrfeige, die das Ende der Handlung vorwegnimmt. Der Ich-Erzähler, ein junger Iraker namens Karim, gibt sie seiner Sachbearbeiterin Frau Schulz von der Ausländerbehörde. Dann fesselt er sie. Er will mit ihr abrechnen, ehe er mit einem Schlepper nach Finnland weiter flieht. In Rückblenden erzählt er ihr von seinem Leben in Deutschland, das er nach dem Sturz Saddam Husseins verlassen muss, weil eben jene Frau Schulz seinen Asylbescheid widerrufen hat. Eine märchenhafte Erfolgsgeschichte hat Karim nicht zu erzählen.
Die besondere Leistung Abbas Khiders ist es, mit Ohrfeige einen Roman geschaffen zu haben, der trotz des ernsten Themas über weite Strecken erstaunlich ironisch und unterhaltsam bleibt. Das beginnt schon bei Karims Fluchtgrund: Der 19 Jährige Karim flieht nämlich nicht in erster Linie wegen politischer Repression, sondern weil er an einer Gynäkomastie leidet, einer Hormonstörung, bei der Männern weibliche Brüste wachsen und wofür er beim Wehrdienst in der irakischen Armee gedemütigt würde. Die Flucht des Protagonisten gleicht einer Odyssee, die damit beginnt, dass Karim von seinen Schleppern nicht in Paris abgesetzt wird, wo er einen Onkel hat, sondern mitten im ländlichen Bayern.
Das groteske Deutsche Asylsystem- eine Odyssee durch Bayern
Im Roman durchläuft Karim mehre Flüchtlingsheime in Bayern. Neben Kameradschaft auf der Etage der Araber lernt Karim besonders die negativen Seiten des Flüchtlingsalltags in Deutschland kennen: Langeweile, fehlende Integrationskurse, die absurden Asylanhörungen, die Betroffene geradezu dazu erziehen zu lügen, um eine Chance auf Asyl zu haben, Konflikte zwischen Bewohnern und Kleinkriminalität. Das Glücksspiel, beim „Zimmerroulette“ im Ausländeramt an eine verständige Sachbearbeiterin zu geraten. Als Leser muss man dabei immer wieder bitter mitlachen, wenn Karim beispielsweise feststellt, dass er und viele seiner irakischen Mitbewohner im Asylantenheim einen Flüchtling um dessen Gefängnisaufenthalt in Deutschland beneiden, weil der wenigstens sehr gut Deutsch gelernt habe. Auch das Thema Prostitution unter Flüchtlingen spricht Khider an, wenn er Karim beiläufig von den „gut zahlenden Sonntagsgästen“ im Heim berichten lässt. Unerträglich traurig und deprimierend ist der Roman jedoch nicht, da Karim über weite Strecken nicht verzweifelt, sondern eher verwundert und belustigt auf die seltsamen Deutschen und ihr Asylsystem blickt. Ebenso gibt es bedrückende Momente in „Ohrfeige“, etwa wenn Karim seinen Ein-Euro Job auf dem Wertstoffhof verliert, oder der Sachbearbeiter auf dem Arbeitsamt ihm nach der zwischenzeitlichen Erteilung des Asylbescheids mitteilt, dass sein Sprachkurs erst nach einem Arbeitsjahr bezahlt würde. Der Weg zum Bürger führe eben über Burger King. Auch die Angst vieler zunächst illegaler Flüchtlinge vor der Polizei beschreibt Khider für den Leser packend und lässt sie seinen Helden Karim authentisch durchleben.
Ein gelungener Roman über Flucht und Asyl aus ungewohnter Perspektive
Insgesamt ist Ohrfeige ein gelungenes Buch über Flucht und Asyl in Deutschland aus einer viel zu selten beachteten Perspektive. Es ist stets gut lesbar, unterhaltsam und regt zum Nachdenken über die Absurditäten Deutscher Asylpolitik an. Wer sich dem Thema Flucht und Asyl in Deutschland einmal literarisch statt durch schwer verdauliche wissenschaftliche Literatur oder pathetische Zeitungsartikel nähern möchte, dem sei das mit seinen 224 Seiten relativ übersichtliche Buch hiermit wärmstens empfohlen
Abbas Khider: Ohfeige, Hanser, München 2016, 19,95 Euro.