Mohammad Esmaiel Emadi ist Künstler in Teheran. Das Malen begann er während des Arabischen Frühlings. Seine Frage an die Kunst: Was passiert in der Bilderflut, die unsere Wahrnehmung politischer Ereignisse ausmachen? Essay des jungen Künstlers.
„Alles begann mit einem Foto aus Auschwitz. Ein Foto von einem Haufen toter Körper, der viel mehr aussah wie ein hoher Berg als wie ein Stapel aufgeschichteter Leichname. Es wirkte wie das Gemälde eines Impressionisten. Die Leichnamen auf dem Bild schienen wie Farbtupfer, die zusammen einen Berg in verschiedenen Schattierungen bildeten. Es war dieses Bild, das mich auf das Phänom Schwarm aufmerksam machte und auf unsere Lage als Menschen in der Ära der größten jemals gemessenen Bevölkerungsdichte auf unserem Planeten.
Ich bin ein Künstler aus Teheran. Meine ersten Werke entstanden während des Studiums in einem Prozess ständigen Ausprobierens. Es war die Zeit des Arabischen Frühlings, um das Jahr 1388 im iranischen Kalender oder 2009 / 2010 im Gregorianischen. Ich gewann den Eindruck, dass der Umgang der Medien und Nachrichten mit den Ereignissen einmal ausschlaggebend sein würde. Und genau das geschah.
Ich bin ein Künstler ohne Glauben
Ich bin ein Künstler ohne Glauben, ein Künstler, der weder an Farbe, an Form, noch an Zeichen glaubt. Und so blieb mir nichts anderes, als Dinge aufzuzeigen. So begann ich frei und ohne bestimmte Absicht mit Bildern zu spielen.
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Die ersten erwähnenswerten Bilder, die ich schuf, hatten etwas von einer Tapete und enthielten Bilder in Wiederholung, zum Beispiel von Kennedys Ermordung. Die Bilder erinnerten an Andy Warhols Werk, in dem die Wiederholung eines Elements – dem elektrischen Stil zum Beispiel - aufzeigte, wie bedeutungslos es im Prozess der Wiederholung in den Medien wurde. Doch ich hatte nicht die gleiche Frage wie Warhol und so suchte ich in der Kunst auch nach einer anderen Antwort. Ich wandte mich der Ansammlung von Bildern zu einzelnen Ereignissen zu. Meine Frage spitzte sich zu: Was, fragte ich mich, passiert im Schwarm der Nachrichten, die sich um ein bestimmtes Ereignis drehen?
Um nachzuvollziehen was für Eindrücke durch die Medien vermittelt werden, versuchte ich die Sequenz an Impressionen nachzustellen, die ich selbst von Ereignissen wie den Protesten in Ägypten in den Medien gesehen hatte. Ich benutze eine Reihe von Bildern anstatt eines einzelnen Bildes von einem Ereignis und das Ergebnis fühlte sich interessant an: Ein Bild, zwei-mal-zwei Meter groß, dessen Inhalt aus der Ferne abstrakt und aus der Nähe fast figürlich aussah. Ein Bild-Fluss, kopiert und vermischt ohne erkennbare Logik.
Wo endet Realität, wo beginnt Vorstellung?
Die Arbeit erinnerte mich daran, dass die Inflation von Daten – die immer größere Menge an Informationen, die wir erhalten – nicht gleichzusetzen ist mit einer erweiterten Wahrnehmung von der Welt, die uns umgibt. Die Grenzen von Realität und Vorstellung sind nicht leicht auseinanderzuhalten. Die Vorstellung schaltet sich nicht nur dort ein, wo Wirklichkeit fehlt, sondern auch durch den Schwarm der Realität. Man kann es sich vorstellen wie eine Achterbahnfahrt: Man fährt sehr schnell, doch obwohl man dabei einer großen Menge visueller Informationen in sehr kurzer Zeit ausgesetzt ist, sieht man nicht mehr als ein stumpfes, vages Bild. Der Geist kann eine solch riesige Datenmenge nicht verarbeiten.
Es war nicht mein Ziel, einfach ein abstraktes Bild aus vielen kleinen zu erstellen. Aus der Nähe waren die einzelnen Bilder recht deutlich erkennbar und die Beziehungen zwischen ihnen augenscheinlich. Doch hier liegt auch ein Paradox: Konzentriert man sich auf einen einzelnen Teil des Ganzen, verliert sich die Beziehung zwischen diesem einzelnen und den übrigen Teilen, während man, aus der Ferne betrachtet, nichts weiter sehen kann als ein abstraktes Ganzes, in dem sich die Beziehungen zwischen einzelnen Teilen und dem Ganzen verlieren. Es gibt also eine Leerstelle zwischen dem Ganzen und seinem Einzelteilen, die nicht aufgelöst werden kann; eine Leerstelle, die mit Distanz zum Gemälde sichtbar wird.
Ein Meer von Bildern, Worten, Klängen
Dieser Mechanismus spiegelte wider, wie ich die Ereignisse in Nahost und besonders in Iran wahrnahm. Ich fühlte, dass es mir unmöglich war, die Verbindung zwischen dem Großen Ganzen und seinen Teilen zu verstehen. Als ob das Große Ganze etwas an sich hatte, das über seine Einzelteile hinausging und das nicht auszumachen war, wenn man nur die Teile eines nach dem anderen durchging. Diese Komplexität drückt sich in meinen Arbeiten aus, in denen die Bilder nicht nebeneinander liegen, sondern sich überlagern.
Als Maler glaube ich nicht daran, dass Zeichen allein fähig sind das auszudrücken, was sie aussagen sollen. Deshalb entschied ich, mit der Wahrnehmung der Betrachter je nach ihrer Entfernung zum Gemälde zu spielen: Aus der Distanz sieht der Betrachter etwas fast Abstraktes, aus der Nähe aber ein figürliches Bild. Farbe wird bedingungslos genutzt, Bilder vermischen und überlagern sich.
Anstatt mich auf Zeichen zu verlassen, versuche ich, mit den visuellen und physischen Aktionen des Publikums umzugehen und formuliere dabei die mögliche Bedeutung der Rolle des Publikums. Ein Betrachter, der das Bild aus der Ferne als ein abstraktes sieht, mag neugierig werden, näher kommen und sehen, dass einzelne Bilder vermischt sind, Figuren und Gesichter erkennen, wieder einen Schritt zurücktreten und nun einzelne Farben ausmachen, gelöst aus dem, was auf den ersten Blick wie ein einzelnes Ganze wirkte, gelöst wie man Fleisch vom Knochen trennt.
Mit weit geöffneten Augen tauchen wir ein in ein Meer von Bildern, Worten, Klängen. Alles ist schnell und wir schauen bloß zu.“
Sayed Mohammad Esmaiel Emadi, 25, stammt aus dem nordiranischen Mazandaran, wuchst in Teheran auf und studierte dort Malerei an der Hochschule für Wissenschaft und Kultur. Mehr von 'Emad' findet sich auf seiner Facebook-Seite. Sein Essay hat Lea Frehse aus dem Englischen übersetzt. Mehr zur zeitgenössischen Kunstszene Teherans ist auch zu lesen im österreichischen Standard.