04.02.2015
Todesstrafe in Jordanien – es wird wieder exekutiert
Am Morgen des 21.Dezember 2014 hat die Regierung elf zum Tode verurteilte Männer im Swaqa Correctional and Rehabilitation Center exekutiert. Bild: Two hangman's nooses/ Flickr CC BY-NC 2.0.
Am Morgen des 21.Dezember 2014 hat die Regierung elf zum Tode verurteilte Männer im Swaqa Correctional and Rehabilitation Center exekutiert. Bild: Two hangman's nooses/ Flickr CC BY-NC 2.0.

Nach einem achtjährigen Moratorium hat die jordanische Regierung die Todesstrafe wieder eingeführt. Am 21. Dezember 2014 sind elf wegen Mordes verurteilte Männer exekutiert worden. Während Menschenrechtsorganisationen die erneute Anwendung dieser Praxis scharf verurteilen, befürworten viele Jordanier die Regierungsentscheidung. Von Susanne Jaworski aus Amman

In einem Sprachinstitut in Amman steht Haneen Shurafa vor ihren Schülern und schreibt Vokabeln an die Tafel. Die 24-jährige unterrichtet hier Arabisch, meistens jordanischen Dialekt. Normalerweise fragt sie ihre Schüler, was ihre Hobbies sind, oder was sie am Wochenende gemacht haben. Als sie jetzt den Unterricht beginnt, sieht sie entschlossen aus, aber sie kann das Zittern in ihrer Stimme nicht verbergen: „Linda, was ist deine Meinung zur Todesstrafe?“

Ein paar Monate ist es nun her, dass Haneen ihre Cousine Nuha durch ein schreckliches Verbrechen verloren hat. Nuhas eigener Verlobter hatte sie entführt und noch am selben Tag getötet.

Am 20. Oktober hatte er sie auf ihrem Heimweg abgefangen und war dann mit ihr auf ein verlassenes Gelände am Stadtrand von Amman gefahren. Dort angekommen, stach er mehrmals auf sie ein und strangulierte sie, bis sie nicht mehr atmete. Ihren leblosen Körper ließ er dort liegen. Acht Tage lang hoffte Nuhas Familie auf ein Lebenszeichen von ihr. Erst am neunten Tag wurde ihre Leiche gefunden.

„Wir alle sind Nuha“

Zuvor waren die beiden vier Jahre lang ein Paar gewesen, nachdem sie sich auf der Arbeit kennengelernt hatten. Als er Nuha schließlich einen Heiratsantrag machen wollte, lehnte sein Vater die Eheschließung ab. Als Angehöriger der in Jordanien lebenden kaukasischen Minderheit der Tscherkessen wollte der Vater seinen Sohn nicht mit einer Araberin verheiraten. Schnell hatte die Polizei deshalb auch Nuhas Verlobten als mutmaßlichen Mörder unter Verdacht. Er war sofort geständig. Sein Motiv: Wenn er sie nicht haben durfte, sollte sie niemand haben.

Seit diesem Tag setzen sich Haneen und ihre Familie auf verschiedenen Kanälen für die Reaktivierung der Todesstrafe ein. Auf Facebook hat Haneen deshalb die Gruppe Kullna Nuha – „Wir alle sind Nuha“ – gegründet. Heute hat die Gruppe fast 50 000 Likes. Dort teilt Haneen nicht nur Fotos und Nachrufe auf ihre Cousine, sondern vor allem ihre Bemühungen, die Regierung von der Notwendigkeit der Todesstrafe zu überzeugen. Für Haneen ist klar, was geschehen muss: „Lebenslänglich ist nicht genug für uns. Dieser Mann hat meiner Cousine das Leben genommen, er verdient den Tod. Das wäre für uns Gerechtigkeit.“

Um das zu erreichen, haben Haneen und ihre Familie immer wieder Briefe an König Abdullah und Königin Rania geschrieben, in der Hoffnung, die Regierung zu einem Umdenken zu bewegen. Neben dem Ziel, den Tod ihrer Cousine zu rächen, möchte Haneen aber noch etwas anderes erreichen: „Seit dem Moratorium hat sich die Situation für Frauen hier verschlechtert. Ich möchte, dass jede von uns auf die Straße gehen kann, ohne Angst haben zu müssen. So ein Verbrechen kann jederzeit wieder passieren.“

Liberaler Kurs seit 2006

Fakt ist, dass die absolute Anzahl der tödlichen Straftaten seit Beginn des Moratoriums im Jahr 2006 um die Hälfte zugenommen hat. Seitdem wurde die Todesstrafe zwar nach wie vor verhängt, die Urteile im Anschluss jedoch zu langjährigen Haftstrafen umgewandelt. Damit hatte Jordanien in Bezug auf die Achtung der Menschenrechte für viele eine Vorreiterposition in der Region eingenommen. Auf eine mildere Ausrichtung des jordanischen Strafsystems deutete im August 2006 außerdem die Entscheidung der Regierung hin, einige Straftatbestände von der Todesstrafe auszunehmen. Dazu gehören unter anderem der illegale Besitz von Waffen und Sprengstoff sowie das Behindern von Beamten im Dienst. Diese Delikte waren erst im November 2005 nach den von al-Qaida verübten Terroranschlägen auf drei Hotels in Amman auf die Liste gesetzt worden. Auf Vergehen wie Mord, Spionage und Verrat steht jedoch bis heute die Todesstrafe.

