23.06.2015
Krieg, König und Casinos
Dr. Mamdouh Abbadi wird in Jordanien als Kandidat für das Amt des Premierministers gehandelt. Foto: Mareike Enghusen (C)
Dr. Mamdouh Abbadi wird in Jordanien als Kandidat für das Amt des Premierministers gehandelt. Foto: Mareike Enghusen (C)

Dr. Mamdouh Abbadi ist vielen Jordaniern als ehemaliger Gesundheitsminister und Bürgermeister von Amman bereits ein Begriff. Derzeit ist er Mitglied des Repräsentantenhauses - und gilt nun als möglicher Kandidat für das Amt des Premierministers. Ein Interview von Mareike Enghusen

Wären Sie gern Premierminister, Dr. Abbadi?

Natürlich! Ich bin Politiker – und welcher Politiker wäre nicht gern Premierminister?

Wie schätzen Sie Ihre Chancen ein?

Die Menschen hier mögen mich, denn ich war Bürgermeister von Amman. Aber bei uns wählt nicht das Parlament den Premierminister, sondern der König sucht ihn aus. Es hängt von seiner Stimmung ab: Vielleicht wird er in zwei, drei Wochen eine neue Regierung und einen neuen Premierminister ernennen, doch genau weiß das niemand. Es ist hier nicht wie in Deutschland.

Braucht Jordanien politische Reformen?

Der politische Wille dafür fehlt. Aber natürlich, als erstes brauchen wir Demokratie. Die haben wir nicht, auch keine Presse- und Redefreiheit.

Sie sprechen allerdings gerade sehr frei.

Ich bin stark genug, um so etwas zu sagen. Nicht jeder Politiker würde das tun.

Angenommen also, Sie würden Premierminister: Was wären Ihre politischen Prioritäten?

Die Wirtschaft, vor allem die Tourismusindustrie. Nur sechs Prozent der Fläche unseres Landes eignet sich für Landwirtschaft und wir haben keine natürlichen Ressourcen. Die einzige Möglichkeit, die Wirtschaft zu entwickeln, liegt im Tourismus. Wir haben ein reiches kulturelles Erbe und wir sollten das Land für Casinos öffnen.

Wäre das nicht schrecklich unpopulär? Der Islam verbietet doch Glücksspiele.

Ja, wir sind Muslime, Casinos sind nicht gut! Aber ich will nicht, dass mein Land bei Saudi-Arabien oder den USA betteln gehen muss. Es sollte unabhängiger werden vom Ausland. Außerdem würden ja nicht die Jordanier in die Casinos gehen, nur die Ausländer.

Gerade wird Jordaniens Wirtschaft allerdings auf die Probe gestellt. Hunderttausende Syrer sind vor dem Krieg hierher geflüchtet. Kann Jordanien all diese Menschen versorgen?

Mindestens 1,5 Millionen Syrer leben hier, also 20 Prozent der Gesamtbevölkerung. Das ist so, als würden 16 Millionen Türken oder Araber nach Deutschland kommen. Und was glauben Sie, würde dann passieren? Und Deutschland ist ein reiches Land, unser Land aber ist arm. Wir haben kein Öl, nicht genug Wasser, auch deshalb sind wir jetzt in einer sehr schwierigen Situation. Warum nehmen wir Flüchtlinge auf? Wir sollten das nicht tun, wir haben nicht die Mittel, sie zu versorgen. Jetzt rufen unsere Politiker nach Hilfe, doch die Welt hilft uns nicht. Sie gibt viel Geld an oppositionelle Gruppen, an den IS und Al Qaida, aber nichts für die Flüchtlinge.

Wollen Sie damit sagen, der Westen unterstützt den IS?

IS würde keinen Monat überleben, wenn die Türkei ihre Grenze zu Syrien schlösse. Die USA könnten das von der Türkei verlangen, aber sie tun es nicht, denn die USA und Europa wollen diesen Krieg.

Die USA kämpfen doch gegen den IS.

Das tun sie nicht, das ist ein Witz. Denken Sie an den Irak-Krieg: Innerhalb von 20 Tagen sind die Amerikaner in Bagdad einmarschiert. Die USA sind stark, sie könnten kämpfen, wenn sie wollten. Aber sie wollen nicht.

Jordanien selbst ist doch Mitglied der militärischen Allianz gegen IS.

Wir können nichts machen, unser Land ist schwach. Die Amerikaner brauchen keine arabischen Armeen, sie könnten alles alleine machen, wenn sie wollten.

Auch in Jordanien gab es schon Demonstrationen von IS-Unterstützern. Besorgt Sie das?

