Die jordanische Monarchie ist bislang relativ unbeschadet durch den Arabischen Frühling gekommen. Ein reformiertes Wahlgesetz soll nun auch die politische Opposition besänftigen und ins politische System einbinden. Neu ist dieses Strategie nicht. Von Maximilian Felsch
Schon lange vor den arabischen Aufständen versuchte die jordanische Monarchie immer wieder, dem wachsenden Unmut der Bevölkerung sowie dem Druck ihrer Geldgeber vom IWF mit behutsam kalkulierten Reformen und demokratischen Lippenbekenntnissen zu begegnen. Auch die Entscheidung, 1989 erstmals Parlamentswahlen abzuhalten, war nicht demokratischen Wertvorstellungen der Monarchie geschuldet, sondern war die Antwort auf eine tiefgreifende Wirtschafts- und Finanzkrise, die soziale Einschnitte zur Folge hatte und Proteste auslöste. Die scheinbare Demokratisierung diente im Kern der Aufrechterhaltung der autoritären Regierungsform in Krisenzeiten. Politische Parteien waren 1989 noch gänzlich verboten.
Dominiert wird die Oppositionsbewegung Jordaniens seit den 1980er Jahren von den islamistischen Muslimbrüdern. Diese sind seit den 1990er Jahren mit ihrer politischen Partei, der Islamischen Aktionsfront, ins politische System eingebunden. Die Inklusionsstrategie des Regimes gegenüber der islamistischen Opposition sollte den Anschein politischen Pluralismus erwecken und zugleich eine effektive Kontrolle ihrer Aktivitäten ermöglichen. Die Muslimbrüder sind ihrerseits seit Jahrzehnten in der Frage gespalten, ob sie sich weiterhin als demokratisches Feigenblatt des autoritär regierenden Regimes instrumentalisieren lassen wollen, oder aber ob sie sich als politische Alternative zum monarchisch-autoritären Herrschaftssystem präsentieren – und damit auf einen riskanten Konfrontationskurs mit dem Regime gehen.
Bei den letzten Wahlen 2010 setzte sich der radikalere der beiden Flügel durch und bewirkte einen Wahlboykott aus Protest gegen gebrochene Reformversprechen und die systematische politische Diskriminierung des islamistischen Wählermilieus: den palästinensisch-stämmigen Stadtbewohnern. Die Monarchie fasste den Wahlboykott als Affront auf, denn er stellte die Legitimität des ganzen politischen Systems in Frage.
Eine regimenahe Partei gibt es in Jordanien nicht
Die nun für den 2. Dezember 2012 anberaumten Neuwahlen haben das Ziel, die institutionalisierte Kooperation zwischen Regierung und Opposition wiederherzustellen und das vom Regime gefürchtete Protestpotential weg von der Straße und zurück ins Parlament zu holen. Um den Muslimbrüdern sowie linken und liberalen Oppositionsparteien entgegenzukommen, wurde das Wahl- und Parteiengesetz ein weiteres Mal reformiert. Die Veränderungen sind diesmal grundlegender als bei vorherigen »Reformen«. Zu den bedeutendsten Veränderungen gehören die Schaffung einer erstmals unabhängigen Wahlkommission, die anstelle des Innenministeriums den Wahlprozess organisieren und beobachten soll, sowie die Einführung einer Zweitstimme, mit der der Wähler Parteilisten wählen kann. Außerdem können von nun an Jordanier auf kommunaler Ebene ihre Stadträte und Bürgermeister wählen.
Der Opposition gehen diese Reformen aber nicht weit genug. Ihr größter Kritikpunkt ist, dass laut neuem Wahlgesetz nur 17 der insgesamt 140 Sitze des Unterhauses politischen Parteien vorbehalten sind. Die restlichen Parlamentarier werden direkt nach dem Mehrheitsprinzip mit der Erststimme gewählt und dürfen keiner Partei angehören. Die von den Muslimbrüdern geführte Opposition fordert nun, dass politische Parteien mindestens 50 Prozent des Unterhauses besetzen dürfen. Außerdem beanspruchen sie mehr Rechte für das Parlament, insbesondere die Wahl des Ministerpräsidenten und seines Kabinetts. Wenig demokratisch ist auch die unveränderte Praxis, dass alle Mitglieder des Senats – dem parlamentarischen Oberhaus im jordanischen Zweikammersystem – allein vom König ernannt werden.
