14.02.2006
Libanon ein Jahr nach dem Hariri-Attentat - ein Interview mit Privatdozent Dr.Axel Havemann

Heute jährt sich der Anschlag auf den libanesischen Ex-Premierminister Rafiq Hariri zum ersten Mal. Zur aktuellen Lage im Libanon und dem Verhältnis zu seinen Nachbarn Syrien und Israel befragte alsharq den Privatdozenten Dr. Axel Havemann. Die Beschäftigung mit Politik, Religion und Gesellschaft des Libanon gehört zu Havemanns Forschungsschwerpunkten. Im Jahr 2002 erschien seine Monographie „Geschichte und Geschichtsschreibung im Libanon des 19. und 20. Jahrhunderts. Formen und Funktionen des historischen Selbstverständnisses.“ Gegenwärtig ist Axel Havemann Gastdozent am Institut für Islamwissenschaft der FU Berlin.

alsharq: Das Attentat auf Rafiq Hariri heute vor einem Jahr führte zu Massenprotesten gegen die syrischen Besatzer und Forderungen nach einer weiteren Demokratisierung. Seit dem syrischen Abzug und den Parlamentswahlen scheint jedoch der Reformprozess im Land zu stagnieren. Der Syrien-treue Staatschef Lahoud ist noch immer im Amt, das Land erlebt eine Regierungskrise und noch immer sind Politiker und Journalisten Ziel von Anschlägen. Die Euphorie der März- und Apriltage des vergangenen Jahres scheint verflogen. Ist die „Zedernrevolution“ am Ende?

Axel Havemann: Angesichts der Entwicklungen in den vergangenen Monaten habe ich meine Zweifel, ob der Ausdruck "Zedernrevolution" nicht zu euphemistisch war und ist.Von der seinerzeitigen Euphorie im März und April 2005 kann ich nichts mehr erkennen. Besonders aufgrund der jüngsten Probleme und Spannungen, im Zusammenhang mit den Muhammad-Karikaturen, bin ich ziemlich skeptisch, wann und wie der Reformprozess weiter gehen kann. Die Emotionen sind zu aufgeladen, und die gewaltbereiten Kräfte werden ja nicht gerade weniger.

alsharq: Sehen Sie eine Chance für ein Ende des noch immer konfessionell geprägten politischen Systems in Libanon? Wer würde davon am meisten profitieren, wer ist an einem Erhalt des Staus Quo interessiert?

A.H.: Die Chancen für eine Überwindung des konfessionell-politischen Systems stehen ziemlich schlecht. Wenn der Libanon aus diesem Dilemma herauskommen will, muss endlich mehr geschehen als Absichtserklärungen, egal, von wem sie kommen.Man darf nicht vergessen (oder verdrängen), daß der Vertrag von Ta'if am Ende des Bürgerkriegs offiziell nach wie vor Richtschnur ist - und darin wird die Aufhebung des Konfessionalismus als politischem Ordnungssystem nur sehr indirekt erwähnt bzw. "auf unbestimmte Zeit" vertagt. Profitieren würden von einer Aufhebung langfristig alle gesellschaftlichen Gruppen des Landes, genauer: alle libanesischen Bürger und Bürgerinnen; doch sind am Erhalt des Status quo die großen christlichen ebenso wie die muslimischen Gruppen interessiert: Maroniten, Sunniten, Schiiten.

alsharq: Nach außen zeigen sich durchaus Zeichen eines Generationswechsels. Zum einen stehen die alten Zuama wie Michel Aoun, Samir Geagea oder Walid Jumblatt wieder oder noch immer auf der politischen Bühne. Andererseits strebt um Saad Hariri eine neue Generation junger Politiker an die Macht. Wer erscheint den Libanesen glaubwürdiger und wem trauen Sie eher zu das Land zu einen?

A.H.: Es scheint mir zu früh, eine neue Generation um Saad Hariri als Hoffnungsträger einer veränderten politischen Zukunft zu sehen. Ob er selbst wirklich das "Zugpferd" dafür ist (bzw. sein will), muß man abwarten. Immerhin ist er nach der Ermordung seines Vaters mehr oder weniger zu politischen Aktivitäten gedrängt worden. Nach meiner Kenntnis sind die Libanesen selbst ziemlich gespalten und unschlüssig in der Frage, ob eine junge Generation für ihr Land besseres ausrichten könnte.

alsharq: Erscheint Ihnen eine Entwaffnung der Hisbollah ohne Gesichtsverlust realistisch? Wie verhalten sich christliche Gruppen wie die Lebanese Forces sollte dieser Schritt auch auf lange Sicht ausbleiben?

A.H.:Um ehrlich zu sein, ich weiß es nicht. So recht vorstellen kann ich mir eine Entwaffnung der Hisbollah nicht; wer soll das denn machen? Ein Gesichtsverlust wäre es mit Sicherheit. Den Lebanese Forces traue ich (leider) fast alles zu.

alsharq: Wie wird sich Ihrer Meinung nach das Verhältnis zu Syrien entwickeln? Sehen Sie bei einer weiteren Entfremdung zwischen beiden Staaten Chancen für einen libanesisch-israelischen Friedensvertrag?

A.H.: So lange sich in Syrien nichts grundsätzlich am politischen System und an den Kräfteverhältnissen ändert, wird die Beziehung zwischen Syrien und Libanon gespannt bleiben.
Soweit ich die Libanesen kenne, trauen die wenigsten den Syrern; daran ändert auch nichts der Truppenrückzug. Syrien ist nach wie vor direkt und indirekt im Libanon präsent - nicht nur über seinen Geheimdienst, den pro-syrischen Staatspräsidenten Lahoud oder die deutliche Unterstützung von Hisbollah.Ein libanesisch-israelischer Friedensvertrag wird auch weiterhin schwierig sein, ob mit oder gegen syrisches "Stillhalten". Ich kann nicht erkennen, dass Syrien der libanesischen Regierung volle Souveränität zubilligt oder das tun wird. Man muß außerdem abwarten, wie es in Israel nach den bevorstehenden Wahlen weiter geht.