In Jordanien leben 84 Prozent der syrischen Flüchtlinge außerhalb der Lager, die meisten in der Hauptstadt Amman. Private Initiativen helfen bei der Betreuung. Ein Zustandsbericht von Sascha Lübbe
Es begann mit den Kindern, sagt Fadi Amireh. Etwa zehn von ihnen seien irgendwann in der Innenstadt Ammans aufgetaucht, hätten tagelang in den Gassen herumgesessen, weil ihre Eltern sie nicht in die Schule schickten. Es waren Syrer, die der Krieg in der Heimat und die Zustände in den Flüchtlingslagern in die jordanische Hauptstadt getrieben hatte. Der 33-Jährige wollte helfen.
Heute, zwei Jahre später, sitzen drei der Kinder neben ihm und lernen Englisch. Auf der Terrasse des Jadal Culture Center. Fadis Art, zu helfen. Das Kulturzentrum ist in einem alten, nur über eine Gasse zu erreichenden Gebäude untergebracht. Mit der Terrasse, der kleinen Galerie und dem Café gleicht es einer Oase der Ruhe mitten in der hektischen Innenstadt Ammans.
Von der Idee zum Projekt
„Am Anfang war alles vollkommen unorganisiert“, sagt Fadi und streicht sich über die kurz geschorenen Haare. Das ist inzwischen anders: Sechs Mitarbeiter bieten wöchentlich Arabisch-, Englisch- und Mathekurse für Flüchtlingskinder an. Wenn Zeit bleibt, auch Zeichen- und Tanzstunden. 27 Kinder betreute das Team eine Zeit lang. Mehr konnte und wollte man nicht aufnehmen – um den Bedürfnissen der Kinder wirklich gerecht zu werden.
Rund 620 000 syrische Flüchtlinge sind nach Angaben der Vereinten Nationen in Jordanien registriert. 84 Prozent von ihnen leben außerhalb der Lager, die meisten in Amman. Eine Arbeitserlaubnis haben die wenigsten, viele arbeiten illegal. Organisationen wie Unesco, Care oder Caritas bemühen sich, sie dennoch in den jordanischen Alltag zu integrieren. Und auch in der jordanischen Bevölkerung gibt es Hilfsprojekte. Initiativen wie Fadis Kulturzentrum.
Auch die Kinder müssen Geld verdienen
Die Idee ist einfach: Fadi vermietet seine Räumlichkeiten an Künstler, Musiker oder Nichtregierungsorganisationen für Ausstellungen, Konzerte und Vorträge. Über Zeichen- und Arabischkurse für Touristen kommen weitere Einnahmen dazu. Es reiche, um das Projekt zu finanzieren, sagt der Aktivist mit palästinensischen Wurzeln.
Doch die Arbeit mit den Kindern ist kompliziert. In vielen Flüchtlingsfamilien müssen auch die Kleinsten dazu verdienen – und fehlen dann in den Schulen. Obwohl der jordanische Staat syrischen Kindern eine kostenlose Schulausbildung bietet, nimmt laut Angaben der Vereinten Nationen nur etwa die Hälfte von ihnen am Unterricht teil.
Kinder und Frauen - die Leidtragenden
„Wir konnten viele Eltern überzeugen, ihre Kinder in den Unterricht zu schicken“, sagt die 25-jährige Kristina, die die Kurse des Kulturzentrums koordiniert. Sie versteht das Projekt als Ergänzung zur offiziellen Schulbildung. Kritisch sei die Lage dennoch, besonders die Situation in den überlasteten Schulen: „Viele Lehrer müssen Doppelschichten leisten. Das gefällt ihnen natürlich nicht. Also lassen sie ihre Wut an denen aus, die sie länger arbeiten lassen – den Syrern.“
Schwierig ist die Situation auch für Flüchtlingsfrauen. Da sie seltener von der Polizei kontrolliert werden als Männer, sind sie oft die Verdiener in der Familie – wodurch neue Probleme entstehen. „In vielen Familien ist Arbeit traditionell Männersache“, sagt Kristina. Daher seien viele Ehemänner frustriert. „Für die Frauen bedeutet das eine dreifache Belastung: Sie müssen sich um die Kinder kümmern, die Familie ernähren und ihre Männer ertragen“, erklärt die Aktivistin. Einmal pro Woche organisiert das Team daher Frauentreffen, bei denen diese sich ungestört austauschen können.
„Jordanien ist ein großes Gefängnis“
Auch ein Teil von Fadis Team stammt aus Syrien. Ragheed zum Beispiel, der in einem Nebenraum Mathematik unterrichtet. Der 27-Jährige floh vor drei Jahren aus Aleppo. Heute lebt er mit seinem Vater und seiner Mutter in einer Kleinstadt bei Amman. Der Krieg hat die Familie verstreut: Drei Schwestern leben im Libanon, sein Bruder ist trotz der Gefahr in Aleppo geblieben, um sein Studium zu beenden.
Offiziell arbeitet Ragheed ehrenamtlich, auch er hat keine Arbeitserlaubnis. „Jordanien ist ein großes Gefängnis“, sagt der gelernte Tischler. „Ich kann hier nichts tun.“ Er wolle Informatik studieren, doch die jordanischen Studiengebühren könne er sich nicht leisten. „Als ich herkam, dachte ich, ich bleibe nur zwei Monate“, sagt er und blickt zu Boden. „Inzwischen bin ich drei Jahre hier. Ich sehe keine Hoffnung für mich in diesem Land.“
Zurück in die Lager
So geht es vielen Flüchtlingen. Steigende Mieten, die Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt und die Zuwendungen der Vereinten Nationen haben zu Spannungen zwischen Syrern und Jordaniern geführt. Inzwischen müssen sich Flüchtlinge mit einer speziellen Magnetkarte ausweisen, um das staatliche Bildungs- und Gesundheitssystem zu nutzen. Um diese zu erhalten, müssen sie die finanzielle Bürgschaft eines Jordaniers vorweisen.
Viele Familien, die keine Aussicht auf eine Karte hatten, seien zurück in die Lager gegangen, erzählt Kristina. „Einige haben sogar beschlossen, nach Syrien zurückzukehren.“ Von den zwölf Familien, die das Kulturzentrum noch Anfang des Jahres besuchten, kämen inzwischen nur noch fünf. „Wir wissen nicht, wie es weitergeht“, sagt die energische Aktivistin und klingt zum ersten Mal resigniert. „Es kann sein, dass alle Familien in die Lager zurückkehren.“ Es wäre das Ende des engagierten Projekts.
Eine frühere Version des Texts erschien bei der Deutschen Welle.