Die Großen lässt man laufen, die Kleinen hängt man auf. So lassen sich die Urteile im Prozess um das Stadionmassaker von Port Said zusammenfassen. Das Gericht bestätigte am Samstag die Todesurteile gegen 21 Fußballfans, die verantwortlichen Sicherheitskräfte kamen mit mehrjährigen Haftstrafen davon. In Kairo und Port Said ist die Wut über das hoch politische Verfahren groß - wenn auch aus unterschiedlichen Gründen.
Am Samstagmorgen hat ein Gericht in Kairo die Todesurteile gegen 21 Fans des Fußballklubs al-Masry aus Port Said bestätigt. Außerdem waren in diesem zweiten Verfahren 52 weitere Personen angeklagt. Fünf von ihnen wurden zu lebenslanger Haft verurteilt. Zwei hochrangige Sicherheitschefs müssen für 15 Jahre hinter Gitter. Sie hatten während des Spiels zwischen al-Masry aus Port Said und al-Ahly Kairo im Februar 2012 die Schlüssel für die Stadiontore besessen, die zum Zeitpunkt der Katastrophe verschlossen waren. Hunderten Fußballfans waren durch das Handeln der beiden Männer die Fluchtwege versperrt. 74 Menschen, die meisten von ihnen Fans von al-Ahly, kamen bei dem Massaker ums Leben. 16 weitere Polizisten wurden zu Haftstrafen zwischen fünf und 15 Jahren verurteilt. Ein Angeklagter muss für zwölf Monaten ins Gefängnis. Insgesamt 28 Personen, unter ihnen sieben hochrangige Sicherheitskräfte und zwei Mitglieder des Direktoriums von al-Masry, wurden freigesprochen.
Die Staatsanwaltschaft sagte in einer ersten Reaktion, sie überlege gegen die Freisprüche Einspruch einzulegen. Aus Sicherheitsgründen war die Urteilsverkündung vom Gericht in die Polizeiakademie von Kairo verlegt worden, wo auch das Strafverfahren gegen den gestürzten Präsidenten Husni Mubarak und seine Vertrauten abgehalten wurde. 2.000 Sicherheitskräfte sicherten das Gelände am Samstag weiträumig. Der Richterspruch wurde im ganzen Land mit großer Spannung verfolgt. Ende Januar hatte ein Gericht 21 Beschuldigte des Massakers in erster Instanz zum Tode verurteilt. Der Richterspruch hatte in Kairo aber mehr noch in Port Said gewaltsame Demonstrationen ausgelöst. Bei tagelangen Unruhen kamen Dutzende Menschen ums Leben.
Wut über die Freisprüche
In Kairo verlangten die Anhänger des Fußballklubs al-Ahly harte Strafen gegen die Verantwortlichen und Beschuldigten des Massakers. In Port Said demonstrierten Familienangehörige in den vergangenen Wochen immer wieder gegen die Todesstrafen für ihre Kinder. Viele Angehörige kritisierten die Untersuchungen des Massakers als zu nachlässig und warfen dem Gericht vor, die zum Tode verurteilten seien lediglich die Sündenböcke in einem hoch politischen Verfahren. Sie haben in den vergangenen Wochen mildere Strafen für ihre Kinder verlangt.
Der Urteilsspruch vom Samstag löste in beiden Städten Krawalle aus. In Port Said versuchten Anhänger der Green Eagles, der Ultra-Gruppe innerhalb der Fanszene von al-Masry, offenbar kurzzeitig mit Booten den Suez-Kanal zu sperren. Der Zugverkehr von und nach Port Said wurde inzwischen eingestellt. Die Green Eagles kündigten weitere Akte des zivilen Ungehorsams für den Fall an, dass das Verfahren nicht neu eufgerollt werde. Präsident Mursi und die Justiz hätten sich dem Druck der Ahly-Ultras gebeugt, so der Vorwurf.
Bei den Ahly-Ultras in Kairo, die den Urteilsspruch über Videoübertragung auf dem Klubgelände auf der Nilinsel Zamalek verfolgten, herrschte einerseits Genugtuung darüber, dass die 21 Todesurteile bestätigt wurden. Der Klub bezeichnete das Urteil in einer offiziellen Erklärung als fair. Gleichzeitig ist der Zorn darüber groß, dass die hauptverantwortlichen Polizeibeamten nur zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt wurden und sogar sieben Sicherheitskräfte freigesprochen wurden. Am Samstagnachmittag setzten Mitglieder der Ultras Ahlawy den Polizeiklub in Kairo in Brand. TV-Bilder zeigten Rauch aus dem Gebäude aufsteigen.
Außerdem haben Ahly-Fans den Sitz des ägyptischen Fußballverbandes unweit des Ahly-Klubgeländes gestürmt. Augenzeugen berichten, dass Fans aus dem Gebäude gestürmt seien, unter den Armen trugen sie Pokale, die sie aus den Vitrinen des Verbandes geräumt hatten. Am Nachmittag kündigten die Ultras auf ihrer offiziellen Facebook-Seite an: "Was heute passiert ist, war erst der Anfang unseres Zorns. Wir werden mehr davon zeigen, wenn nicht alle Verantwortlichen, die an dem Massaker beteiligt waren, vor Gericht gestellt werden. Wir werden uns nicht damit begnügen, dass zwei Hunde von der Polizei verurteilt wurden."