01.08.2020
Nostalgie in Flaschen
Quelle: Wiki Commons
Quelle: Wiki Commons

Ein neues Buch erzählt vom unwahrscheinlichen Aufstieg und Fall der ägyptischen Biermarke Stella – und lässt dabei viele Fragen offen.

Dies ist ein Beitrag unserer Reihe Re:zension. Seit Mai 2018 stellen wir regelmäßig ein neu erschienenes Buch vor, das wir für besprechenswert halten. Wenn Ihr Vorschläge für solche Werke habt oder mitmachen wollt, schreibt uns gerne an [email protected].

„Gibt es Stella überhaupt noch in Ägypten?“, fragt ein Angestellter der ägyptischen Nationalbibliothek den Autor Omar D. Foda, als er bemerkt, dass dieser in den alten Mikrofiches nach Spuren der größten ägyptischen Biermarke sucht.

Diese Marginalie, in der Monografie „Egypt’s Beer. Stella, Identity and the Modern State“ dem Schlusskapitel vorangestellt, enthält bereits die Essenz von Fodas Unterfangen: anhand der historischen Wechselfälle des Biermarktes eine politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Geschichte Ägyptens zu erzählen – eine Geschichte freilich, die Foda in eine leicht nostalgisch verklärte Vergangenheitsform stellt.

In der Tat zeigt sich am Bierkonsum gesellschaftlicher Wandel: Für die Mitte der 1970er Jahre führt der Autor eine Statistik an, derzufolge fünf der damaligen 35 Millionen muslimischen Ägypter*innen regelmäßige Biertrinker*innen waren - heute scheint das Bewusstsein dafür kaum noch vorhanden.

Der Weg zur Massenware

Blickt man auf das vermutlich gute Dutzend Kneipen in Kairos Zentrum, die heute jenseits der Hotels und poshen Clubs noch Bier servieren, ist Nostalgie eine durchaus nachvollziehbare Haltung. Diese Bars sind die Erben der einstmals gut 4.000 Lokale mit Schanklizenz, die Foda im Kairo des Jahres 1904 ausmacht, als die Hauptstadt einen Bruchteil ihrer heute rund 20 Millionen Einwohner hatte und die Vorläufer von Stella gerade ihren Siegeszug antraten. Bier schickte sich damals an, das prototypische Produkt an der Schnittstelle ökonomischer und gesellschaftlicher Modernisierung zu werden und den Massenmarkt für alkoholische Getränke zu etablieren.

Seine Revolution war zunächst eine der Industrialisierung: Bier ließ sich dank technischer Innovationen in einer zuverlässig gleichbleibenden Qualität in großen Mengen herstellen und neben Fässern auch in den neu entwickelten Glasflaschen auf den Markt bringen. Es eignete sich daher exemplarisch für die Etablierung einer großen Verbrauchermarke.

Foda erzählt die kulturelle Frühgeschichte des Biers in Ägypten nicht nur anhand von Stella. Er verweist auf die lange Tradition des Getränks im Land, die vermutlich schon auf die pharaonische Zeit zurückgeht. Sein neuzeitlicher Nachfahre, das buza, wurde in Ägypten bis ins 20. Jahrhundert kontinuierlich auf handwerkliche Weise hergestellt und schließlich durch das qualitativ überlegene Bier ersetzt – zunächst durch Importe, dann durch Produkte aus dem eigenen Land.

Die Marke Stella betritt die Bühne in mehreren Schritten, zunächst durch die Gründung zweier Brauereien, Crown in Alexandria und Pyramid in Kairo im Jahre 1897 durch eine Gruppe belgischer Industrieller. Die beliefern den Markt in den Anfangsjahren mit ihren jeweils eigenen Produkten, bis der französische Investor René Gaston-Dreyfus nach seiner Übernahme der Aktienmehrheit zu Beginn der 1930er-Jahre den Impuls zur Entwicklung einer hochwertigen, landesweit einheitlichen Biermarke gibt: Stella.

