2009 wurde im Libanon nicht nur ein Parlament gewählt, aus dem nach knapp 5 Monaten eine neue Regierung hervorging. Auch die Studenten gingen in diesem Jahr wieder an die Urne und stimmten über ihre Vertreter an den Universitäten ab. Studentenwahlen stehen im Libanon traditionell viel stärker im Fokus als in anderen Ländern der Region, oder auch in Europa. Die politischen Loyalitäten und Rivalitäten auf nationaler Ebene spiegeln sich auch auf dem Campus wieder, die Studentenwahlen wiederum werden von politischen Parteien, aber auch den Medien als Stimmungsmesser und Wegweiser gedeutet.
Die studentische Wahlsaison fällt normalerweise in den Spätherbst, meist zwischen Anfang November und Mitte Dezember.
2008 standen die Studentenwahlen ganz im Zeichen der bevorstehenden Parlamentswahlen. Die politischen Lager March 14 und March 8 investierten viel in den Wahlkampf ihrer studentischen Flügel, sowohl ideell als auch materiell. An den besonders umkämpften, weil prestigereichsten Universitäten AUB (American University of Beirut) und USJ (Université St.Joseph) standen sich beide am Ende mit einem Patt gegenüber - fast so wie bei den Parlamentswahlen im Juni, die das March 14-Lager nur hauchdünn für sich entscheiden konnte. An der staatlichen UL (Université Libanaise) wurden die Wahlen damals hingegen abgesagt - aus Angst vor gewalttätigen Ausseinandersetzungen, wie sie sich schon im Vorfeld angekündigt hatten. Im Großen und Ganzen waren die Wahlen, trotz der durchaus aufgeheitzten Stimmung aber friedlich verlaufen - nicht zuletzt auch durch die massiven Sicherheitsvorkehrungen.
Die Studentenwahlen 2009 folgten fast unmittelbar auf die Präsentation des neuen libanesischen Kabinetts, dem die Vertreter der Wahlgewinner und -verlierer gemäß dem Konsensprinzip angehören. Überhaupt befindet sich die bis zu den Parlamentswahlen dominante Lagerspaltung in March 14 und March 8 seit dem Sommer immer mehr in Auflösung. Die Frage war nun, wie die Studenten, und insbesondere die studentischen Parteiflügel darauf reagieren würden.
Grundsätzlich sind Studentenflügel und Mutterpartei stets in engem Austausch, wobei die Partei in der Regel die politische Weisungsrichtung vorgibt. Wer aber denkt, die Studenten würden jede Wendung auf nationaler Ebene sofort übernehmen, der irrt.
So traten auch bei den Studentenwahlen 2009 dieselben Koalitionen wie 2008 gegeneinander an: Future, PSP, Lebanese Forces und Kataeb auf der einen Seite, Hizbullah, Amal und FPM auf der anderen. Das mag auf den ersten Blick überraschen, liegt aber wohl in den Erlebnissen der letzten 5 Jahre begründet.
Allianzenwechsel sind in der libanesischen Politik nichts neues, sie gehören, über lange Zeit betrachtet, sogar zu den charakteristischen Merkmalen der politischen Kultur. Die Veränderungen um die sogenannte "Zedernrevolution" Anfang 2005 bedeuteten aber einen neuen Einschnitt, wie es ihn in der Nachkriegsgeschichte des Libanon bisher nicht gegeben hatte. Der Hauptmotor dieser Zäsur war die zunehmende Radikalisierung der Rhetorik, die bald eine Eskalation schuf, die aus gewöhnlicher Allianzenbildung polarisierte Lager hervorgehen ließ.
Bei der politischen Elite hinterließ das vergleichsweise wenig Spuren und vielleicht waren sie sich der Tragweite auch kaum bewusst. Besonders in den mobilisierten Schichten aber, und ganz besonders bei den Studenten, wurde diese Spaltung und ihre Verhärtung zum generationell bestimmenden Schlüsselereignis ihrer politischen Kultur. Einfach gesagt: Den Politikern fiel es relativ einfach, ihre politischen Allianzen pragmatisch zu beurteilen, für viele der Anhänger sind sie zum Weltbild geworden. March 14 und March 8 gibt es erst seit 2005 - ein Großteil der heutigen Studentengeneration aber kennt kaum eine andere Konstellation.
