20.10.2014
"Vandalemanya": In der Türkei festgenommene Fotojournalisten im Interview
Eines der letzten Fotos vor der Festnahme: Kurdische Demonstranten setzen in Diyabakir selbstgebaute Barrikaden in Flammen. Foto: Ruben Neugebauer (C)
Eines der letzten Fotos vor der Festnahme: Kurdische Demonstranten setzen in Diyabakir selbstgebaute Barrikaden in Flammen. Foto: Ruben Neugebauer (C)

Drei junge deutsche Fotojournalisten, die vergangene Woche von der türkischen Polizei festgenommen worden waren, sind wieder frei. Sie hatten die Proteste in der kurdischen Metropole Diyarbakir zu dokumentieren versucht. Alsharq traf die drei in Berlin. Sie berichten von der Haft und dem Wiederaufflammen des kurdisch-türkischen Konflikts.

Mit dem Auto waren sie vor drei Wochen in Deutschland losgefahren, und hatten einen privaten Hilfskonvoi für die syrische Stadt Aleppo bis ins türkische Antakya journalistisch begleitet. Chris Grodotzki (25), Björn Kietzmann (33) und Ruben Neugebauer (25) haben als freie Fotojournalisten schon aus Syrien und Afghanistan berichtet, doch die Gefahren einer Reise nach Syrien wollten sie dieses Mal nicht eingehen – seit dem Vormarsch des „Islamischen Staates“ (IS) in den Norden Syriens, sind auch dort die Risiken für Journalisten kaum mehr kalkulierbar. Stattdessen schauten sie sich in der osttürkischen Metropole Diyarbakir um: Hier protestieren seit dem Angriff der IS-Milizen auf Kobane (arab. Ras al-Ain)  kurdische Gruppen gegen die türkische Regierung, der sie vorwerfen, den IS nicht nur gewähren zu lassen, sondern zu unterstützen. Bereits nach wenigen Stunden in der kurdischen Metropole Diyarbakir aber, wurden Chris, Ruben und Björn von Männern in Zivil festgenommen und an die Polizei übergeben. Nach 31 Stunden in Haft kamen sie vergangenen Freitag frei. Zurück in Deutschland traf Alsharq sie zum Interview.

Alsharq: Ihr seid in Diyarbakir von der türkischen Polizei verhaftet worden. Wie lief das ab?

Ruben: Wir waren mittags angekommen und hatten uns erst mal umgeschaut. Nachmittags fand die Beerdigung eines YPG-Kämpfers [kurdische Miliz, Anm. der Redaktion] statt, der in Kobane gefallen war. Und mit Einbruch der Dunkelheit begannen die Straßensperren: Junge Erwachsene errichteten Barrikaden und steckten sie in Brand. Wir haben Fotos gemacht, als uns plötzlich eine Gruppe junger Männer abfing, in Zivil. Die haben Chris den Arm umgedreht, uns festgehalten und dann mit ihren Handys die Polizei gerufen, die uns mitgenommen hat.

Chris: Ob das Polizei in Zivil war oder bloß eine Gruppe, die mit der Polizei kooperierte, wissen wir bis heute nicht. Wir sind auf die Polizeistation mitgenommen worden und haben da erstmal ein paar Stunden mit dem Gesicht zur Wand gestanden. Die Polizisten haben Handyfotos von uns gemacht, die später in den Zeitungen auftauchten. Dann gab es Verhöre, wir kamen zuerst in Einzelzellen. Unsere Unterstützer draußen haben dann Anwälte organisiert und Druck gemacht. Nach 31 Stunden kamen wir frei.

 Ruben Neugebauer (C) Drei Musketiere: die freien Fotojournalisten Chris, Björn und Ruben. Foto: Ruben Neugebauer (C)

Seit Wochen wird in der kurdisch geprägten Osttürkei demonstriert. Was für Eindrücke habt ihr in Diyarbakir gewonnen?  

Ruben: Wir waren ja nur kurz dort. Aber man merkte: Die Nerven in der Stadt liegen blank.

Björn: Das war schon bei der Fahrt in die Stadt zu spüren: Überall Checkpoints der Polizei und die entsprechenden Situationen mit den Kalaschnikows im Anschlag. In der Stadt dann sehr, sehr viel Militär in gepanzerten Fahrzeugen.

Chris: Da gab es mehr Polizeipanzer als Streifenwagen in Berlin! Diyarbakir befindet sich im Belagerungszustand. Dass die Proteste im Vergleich zu den vorherigen Wochen deutlich abgeflaut waren, lag auch daran. Die Proteste haben sich verändert: Keine großen, zentralisierten Demonstrationen mehr, sondern Protest in Kleingruppen, Barrikaden in den Straßen.

Ruben: Es gibt auch rechte Gruppen mit Schlägertrupps, die sich gegen die kurdische Opposition stellen. Kurdische Jugendliche haben uns von Trupps aus der Ecke der Grauen Wölfe [radikale türkisch-nationalistische Gruppierung, Anm. d. Redaktion] erzählt, die auf den letzten Demonstrationen mit Knüppeln bewaffnet kurdische Demonstranten verprügelt haben und offensichtlich mit der türkischen Polizei kooperiert haben.