Die Vermarktungsstrategie dieses Biers sieht Foda in einer Traditionslinie mit den Werbeansätzen der ausländischen Marken: Es wurde als kühl und erfrischend charakterisiert, und sein vergleichsweise niedriger Alkoholgehalt erlaubte eine Darstellung als Erfrischungsgetränk bei gleichzeitig diskreten Anspielungen auf seine Rolle als „soziales Schmiermittel, so Fodas Formulierung. War Bier anfangs vor allem ein Konkurrent von Whiskey und türkischem Kaffee als Rauschmittel, so erlaubten seine industrielle Herstellung und das moderne Marketing in den aufkommenden Massenmedien die Erschließung neuer Konsument*innenkreise.

Das Erfolgsrezept von Stella, das durch die Übernahme durch die in den Niederlanden beheimatete Heineken-Gruppe Ende der 1930er-Jahre noch einmal mit zusätzlichem Kapital und Know-how gestärkt wurde, bestand in der Schilderung Fodas in einer Mischung aus einer verlässlich hohen Qualität, einem hohen Wiedererkennungswert und einem gegenüber ausländischen Bieren vergleichsweise niedrigen Preis. Diese Strategie traf dank des Aufstiegs der westlich orientierten ägyptischen Mittelschicht, der effendiya, auf einen wachsenden Abnehmer*innenkreis.

Spiegel des multikulturellen Ägyptens

Das Buch entgeht der Versuchung, die Gesellschaftsgeschichte des Biers in Ägypten als Geschichte eines Kulturclashs zu beschreiben. Wenn die Frage der kulturellen Akzeptanz von Alkohol in einer muslimischen Gesellschaft auch immer eine wichtige bleibt, so ist sie doch keineswegs die einzig einschlägige. So erfahren wir von den ersten Kampagnen gegen Bierkonsum in den 1910er- bis 20er-Jahren, die sich dezidiert auf die amerikanische – und damit nicht zuletzt christlich geprägte – Prohibitionsbewegung beziehen.

Eine differenzierte Analyse des Biermarkts in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts macht zudem klar, dass die Entscheidung für oder gegen Bierkonsum häufig genug eine ökonomische und nicht ausschließlich eine kulturell oder religiös begründete war.

Faszinierend sind auch die Innenansichten der Firmen, die Schilderungen sowohl der komplexen Organisationsstruktur der multinationalen Unternehmungen hinter Stella, deren Kommunikationswege zwischen Rotterdam, Amsterdam, Kairo und Brüssel hin- und hergingen, ebenso wie die der Struktur der Belegschaft: Sie spiegeln das multikulturelle Ägypten der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wider, in dem Muslim*innen, Christ*innen und Jüd*innen, Ägypter*innen, Griech*innen, Italiener*innen oder Armenier*innen Seite an Seite arbeiteten und jeweils auf allen Hierarchiestufen des Unternehmens vertreten waren.

Auch wenn deutlich wird, dass ausländisches Kapital entscheidend war und muslimische Ägypter*innen eine relativ zu ihrer Bevölkerungsmehrheit geringe Rolle in den untersuchten Unternehmen spielten, so wird doch ebenfalls klar, dass es sich keinesfalls um ausschließlich koloniale Verhältnisse handelte.

Der privilegierte Zugang zu diesen Innenansichten steht aber in einem engen Verhältnis zu den großen Problemen des Buchs: ein sorgloser Umgang mit Quellen, undifferenzierte historische Wertungen und ein weitgehend unkritischer Zugang zum eigenen Gegenstand.

 University of Texas Press

Beschränktes Geschichtsverständnis

Das beginnt beim persönlichen Zugang: Der Autor Omar D. Foda nämlich ist der Enkel des gleichnamigen früheren Chefs der Al-Ahram Company, wie die Brauereien hinter Stella seit ihrer Verstaatlichung hießen. Von diesem nicht unwichtigen Umstand erfahren wir en passant erst irgendwann im Verlauf des Buches. Dieses Verhältnis wird weder kritisch reflektiert noch durch die Schilderung persönlicher Erinnerungen produktiv gemacht.