Ein entscheidender Faktor spielt die persönliche Erfahrung der Eskalation. Der Mai 2008 ist vielen Studenten noch immer unvergessen, er ist noch weit mehr zum Bezugspunkt geworden als der Februar 2005. Als die Milizen von Hizbullah, Amal und SSNP damals West-Beirut am 8. Mai fast überrollten, erlebten das viele Studenten hautnah und viel direkter als wohl die meisten Politiker. Gegenseitiges Misstrauen und Hass wurden so geschürt und können auch nicht einfach durch Allianzenwechsel auf nationaler Ebene zurückgefahren werden.
Das gilt zum Beispiel für Walid Jumblatt und die PSP. 2008 lieferten sich seine Parteieinheiten im drusischen Shuf-Gebirge die wohl heftigsten Kämpfe mit Hizbullah. 2009 läutete er die "nationale Versöhnung" mit der Partei Gottes ein, distanzierte sich von March 14 und ist sogar wieder im Hizbullah-Sender al-Manar ein gefragter Studiogast. Die PSP-Studenten hingegen mögen diese Wendung nicht mitmachen - zu tief sitzt die Erinnerung an die Ereignisse von 2008.
Den wohl größten Schaden hat in dieser Hinsicht wohl Michel Aouns FPM hinnehmen müssen. Schon bei den Parlamentswahlen hatte FPM erheblich Stimmen eingebüßt. Das Glaubwürdigkeitsproblem nach den Ereignissen von 2008 verfolgte Aouns Partei auch bei den Studentenwahlen. Gerade die Studenten stellen das Gros von Aktivisten und Unterstützern der FPM, hier hatte sie sich stets als Alternative zur politischen Kultur, aber auch als Alternative innerhalb des christlichen Lagers gegen die mit Blut befleckten "Kriegsverbrecher" der Lebanese Forces profiliert.
2009 konnte FPM bei weitem nicht mehr so mobilisieren wie in den Jahren zuvor. Die vergleichsweise geringe Wahlbeteiligung bei den diesjährigen Studentenwahlen ging denn auch maßgeblich auf ihre Kosten, während alle anderen Parteien, auch ihre Verbündeten Amal und Hizbullah, ein vergleichsweise stabiles Wählerresservoir aufweisen. Es war wohl der Einbruch der FPM, der dem March 14-Lager dieses Jahr sowohl an der AUB, als auch an der USJ zum Sieg verhalf. Besonders an der USJ, im christlichen Ost-Beirut gelegen, zeigte sich, dass der Popularitätsverlust der FPM der entscheidende Wahlfaktor in diesem Jahr war.
Grundsätzlich hat sich am politisierten Charakter der Studentenwahlen im Libanon nichts verändert - im Gegenteil: die Polarisierung ist besonders unter Studenten tief verankert. Vor allem aber werden noch immer hauptsächlich Vertreter der politischen Parteien in die Studentenvertretungen gewählt, die meist wenig für wirklich studentische Belange eintreten und oft nicht einmal ein Wahlprogramm präsentieren. In einem Land, deren Universitätslandschaft von teils exorbitant hohen Studiengebühren geprägt ist, hätten die Studenten sicher bessere Vertreter verdient. Gerade gegenüber den Universitätsleitungen haben Studenten durch den politischen Fokus der gewählten Gremien kaum eine starke Verhandlungsposition. Ausnahmen gibt es wenige, am Schluss sei auf die aber noch hingewiesen: So konnten an der Medizinischen Fakultät der AUB parteiungebundene Kandidaten die meisten Sitze erobern - wie auch schon in den vergangenen Jahren. Auf diese Weise schlagen die AUB-Mediziner oft das meiste für sich heraus, wenn es etwa um die Beantragung von Lehrmitteln oder Geräten geht, da sich ihre Vertreter ausschließlich um akademische Belange kümmern. Ein Einzelbeispiel vielleicht, aber hoffentliche eines, das Schule macht.