In ungewöhnlich scharfer Form haben sich schiitische Religionsgelehrte in Saudi-Arabien gegen Anschuldigungen ihrer sunnitischen Glaubensbrüder zur Wehr gesetzt. Anfang Juni hatten 22 sunnitische Gelehrte, die der in Saudi-Arabien vorherrschenden wahhabitischen Auslegung des Islam angehören, in einer gemeinsamen Erklärung die Schiiten beschuldigt, "ungläubige Regeln" zu befolgen, sowie nach der Herrschaft über die Sunniten zu streben.
"Wenn die Schiiten ein Land haben, dann demütigen sie die Sunniten und üben die Kontrolle über sie aus. Sie säen Zwist, Verdorbenheit und Zerstörung unter den Muslimen und destabilisieren die Sicherheit in muslimischen Ländern", so die 22 sunnitischen Unterzeichner der Erklärung. Diese war eine Reaktion auf die Militäraktion der Hizbollah gegen die sunnitischen Viertel Beiruts, sowie die Kämpfe zwischen Sunniten und Schiiten im Irak.
In ihrer Antwort auf die Erklärung der Wahhabiten schreiben 85 Vertreter der schiitischen Gemeinschaft in Saudi-Arabien: "Der scharfe Ton und der Missklang leiden an psychologischen Komplexen und hat Konfrontaion und Beleidigungen zu seiner Politik erhoben. Es ist diese Stimme, die für die blutigen Ereignisse in unserem Land verantwortlich ist. Wir bitten unsere Brüder, die uns mit ihren Fatwas Unrecht getan haben und Muslime als Ungläubige bezeichnen, die zeitgenössische Schia neu zu bewerten."
Der Zwist zwischen Sunniten und Schiiten in Saudi-Arabien, letztere stellen etwa 15% der saudischen Bevölkerung und werden von staatlicher Seite diskriminiert, taucht just in dem Moment wieder in den Schlagzeilen auf, als das Königreich eine Konferenz zur islamischen Einheit vorbereitet. Bei diesem Treffen sollen Vertreter der verschiedenen islamischen Glaubensrichtungen zusammentreffen um über die Einheit der islamischen Gemeinschaft, den Kampf gegen religiösen Terrorismus und eben auch gegen die Praxis des Takfir, das "Ungläubig erklären" von Muslimen zu debattieren.