Die Superlative, mit denen Foda das Unternehmertum seines Großvaters belegt, werfen daher auch einen Schatten auf viele andere, durchaus nicht unwichtige Aspekte seiner Schilderung. So belegt Foda seine Einordnung der Qualität des frühen Stella und seiner Vorläufermarken sowie der Fabriken, in denen es hergestellt wird (hochmodern, erstklassig und ähnliche) mit Verweisen auf ein zeitgenössisches belgisches Buch über belgische Unternehmen in Ägypten – eine Publikation, deren objektives Werturteil zumindest in Frage gestellt werden dürfte.

Aus diesen lückenhaften Bezügen erwachsen auch Probleme in der Darstellung der sich wandelnden gesellschaftlichen Rolle von Bier in Ägypten, die vom Buch eher in Schlaglichtern denn in historischen Vergleichen ausgeführt werden. So vermittelt der Text punktuelle Einsichten, aber nur ein eingeschränktes Verständnis von historischen Verläufen oder auch möglicher ägyptischer Besonderheiten im Vergleich zu anderen Ländern der Region.

Foda rekurriert neben Zahlen auch auf die Darstellung von Bier in Film und Literatur. So wird ihm Waguih Ghalis „Beer in the snooker club“ zu einem Kronzeugen der kulturellen Dominanz von Stella in Äygpten. Das Problem daran ist freilich seine sehr oberflächliche Lektüre des Texts, in dem die Marke Stella tatsächlich nur ein einziges Mal erwähnt wird.

Aus der Tatsache, dass der Protagonist Bier mit Erfrischung assoziiert, schließt Foda, dass dies die gängige Konnotation von Bier in der ägyptischen Gesellschaft gewesen sei, ohne freilich zu berücksichtigen, dass im Roman beständig die Prägung der Figuren durch die britische – und nicht die ägyptische – Kultur betont wird.

Rastloses hin und her

Noch problematischer ist Fodas Analyse der Nasser-Zeit. Seine Voreingenommenheit gegen den Militär, der aus der anfangs eher diffus anti-britischen und anti-monarchischen Revolution von 1952 ein sozialistisch geprägtes Regime entwickelte – und im Zuge dessen auch Stella verstaatlichte –, ist zwar in vielerlei Hinsicht nachvollziehbar, verstellt aber mitunter den Blick auf die eigentliche Ironie dieses historischen Augenblicks: Denn Nasser trägt zwar entscheidend zur Zerstörung der multikulturellen gesellschaftlichen Grundlagen bei, die das Entstehen und den Aufstieg von Stella überhaupt ermöglicht hatten, ebnet aber mit seiner Politik der Umverteilung zugleich den Weg zur Entstehung einer großen Mittelschicht, die sich den Konsum des Produkts überhaupt erst leisten kann.

Denn Stellas Absätze steigen von den 1950er- bis zu den 1980er-Jahren kontinuierlich an. Ihren Höhepunkt erreichen sie rund zehn Jahre nach 1976, als Nassers Nachfolger Sadat mit Verweis auf religiöse Motive den Ausschank von Alkohol in der Öffentlichkeit weitgehend verbietet. Wo und wer in den 1970ern und 1980ern Bier trank, bleibt im Dunklen.

Auch die nicht unwichtige Frage, ob der von Foda ausführlich dokumentierte Qualitätsverfall nach dem altersbedingten Rückzug seines Großvaters von der Unternehmensspitze Mitte der 1980er-Jahre die entscheidende Ursache für die rückläufigen Verkaufszahlen war oder die Verdrängung von Alkohol aus dem öffentlichen Leben, bleibt unbeantwortet.

All das macht aus „Egypt’s Beer“ eine zwar an vielen Stellen erhellende, letztlich aber unbefriedigende Lektüre. Zwischen ihrem Anspruch, Wirtschafts-, Politik und Kulturgeschichte schreiben zu wollen, wandelt sie rastlos hin und her. Und so bliebe eigentlich zu hoffen, dass ihre teilweise sehr interessanten Einsichten Anlass für weitere Studien geben, die diesen faszinierenden Aspekt der ägyptischen Moderne konzentrierter aufarbeiten.

Omar D. Foda: "Egypt's Beer. Stella, Modernity, and the Modern State". University of Texas Press, 2019. 

 

Redigiert von Christopher Resch, Tobias Griessbach