17.11.2011
Proteste in Kuwait: Der Scheich trügt
Kuwait ist stolz auf sein Parlament. Kaum ein Landesportrait von offizieller Stelle kommt ohne den Verweis aus, dass bereits 1963, nur wenige Monate nach der Unabhängigkeit, die erste vom Volk gewählte Nationalversammlung zusammentrat und Kuwait damit als erster Golfstaat demokratische Strukturen schuf.

Im Volk sind die Parlamentarier dagegen derzeit weniger gut gelitten. Am Mittwoch Abend versammelten sich zunächst mehrere hundert Demonstranten auf dem Erada-Platz vor dem Parlament in Kuwait-Stadt. Später stürmten dutzende das Parlamentsgebäude um den Sturz des Regierungschefs und die Auflösung der Nationalversammlung zu fordern. Bei den Unruhen wurden mehrere Menschen verletzt. In der Geschichte des kleinen Golfstaats ein unerhörter Vorgang.

Die Gründe für den Protest sind vielschichtig. Sie liegen zum Einen im weitverbreiteten Ärger über die grassierende Korruption in der kuwaitischen Politik und zum Anderen in der Unzufriedenheit mit der Regierungspolitik, die von der herrschenden Al-Sabah-Familie bestimmt und von ihr loyal ergebenen Parlamentsabgeordneten unterstützt wird.

Kuwaits Emir Sabah al-Ahmad al-Jabir al-Sabah versuchte angesichts des seit Jahren wachsenden Unmutes eine Ausbreitung des Arabischen Frühlings auf sein Land zu verhindern. Deshalb spendierte er bereits Anfang des Jahres allen Staatsbürgern kostenlose Nahrungsrationen sowie 1000 Dinar, umgerechnet knapp 2700 Euro.

Gegen ein Drittel der Abgeordneten laufen Ermittlungen 

Doch im September erreichte die nahöstliche Protestbewegung auch das kleine Kuwait. Auslöser war ein Korruptionsskandal bislang unbekannten Ausmaßes, in den bis zu 20 Minister und Parlamentarier verwickelt sein sollen. Zwei kuwaitische Banken hatten Alarm geschlagen, weil auf den Konten zweier Abgeordnete insgesamt 92 Millionen US-Dollar eingegangen waren.

Mittlerweile wird gegen 16 Parlamentarier ermittelt, die insgesamt knapp 350 Millionen Dollar erhalten haben sollen. Damit wäre nach jetzigem Stand fast jeder dritte der 50 Abgeordneten in den Skandal verwickelt. Kuwaits Außenminister, ein Mitglied der Emirfamilie, trat Anfang November zurück – über seine Rolle in der Affäre wird seither lebhaft spekuliert.

Korruption in Kuwait gehört zum Alltag. In den vergangenen zwölf Jahren erwirtschaftete das Land, das über die viertgrößten Erdölreserven der Welt verfügt, ein Hausthaltsplus von etwa 200 Milliarden US-Dollar. Dieser Reichtum hat bei vielen eine Selbstbedienungsmentalität wachsen lassen.

Doch das Ausmaß des im Herbst bekannt gewordenen Korruptionsskandals überbot alle bis dahin bekannten Fälle. Im Oktober demonstrierten mehr als 10000 Menschen für Neuwahlen und den Rücktritt des Premierministers Nasser Mohammed al-Ahmad al-Sabah. Die Opposition beschuldigt den 71-jährigen Neffen des Emirs, die Gelder an die Abgeordneten überwiesen und damit ihre Unterstützung im Parlament erkauft zu haben. Nasser ist seit Jahren umstritten. Seitdem er 2006 vom Staatschef zum Premier ernannt wurde, trat er bereits sechs Mal von seinem Posten zurück, wurde jedoch stets von seinem Onkel wieder auf den Chefsessel berufen.

Der umstrittene Regierungschef ist zum Symbol für die politische Dauerkrise geworden, in der sich Kuwait seit Jahren befindet. Seit 2006 fanden bereits drei Mal Parlamentswahlen statt. Auseinandersetzungen über das Wahlrecht und die Unzufriedenheit mit Premier Nasser waren die Gründe für die mehrfache Auflösung des Parlaments.

Für Kuwaits Emir ist das Parlament nur ein Feigenblatt 

Diese politische Instabilität belegt zugleich, dass die Rechte, die der Nationalversammlung per Verfassung garantiert werden, von der Herrscherfamilie ausgehebelt werden. Anlass für die zahlreichen Rücktritte des Regierungschefs war nämlich das Ansinnen der parlamentarischen Opposition, den Premier im Parlament öffentlich zu seiner Politik zu befragen und anzuhören. Im Selbstverständnis der Monarchen ein undenkbarer Vorgang, den Familie Sabah durch Rücktritte, Parlamentsauflösungen und wie sich nun zu zeigen scheint auch durch Bestechungsgelder zu umgehen versucht.

Auch wenn sich der Emir liberaler zeigt als seine Amtskollegen in den Golfstaaten und sich die kuwaitischen Zeitungen kritische Worte über die Herrscherfamilie erlauben dürfen, bestärken die jüngsten Vorfälle all jene Kuwaitis in ihrer Meinung, die der Ansicht sind, von einer absolutistischen Monarchie regiert zu werden, die sich ein handzahmes Parlament als Feigenblatt zugelegt hat.

An dieser Diagnose werden auch Neuwahlen wenig ändern. Und selbst wenn Emir Sabah seinen unbeliebten Neffen fallen lassen und einen neuen Premierminister ernennen sollte, würde dies wohl nur kurzzeitig Druck von der Herrschaftsfamilie nehmen. Ohne grundlegende Reformen, die den Bürgern und ihren gewählten Vertretern mehr Rechte einräumen, droht Kuwait ein Fortdauern der politischen Krise auf unbestimmte Zeit.

Zumindest ein Ausweg bleibt dem Emir angesichts der Demokratiebewegung in der Arabischen Welt aber versperrt. Sabahs Vorgänger an der Staatsspitze lösten in den 1970er und 1980er das Parlament für jeweils fünf Jahre auf, als ihnen die Parlamentarier zu selbstbewusst entgegentraten. Inmitten des Arabischen Frühlings wird sich der Emir ein ähnliches Vorgehen jetzt nicht erlauben können.