08.02.2011
Krise in Jordanien? - Mit spitzer Feder gegen das Königshaus
Von Christoph Sydow

In weniger als 48 Stunden wird die Regierungsbildung in Jordanien abgeschlossen sein. Der neue Premierminister Maaruf al-Bakhit hat sich für jordanische Verhältnisse viel Zeit genommen, um ein Kabinett aus ausgewählten Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zusammen zu stellen. Der keineswegs nahtlose Übergang wurde von verschiedenen Staatsrichtern als juristisch fragwürdig kritisiert. Deshalb empfahlen sie König Abdallah, zukünftig erst die alte Regierung zu entlassen, wenn das neue Kabinett gebildet sei.

Die Islamische Aktionsfront (IAF) als politische Vertretung der Muslimbrüder in Jordanien haben eine Beteiligung an der Regierung abgelehnt. Inoffiziellen Berichten zufolge hatte Premierminister al-Bakhit den Islamisten 5 von 24 Ressorts angeboten, eine Einigung war jedoch ausgeblieben. Auch König Abdallah hatte mit Hamzi Mansour und weiteren führenden Persönlichkeiten der IAF ein sachliches Gespräch geführt, das jedoch letztlich auch nicht zur Regierungsbeteiligung führte. Grund hierfür ist das aus Sicht der Islamisten „undemokratische Wahlgesetz“, mit dem das Parlament gewählt worden sei. Dennoch betonten sie in einer Presseerklärung ihre Treue zum König und zum Land. Somit sind die Islamisten derzeit weder in der Regierung noch im Parlament vertreten, da sie die letzten Wahlen im November 2010 wegen des ihrer Ansicht nach unfairen Wahlgesetzes boykottiert hatten. Gegenwärtig tobt in Reihen der Islamistischen Aktionsfront eine lebhafte Debatte, ob sie bei den Kommunalwahlen, die für den Juli dieses Jahres geplant sind, mit eigenen Kandidaten antreten soll.

In dieser für jordanische Verhältnisse ohnehin angespannten Phase sorgten in den letzten Wochen zwei Briefe für Aufregung. Am 24. Januar schickte Laith Shbilat ein Schreiben an Nasr al-Lawzi, den Bürochef des Königlichen Hofes. Shbilat ist ein prominenter Vertreter des islamistischen Spektrum innerhalb der jordanischen Politik. Wegen seiner regimekritischen Haltung wurde er in der Vergangenheit mehrfach zu Haftstrafen verurteilt. Sein offener Brief geriet zu einem Rundumschlag gegen das politische System in Jordanien. In ungewohnter Deutlichkeit forderte Shbilat darin zügige und durchgreifende Reformen vom Königshaus, mit deren Hilfe mehr Macht in die Hände des Volkes und des Parlaments gelegt werden soll. (In Kürze folgt auf Alsharq eine ausführlichere Analyse des Briefes.)

Noch größere Wellen schlägt der gemeinsame Brief, den Vertreter fast aller wichtigen Beduinenstämme am 5. Februar verschickten. Der Empfänger: König Abdullah höchstpersönlich. In ihrem Schreiben brechen die Untertanten mit einem Tabu: Offen greifen die 36 Stammesvertreter ihre Königin Rania an. In der Geschichte des Haschemitischen Königreichs Jordanien ein beispielloser Vorgang. Explizit vergleichen die Beduinen den Lebensstil der Monarchin mit dem von Laila Traboulsi und Suzanne Mubarak. Die beiden Damen sind die Ehefrauen von Zine el-Abedine Ben Ali beziehungsweise Husni Mubarak und im gesamten Nahen Osten für ihren verschwenderischen Lebenswandel verschrien. „Die Königin errichtet gegen den Willen der Jordanier eigene Machtzentren, um ihren Einfluss auszubauen und ihre eigenen Interessen zu verfolgen“, beklagen die Unterzeichner des Briefes. Unterschwellig schwingt in den Worten der Beduinen der Vorwurf mit, die palästinensisch-stämmige Königin würde die in Jordanien lebenden Palästinenser bevorteilen. Außerdem profitierten alle „Andere, außer den Jordaniern“ vom sozialem Engagement Ranias. Auch krumme Geschäfte der Familie Yassin, also Ranias Familie väterlicherseits, werden von den Stammesvertretern angeprangert.