Die enorme Machtfülle Abdullah II. wird auch nach der Verfassungsreform kaum angetastet. Er bleibt Staatsoberhaupt, Oberkommandierender der Streitkräfte und oberster Richter. Er ernennt Ministerpräsidenten und kann Regierungen und Parlamente nach eigenem Ermessen auflösen. Und er hat das Recht, in Form königlicher Erlässe im Alleingang Gesetze zu verabschieden.
Für die Stabilität der jordanischen Monarchie ist es entscheidend, ob es ihr gelingt, die politischen Parteien ins politische System einzubinden. Die Parteienlandschaft wird dominiert von der Islamischen Aktionsfront. Außerdem gehören ihr linke und liberale Kräfte an. Alle Parteien sind oppositionell eingestellt, eine regimenahe Partei gibt es in Jordanien nicht.
Jordaniens Muslimbrüder halten eine Revolution nach ägyptischen Vorbild für möglich
Unterstützt wird das Regime vorwiegend von konservativen, ländlich-beduinisch geprägten Stämmen und Klans. Dieser Teil der Gesellschaft bildet das Rückgrat der jordanischen Monarchie, befindet sich jedoch gegenüber der urbanen und palästinensisch geprägten Gesellschaftsschicht in der Minderheit. Dieses Kräfteverhältnis wird seit jeher durch eine ungleiche politische Repräsentation im Parlament ins Gegenteil verkehrt, indem der ländlich-konservative Bevölkerungsteil durch einen entsprechenden Zuschnitt der Wahlkreise deutlich überrepräsentiert ist.
Die arabischen Aufstände und insbesondere die Wahlerfolge islamistischer Akteure in Tunesien, Ägypten und Marokko haben eine neue Dynamik in diese seit Jahren andauernden Spannungen zwischen Monarchie und oppositionellen Muslimbrüdern gebracht. Die Muslimbrüder sehen sich im Aufwind und vertreten ihre Forderungen immer offensiver. Sie scheuen die Konflikteskalation nicht mehr wie in vergangenen Jahren, weil sie eine Revolution nach ägyptischem Vorbild auch in Jordanien für möglich halten. Den Wahlsieg Mohamed Morsis zelebrierten die Muslimbrüder in verschiedenen Städten mit Volksfesten – und provozierten die Monarchie bewusst.
Bislang beschränkte sich der Arabische Frühling in Jordanien auf überschaubare Demonstrationen zugunsten politischer Reformen und gegen reformunwillige und korrupte Regierungen. Abdullah II. reagierte auf die Proteste, indem er Reformen ankündigte. Außerdem entließ es schon drei Mal den Ministerpräsidenten und beauftragte die neuen Kabinette mit der Umsetzung seines Reformprozesses. Diese Strategie zahlte sich soweit aus, da bislang nur sehr vereinzelt das monarchische Regierungssystem an sich in Frage gestellt wurde. Dass das so bleibt, wird nicht zuletzt von den kommenden Wahlen abhängen, beziehungsweise davon, ob die Islamische Aktionsfront daran teilnimmt. Ungeachtet allen Appellen des Monarchen scheinen sich die Islamisten für einen erneuten Wahlboykott entscheiden zu wollen.
Abdullah II. muss das neue Wahlgesetz noch unterschreiben, um den Weg für Neuwahlen frei zu machen. Bleibt das reformierte Wahlgesetz so wie es vorliegt, könnte ein erneuter Wahlboykott der Islamisten zu großer politischer Instabilität in Jordanien führen. Ohne die Partizipation der Oppositionsbewegung ist der politische Reformprozess zum Scheitern verurteilt. Ermutigt durch islamistische Erfolge in anderen arabischen Staaten, könnten die jordanischen Muslimbrüder dann die Revolution wagen.