Björn: Andere Trupps sympathisieren mit IS. In den türkischen Medien gingen Bilder rum, die zeigten, wie bei den großen Zusammenstößen in den letzten Wochen Demonstranten nach dem Vorbild von IS richtiggehend hingerichtet wurden. Und es gibt Gruppen wie die ‚türkische Hisbollah’, der auch Kurden angehören. Da geraten verschiedene Fraktionen aneinander. Tatsache ist: Es ist momentan eine sehr unübersichtliche Situation und wenn plötzlich so ein Trupp vor dir steht, kannst du kaum wissen, wer das nun ist.

Nach Aussöhnung der türkischen Regierung mit den Kurden hört sich das alles nicht mehr an.

Chris: Vor Ort war klar: Der Friedensprozess liegt in Trümmern. Es gab das Sprachhindernis, aber dennoch hatten wir ein paar spannende Gespräche mit Leuten, die Englisch oder Deutsch sprachen. In Diyarbakir sagte man uns, die Kurden wähnten sich wieder im Krieg. Und ein englischer Reporter mit viel Erfahrung vor Ort sagte, es fühle sich wieder an wie in den 1990ern. In unserer letzten Nacht im Gefängnis flogen die Kampfjets über uns hinweg. Wir dachten, es seinen die Amerikaner. Aber es waren türkische Jets, die die Stellungen der kurdischen PKK bombardierten. Wenn eine Armee eine andere bombardiert, nennt man es üblicherweise Krieg.

Ihr seid schließlich freigekommen. Was hat man euch vorgeworfen? Und wie kamt ihr frei?

Chris: Da gibt es eine ganze Palette an Vorwürfen, aber wessen genau wir angeklagt sind, wissen wir immer noch nicht. Zwischendurch tauchte im Gefängnis mal ein Papier auf, auf dem stand: ‚PKK, Terrorismus, Propaganda’. Da musste ich schlucken, das sah aus als könnte es richtig lange dauern.

Ruben: Ein Polizist, der Englisch sprach, erklärte uns im Gefängnis, dass seine Kollegen der unteren Dienstränge glaubten, wir seien Spione. Unsere Festnahme fiel – das ist uns später klar geworden – genau in die Tage nach der Erdogan-Rede. Der Präsident hatte die Proteste im Osten der Türkei als Produkt der Anstachelung durch ausländische Journalisten und Spione bezeichnet. Wir wurden also auch Instrument für den Medien-Zirkus in der Türkei: Mit uns bekamen die ausländischen Journalisten als vermeintliche Unruhestifter ein Bild. Meine Lieblingsüberschrift: Vandalemanya.

Gleichzeitig haben wir sehr viel Medienaufmerksamkeit auf der ganzen Welt und gerade in Deutschland bekommen. Und da muss man stark unterscheiden: Die Medien in der Türkei waren gegen uns, die internationalen mit uns. Die Aufmerksamkeit hat uns sehr geholfen. Da geht ein fettes Danke an unsere Unterstützer in Deutschland: Unsere Kollegen haben die Medien informiert und schon am Sonntag war in allen Online-Medien von uns zu lesen. Kollegen haben uns Anwälte geschickt und Leute in unser Hotel, um unsere Sachen zu sichern.

Chris: Uns, im Gefängnis, war die Öffentlichkeit unseres Falls gar nicht bewusst, aber man merkte schnell die Veränderung. Man legte uns aus Einzelzellen zusammen, die Stimmung wurde freundlicher.

Björn: Uns wurde ziemlich klar gemacht, dass Abschiebung unausweichlich wäre. Aber letztlich sind wir dann freigekommen, ohne von den türkischen Behörden als ‚unerwünschte Person’ eingestuft zu werden. Wir wurden nicht abgeschoben, sondern sind freiwillig ausgereist.

Wie steht es um die türkischen und kurdischen Journalist_innen vor Ort?

Ruben: Eine Szene werde ich nicht vergessen: Als wir freikamen, da lag im Eingang der Polizeistation schon wieder die nächste Fernsehkamera. Es wurden sehr viele Journalisten festgenommen in den letzten Wochen. Wir planen eine Solidaritäts-Demo mit den inhaftierten Journalist_innen in Zusammenarbeit mit Reporter ohne Grenzen Ende der Woche hier in Berlin.

Die Infos dazu werden wir auch auf Alsharq posten. Danke für das Gespräch euch Dreien!

Auch Reporter ohne Grenzen berichtete über die Festnahme. Die Pressemitteilung zu ihrer Freilassung findet sich hier. Die Türkei steht in der Rangliste der Pressefreiheit auf Platz 154 von 180.

Lea ist seit 2011 bei Alsharq. Sie hat Internationale Politik und Geschichte in Bremen und London (SOAS) studiert und arbeitet seitdem als Journalistin. Mehrere Jahre hat sie in Israel und Palästina gelebt und dort auch Alsharq-Reisen geleitet. Lea ist heute Redakteurin bei der Wochenzeitung Die Zeit.