In ihrem Schreiben beklagen die Beduinen die angebliche Verschwendungssucht der Monarchin. In Zeiten klammer Kassen verschlingt der Etat des Königshofes weiterhin Millionen – genaue Zahlen werden unter Verschluss gehalten. Doch neue Luxuskarossen, Designerkleider und eine mehrere Millionen Dollar teure Party zu Ranias 40. Geburtstag erregten den Zorn vieler Jordanier. Sie sorgen sich um eine wachsende Verschuldung ihres Staates. Nicht nur die Briefschreiber frage sich zudem, wo die Hilfsgelder versickern, die Jahr für Jahr in Milliardenhöhe von den USA und der EU überwiesen werden.

Die Beduinen zeigen sich zunehmend entfremdet vom Kurs des Königshauses. Die Kritik zielt dabei in verschiedene Richtungen: Zum Einen fordern sie einen Stopp der Einbürgerung irakischer Staatsbürger, die damit zu Investitionen in Jordanien angeregt werden sollen. Zum Anderen wenden sie sich gegen die ihrer Ansicht nach zunehmende Verwestlichung ihre Landes, die sich in Kultur und Sprache niederschlage und die nationale Identität gefährde.

Doch auch die Menschenrechtslage stößt den Unterzeichnern auf. Sie kritisieren die Zustände in jordanischen Gefängnissen und fordern den freien Zugang für Menschenrechtsorganisationen in den Haftanstalten. Auch in der Außenpolitik gehen die Briefeschreiber auf Distanz zur Politik des Königshauses. Sie fordern eine Einbindung der Hamas in die jordanische Palästina-Politik.

Beide Briefe drücken eine weit verbreitete Unzufriedenheit der Jordanier mit der aktuellen Politik ihrer Staatsführung aus, die mittlerweile fast alle Gesellschaftsschichten erfasst hat. Aus ihnen spricht der Ruf nach wirtschaftlichen Reformen, die zu aller erst die Bekämpfung von Korruption und Armut zum Ziel haben müssten. Noch bevor die künftige Regierung vereidigt worden ist, lastet der Druck tonnenschwer auf dem neuen Kabinett. Schon jetzt planen Jordaniens Islamisten Proteste gegen die neue Regierung.

Doch besonders die Kritik der Beduinen sollte dem Königshaus zu denken geben. Denn auf die Stämme aus der Wüste konnte sich Abdullah II bislang blind verlassen. Sie haben der Herrscherfamilie bis dato stets treu zur Seite gestanden. Auch deshalb werden sie vom jordanischen Wahlgesetz deutlich bevorteilt. Während in den Wüstengebieten schon 2000 Wählerstimmen ausreichen, um ins Parlament gewählt zu werden, ist in den Städten ein Vielfaches erforderlich, um ein Mandat zu gewinnen.

Das unzufriedene Volk hofft nun, dass die neue Regierungsmannschaft die anstehende Herausforderung entschlossen anpackt. Sollte das nicht geschehen, stehen auch Jordanien einige unruhige Wochen bevor. Die Ereignisse in Tunesien und Ägypten, das zeigen die beiden Briefe, haben auch östlich des Jordan ihre Spuren hinterlassen. Die Führung in Amman reagiert sehr sensibel auf die Angriffe. Die beiden Webseiten Saraya News und Ammon News, die die Brandbriefe veröffentlichten, wurden mehrfach angegriffen. Das kann jedoch nicht verhindern, dass sie täglich von tausenden Jordaniern gelesen werden.

König Abdullah II greift unterdessen auf ein altbewährtes Mittel – Symbolpolitik. Mit spontanen Besuchen will sich der Monarch über die Situation in den Dörfern des Landes informieren. Dort versucht sich der König als gütiger und besorgter Volkstribun zu profilieren. Doch auch das jordanische Volk merkt mittlerweile, dass königliche Gaben, Spenden und Lebensmittelpakete politische Reformen nicht ersetzen können. Daher wird die Lage für Abdullah II auch in den nächsten Monaten nicht einfacher. Parlament, Regierung und die Königsfamilie werden in diesem Jahr große Anstrengungen unternehmen müssen, um das Vertrauen ihres Volkes zurück zu gewinnen.

Christoph ist studierter Islam-, Politik- und Geschichtswissenschaftler mit Fokus auf Westasien. Der Mitgründer von Alsharq - heute dis:orient - war zwischen 2011 und 2014 bei der Friedrich-Ebert-Stiftung und dem Willy-Brandt-Zentrum in Jerusalem tätig. In Berlin arbeitet er als Geschäftsführer für Alsharq REISE. Christoph hält regelmäßig...