Nein, ich habe keine Angst vor ihnen. In unserem Land haben wir starke religiöse Gefühle und manche Menschen mögen die Ideen des IS. Aber das sind nur Ideen. Die Sympathisanten helfen dem IS nicht mit Waffen oder Geld, sie tun gar nichts. Jedenfalls nicht, so lange die USA und Israel sie nicht unterstützen.

Warum sollten sie das tun? Liegt es nicht in Israels Interesse, dass Jordanien politisch stabil ist?

Um Jordanien zu schwächen. Israel ist unser Feind.

Israel und Jordanien haben einen Friedensvertrag.

Der ist ein Witz. Fragen Sie jede beliebige Person auf der Straße in Jordanien, fragen sie jede beliebige Person auf der Straße in Ägypten: Mögen Sie Israel? Und die Menschen werden sagen: Nein, wir hassen Israel, es hat unser Land genommen. Auf der politischen Ebene gibt es einen Vertrag, aber in Wahrheit mag niemand Israel.

Sie sagen, der Friedensvertrag war ein Fehler?

Natürlich! Ich bin gegen den Vertrag. Er repräsentiert nicht das wahre Jordanien. Denken Sie an den Vertrag von Versailles. Die deutschen Politiker haben dem zugestimmt – aber die Menschen? Wir wissen, was 20 Jahre später passiert ist.

Vielen westlichen Regierungen gilt die Zwei-Staaten-Vision als einzig akzeptable Lösung für den israelisch-palästinensischen Konflikt. Was halten Sie davon?

Es gibt nur eine Lösung: Alle Palästinenser dürfen in ihr Land zurückkehren. Wenn Juden dort bleiben möchten – okay. Aber es muss einen Staat geben, nicht zwei. Einen palästinensischen Staat vom Jordan-Fluss bis zum Mittelmeer. Einen multinationalen Staat so wie die Schweiz, für Muslime, Christen und Juden. Aber ich glaube nicht, dass der Konflikt zu meinen Lebzeiten gelöst wird. Denn die USA unterstützen Israel und sie sind sehr stark.

Der Arabische Frühling, Flüchtlingsströme, IS – inmitten des Tumults der letzten Jahre ist Jordaniens Monarchie stabil geblieben. Dabei kann sie, anders als die reichen Golf-Staaten, ihre Bevölkerung nicht mit Öl-Geld besänftigen. Wie erklären Sie sich das?

Ich sehe fünf Gründe dafür. Erstens: Die Jordanier sind gute Menschen, nicht aggressiv. Zweitens: Die Hälfte der Bevölkerung ist palästinensischen Ursprungs, die andere Hälfte jordanisch. Daraus ergibt sich eine Balance – so wie die nukleare Balance zwischen den USA und der Sowietunion. Wenn der König geht, wer soll dann das Land regieren? Die Palästinenser? Die Jordanier wären dagegen. Die Jordanier? Die Palästinenser wären dagegen. Jede Gruppe hat Angst vor der anderen, deshalb will keiner einen Wandel. Drittens: Die Menschen sehen, was um uns herum passiert, in Syrien, im Irak und in Libyen, und das macht ihnen Angst. Viertens: Unser König ist kein blutiger Mörder. Er hält die Opposition im Zaum, aber er bringt sie nicht um. Und fünftens: Israel und die USA wollen, dass dieses Regime bleibt. Das habe ich kürzlich auch einer großen jordanischen Zeitung gesagt. Ich war überrascht, dass sie es gedruckt haben.

Warum waren Sie überrascht?

Weil ich sehr gefährliche Sachen sage: Israel will, dass dieses Regime bleibt.

Wagen Sie eine Prognose für die nähere Zukunft der Region?

Als vor vier Jahren die Aufstände in Tunesien begannen und sich ausbreiteten, hofften viele, das würde den arabischen Ländern Demokratie bringen. Aber stellen Sie sich eine Mutter vor, die einen Sohn oder eine Tochter gebärt. Der Arabische Frühling ist das Baby. Die Geburt ist schmerzhaft und braucht Zeit. Schauen Sie zurück in die Geschichte; wie lange hat die Französische Revolution gebraucht? Unsere Region wird viele schmerzhafte Jahre brauchen, um wie Europa zu werden.

Sollte der Westen sich dabei als Geburtshelfer versuchen – oder sich lieber heraushalten?

Europa sollte diesen Prozess unterstützen. Die Menschen in Europa haben im Ersten und Zweiten Weltkrieg sehr gelitten und das hat sie Demokratie und Respekt vor allen Menschen gelehrt. Deshalb sollten die europäischen Staaten der Welt helfen, Frieden zu finden.

Vielen Dank für das Gespräch.

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