Nach dieser sukzessiven Milderung der Todesurteile kamen die erneuten Exekutionen für die meisten Beobachter nun sehr überraschend. Tatsächlich hatte die Regierung erst am Tag der Urteilsvollstreckung die Gründe für die Neuaufnahme erklärt und sogar die Namen der Verurteilten veröffentlicht. Allerdings hatte der jordanische Innenminister Hussein Majali bereits im November 2014 angekündigt, dass ein Komitee die Wiederaufnahme der Todesstrafe diskutieren werde.

Mehrheit der Bevölkerung steht hinter der Todesstrafe

Waren es im Jahr 2008 laut dem Amt für öffentliche Statistiken noch 100 Tötungsdelikte, so ist die Zahl im Jahr 2012 auf 153 angestiegen. Laut Ziad Zu'bi, Sprecher des Innenministeriums, ist dieser Anstieg der Hauptgrund für die Aussetzung des Moratoriums: „Wir haben über die Wiedereinführung der Todesstrafe in Jordanien nachgedacht, nachdem wir einen Anstieg der Morddelikte und wachsende Forderungen aus der Öffentlichkeit verzeichnet haben, sie wieder anzuwenden; wir haben in unserer Entscheidung berücksichtigt, dass Exekutionen auch durch die islamische Gesetzgebung, die Scharia, legitimiert sind.”

Neben der Legitimation durch islamisches Recht versteht die Regierung die Reaktivierung der Todesstrafe also in erster Linie als Reaktion auf die Stimmung in der Bevölkerung: Nur einen Tag nach Bekanntwerden der Exekutionen veröffentlichte das Center for Strategic Studies der Jordanischen Universität in Amman das Ergebnis einer Umfrage, derzufolge 81 Prozent der Befragten die Todesstrafe befürworten.

Kritiker wie die Anwältin und Menschenrechtsaktivistin Asma Khader äußerten sich im Gespräch mit Al Jazeera allerdings skeptisch, ob die Reaktivierung einen Rückgang der Mordfälle nach sich ziehen wird. Ihrer Meinung nach sind für den Anstieg der Delikte hauptsächlich das ansteigende Gewaltpotential in der Region verantwortlich sowie das rapide Wachstum der Bevölkerung in Jordanien auf derzeit neun Millionen.

Man könnte die Initiative also als einen Versuch der Regierung werten, ihre Popularität zu steigern, ohne aufwändige und kontroverse Maßnahmen zur Armutsbekämpfung und zur Verbesserung der Frauenrechte implementieren zu müssen. Mit der Reaktivierung einer in der Region weit verbreiteten und mehrheitlich akzeptierten Praxis geht die Regierung innerhalb der traditionell-konservativen jordanischen Bevölkerung stattdessen so gut wie kein Risiko ein. Gesetzlich und islamisch legitimierte Exekutionen sollen so auch der in einigen jordanischen Regionen immer noch praktizierten Blutrache (tha'r) vorbeugen.

Welche „progressiven Stimmen“ bleiben?

Einige lokale und internationale Menschenrechtsorganisationen reagierten indes enttäuscht und bestürzt auf die Entscheidung der Regierung. Sarah Lea Whitson, geschäftsführende Direktorin für die MENA-Staaten bei Human Rights Watch konstatierte, dass „Jordanien mit diesen Exekutionen seinen Stand als eine der wenigen progressiven Stimmen in Bezug auf die Todesstrafe in der Region verliert.“

Auch das jordanische National Center for Human Rights (NCHR) bedauerte in einer offiziellen Stellungnahme die plötzlichen Umstände, die zu der Wiederaufnahme dieser Praxis führten und appellierte an die Regierung, die internationalen Protokolle zur Abschaffung der Todesstrafe zu unterschreiben.

Beobachtern wie dem in den USA lebenden jordanischen Journalisten Imad Rawadesh fällt es indes schwer, der Regierung zu glauben, dass die letzten Exekutionen ein Mittel im Kampf gegen Verbrechen sind: „Die Regierung implementiert keine Strategien zur Bekämpfung der Armut, die der Hauptgrund für Verbrechen ist.“

Bisher ließ die Regierung offen, was in Zukunft mit den 113 im Todestrakt verbleibenden Häftlingen passieren soll. Auch bleibt unklar, warum im Dezember gerade diese Gruppe von elf Männern exekutiert wurde und ob dies eine einmalige Antwort der Regierung auf den Anstieg der Gewalttaten und die vermeintlich wachsenden Forderungen der Bevölkerung nach härteren Strafen ist.

Am 18. Januar musste sich indes Nuhas mutmaßlicher Mörder erstmals vor einem Ammaner Gericht verantworten. Haneen und ihrer Familie geben die neuesten Exekutionen Hoffnung, dass Nuhas Tod auf aus ihrer Sicht angemessene Weise „gerächt“ werden kann: „Ich bin stolz, wenn ich daran denke, dass Nuhas Tod der Stein war, der die Veränderung der jordanischen Gesetze ins Rollen gebracht hat. Für mich, für Nuha und für jedes Mädchen auf der Welt werde ich dafür kämpfen, dass ihr Mörder seine gerechte Strafe bekommt.“

Nachtrag: Als Reaktion auf die grausame Verbrennung des jordanischen Piloten Moaz al-Kasasbah durch ISIS-Milizionäre hat die jordanische Regierung nun ihrerseits eine Jihadistin und einen Jihadisten exekutieren lassen.

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