Die Zivilgesellschaft in der Levante steht unter Druck – wenn auch unterschiedlich stark, je nach Land. Bei einer von Alsharq organisierten Fachtagung gaben Aktivisten aus dem Libanon, Syrien, Israel und Palästina Einblicke in die Herausforderungen für NGOs, angesichts von Repression und zunehmender Gewalt. Ihre wichtigste Botschaft: Der Austausch und die Zusammenarbeit mit zivilen Akteuren in Europa ist unerlässlich!
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Eindrücke aus Bad Boll. Alle Fotos: Tobias Pietsch
Die libanesischen Sicherheitskräfte weigerten sich, Sara Abou Ghazals Reisedokumente zu erneuern: Sie stehe aufgrund ihrer Tätigkeiten als Aktivistin „unter Beobachtung“. Sara hätte als Referentin die von Alsharq mit-organisierte Tagung „The State of the States – zum Verhältnis von Staat und Zivilgesellschaft im Nahen Osten“ bereichern sollen. Ihr Einsatz für benachteiligte Gruppen wie Flüchtlinge und Haushaltsarbeiterinnen war für den libanesischen Staat jedoch Anlass genug, ihre Ausreise nach Deutschland zu verhindern.
Der Fall steht beispielhaft für eine besorgniserregende Tatsache: Das Verhältnis von Staat und Zivilgesellschaft in vielen Ländern des Nahen Ostens ist geprägt von Überwachung und Unterdrückung. Dabei variiert der Grad der Intervention. Mohammad, Jugendaktivist aus dem Gazastreifen, beschrieb bei der Tagung eindrücklich, wie ziviler Aktivismus von den herrschenden Kräften unterdrückt wird – sowohl von der Hamas als auch von der israelischen Armee.
„Dem Ruf des Staates Schaden zugefügt“ – Verhaftung
Ähnlich wie Mohammad bekommt der in Beirut lebende, libanesische Menschenrechtsbeobachter Raji Abdel Salam die Wucht der Staatsmacht zu spüren. Mehrmals schon ist er verhaftet worden, libanesische Militärgerichte verurteilten ihn unter anderem mit der Begründung, dem Ruf des Zedernstaates Schaden zugefügt zu haben. Raji hatte dafür Aufmerksamkeit geschaffen, wie viele Frauen im Libanon häusliche Gewalt erfahren. Zuvor hatte Sharqist Bodo Straub in seinem Vortrag erklärt, warum er davon ausgeht, dass das libanesische politische System zumindest bis auf weiteres stabil bleibt, auch wenn Verfallserscheinungen zu beobachten sind.
Deutlich dramatischer ist die Situation derzeit in Syrien. Jegliche Form von zivilem Aktivismus werde vom Assad-Regime unterdrückt, berichtete Abdallah Shaar, der im Oktober 2014 nach mehreren Gefängnisaufenthalten und Todesdrohungen sein Land verlassen musste. Wer unabhängige Schulen aufbaue, alternative Medien verbreite oder in belagerten Gebieten Hilfsprogramme koordiniere, werde verfolgt und sei ständig in Lebensgefahr.
Trotzdem betonte Shaar: „Die Zivilgesellschaft ist besonders im humanitären und Bildungsbereich – sowohl in den Regime-Gebieten als auch in den vom sogenannten „Islamischen Staat“ kontrollierten Gebiete – weiterhin aktiv.“ Damit widersprach er seinem Vorredner Jörg Armbruster. Der frühere ARD-Journalist hatte zuvor ein „Schlaglicht“ auf Syrien geworfen, in dem er die These vertrat: „Die syrische Revolution ist gescheitert.“
Auch in Israel steht die Zivilgesellschaft unter Druck
In Israel könne die Zivilgesellschaft ungleich freier agieren, berichtete der junge Politikwissenschaftler Doron Gilad. Gleichwohl wies der Israeli darauf hin, dass linke und friedensorientierte NGOs seitens rechter Gruppierungen, aber auch seitens der Regierung häufig als Instrumente ausländischer Interessen diffamiert würden. Dr. Reiner Bernstein, Vertreter der Genfer Initiative in Deutschland, fügte hinzu, dass während des Gaza-Krieges zivilgesellschaftliche Akteure aus dem linken Spektrum auch Opfer physischer Übergriffe rechtsnationaler Israelis wurden.
In allen Beiträgen der Referenten aus der Region des Nahen Ostens wurde deutlich, dass zivilgesellschaftliche Organisationen häufig stark abhängig von finanzieller Förderung aus dem Ausland sind. Dieser Umstand sei dann problematisch, wenn finanzielle Förderung an eine externe politische Agenda geknüpft sei.
Austausch ist wichtiger als Geld
Wichtiger als die finanzielle Unterstützung, so waren sich die Aktivisten einig, sei jedoch der Austausch mit der hiesigen Zivilgesellschaft. Nur so könne man glaubwürdig Aufmerksamkeit schaffen für die teils sehr prekäre Situation der Zivilgesellschaft in der Levante. Durch Öffentlichkeitsarbeit, Vernetzung, Wissenstransfer oder Mitarbeit in lokalen Initiativen könne man die Menschen am besten unterstützen.
Mit der gut besuchten Tagung wurden wichtige Kontakte geknüpft. Nun gilt es, konkreten Austausch und Projekte zu entwickeln. Erste Initiativen besprachen die Teilnehmer bereits im Abschluss-Workshop der Konferenz: So wurden unter anderem Kontakte für die Flüchtlingsarbeit ausgetauscht und im gemeinsamen Gespräch neue Strategien für die Unterstützung lokaler Initiativen in Syrien und dem Libanon erdacht.
Das Vortragsmanuskript von Sharqist Bodo Straub unter dem Titel: Schlaglicht Libanon - hat das konfessionelle Proporz-Modell noch eine Zukunft? können Sie unter diesem Link herunterladen: Bodo Straub_Libanon_Konfessionalismus
Die Veranstalter der Tagung waren: Alsharq, EMS, Evangelische Akademie Bad Boll, Forum Israel-Deutschland-Palästina sowie der Tübinger Lehrstuhl Politik im Vorderen Orient (PIVO)
Mit diesem Beitrag verabschieden wir uns bis zum 2. August in unsere Sommerpause. Viele Grüße, Euer/Ihr Alsharq-Team.