Sie trägt Highheels im Rollstuhl und träumt davon, im BMW laut singend durch ihre strengreligiöse Heimatstadt zu cruisen. Die Iranerin Mahana Jami, gelähmte Gewichtheberin, begeistert das Land mit Stärke und Optimismus. Ein Portrait von Anna Leli.
Mahana Jamis Händedruck ist fest entschlossen. So große, kräftige Hände hätte man an der zierlichen jungen Frau mit dem sorgfältig auffällig geschminkten Gesicht kaum erwartet. Ihr Kopftuch – im Iran sind Frauen verpflichtet sich das Haar zu bedecken – trägt sie streng gebunden. Ihr Lachen aber zeigt eine Prise Ungestüm. In der revolutionären, Islamischen Republik Iran kann das der Moralpolizei leicht mal als unsittlich auffallen. Doch das herausfordernde Lachen passt zu Mahana: immerhin ist sie iranische Meisterin in einer herausfordernden Disziplin. Wir treffen uns in einem der großen Teheraner Parks. Die Grünflächen sind im Iran vielerorts Symbole für gewisse Freiräume vom streng-religiösen Regime: Frauen dürfen hier Fahrrad fahren, Pärchen treffen sich. Seit letztes Jahr Präsident Hassan Rouhani den strengen Ahmadinedschad ablöste, sind auch die Kontrollen der Moralpolizei viel seltener geworden.
„Sind Sie nicht...?“ Ein Spaziergänger erkennt die 31-jährige Mahana. Seit sie vor zwei Jahren zur Primetime im iranischen Fernsehen gezeigt wurde, passiert ihr das öfter. Da hatte sie gerade allein mit der Kraft ihrer Arme den Milad Tower erklommen: 1.866 Stufen auf das Wahrzeichen Teherans. Mahana ist vom Rumpf abwärts gelähmt. Ihre Beine, die heute in strassbesetzten Highheels im Rollstuhl stehen, tragen sie keinen Zentimeter seit sie im Alter von zwei Jahren an Polio erkrankte. „Als Kind waren alle Stufen für mich unüberwindbare Hindernisse. Dann habe ich begriffen, dass sie eigentlich Herausforderungen sind“, sagt Mahana und strahlt. „Ich hab mir Stufen zum Lebensmittelpunkt gemacht.“
Mit 27 wog sie 75 Kilogramm und stemmte 113
Mahana wuchs als Waise auf, die Eltern gaben das Mädchen ab, als sie an Polio erkrankte. Sie ging auf öffentliche Schulen, kein bisschen barrierefrei. Und sie wollte weiter lernen auch als sie den Lehrern zu schwer wurde, um sie jeden Tag die 169 Stufen bis zum Klassenzimmer hinaufzutragen. Also begann sie, die Treppen selbst zu erklimmen – kraft ihrer Arme. „Ich habe begriffen: Ich musste aufhören, die Defizite zu sehen und auf meine eigenen Fähigkeiten vertrauen,“ erzählt sie. Mit 18 Jahren stellte sie den iranischen Rekord im Rollstuhlrennen auf. Mit 19 begann sie, Gewichte zu heben. Mit 27 wog sie 75 Kilogramm und stemmte 113. So wurde sie ein bisschen bekannt – und zu einer Persönlichkeit nationalen Interesses für Iran. Als Einladungen zu internationalen Wettbewerben kommen, reden ihr staatliche Beamte ins Gewissen: Ginge sie ins Ausland, könne das Probleme geben; bliebe sie, werde man sie im Iran fördern. Sie blieb, doch die versprochene Förderung erfüllte sich nie. „Ich bin stolz, Iranerin zu sein! Aber ich kann der ganzen Welt ein Vorbild sein!“, sagt die junge Frau energisch. Optimismus, sagt sie, ist ihr Leben.
Tatsächlich ist Mahana nur zu Besuch in Teheran: Morgen hat sie einen Termin im Innenministerium. Sie möchte nach Dubai reisen zu einem Wettbewerb für Menschen mit Behinderung: Sie soll die 60 Etagen des berühmten segelförmigen Burj al Arab erklimmen. Preisgeld 40.000 US Dollar. Bislang stellten sich die iranischen Behörden quer: Man fürchtet, Mahana könnte sich aus dem Iran absetzen. Doch die Sportlerin setzt auf die Gunst der Stunde: Seit Präsident Rouhani im Amt ist, stehen die politischen Zeichen auf Öffnung – und Mahana hofft auf die Ausreisegenehmigung. Das Preisgeld wäre ihr Ticket in eine bessere, selbstbestimmte Zukunft.
Mahana ist quasi mittellos. Sie hat einen Studienplatz für Chemie an der Universität von Mashhad ergattert und kommt dort kostenlos im Wohnheim unter. Die Großstadt Mashhad im Nordosten Irans ist bekannt für ihre religiöse Strenge. „Mein Traum ist es, reich zu werden. Dann kaufe ich mir einen dicken Mercedes, behindertengerecht, dreh die Musik auf und kurble die Fenster runter und cruise singend durch Mashhad!“ Singen in der Öffentlichkeit ist Frauen im Iran verboten, aber: „Wenn ich reich bin, dann kann ich alles tun“, lacht Mahana. Jetzt heißt es hoffen darauf, dass es weitergeht mit der Öffnung des Landes. Bis dahin trainiert sie weiter: acht Stunden täglich Gewichte stemmen, ganz allein.
Anmerkung der Redaktion: Die Begegnung mit Mahana Jami fand im Sommer 2014 statt. Ob die Ausreise klappte und Mahana das Preisgeld bekam, ließ sich nicht mehr nachverfolgen.