Seit Dienstag können sich im Iran Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen am 14. Juni registrieren. Wirtschaftspolitik und Loyalität zur Islamischen Republik werden dabei den Ausschlag geben. Einen wie Ahmadinejad wird Revolutionsführer Khamenei nicht mehr dulden – einen Reformer allerdings auch nicht.Ein Gastbeitrag von Friedrich Schulze.
Vier Jahre nach den Präsidentschaftswahlen von 2009 wird im Iran am 14. Juni 2013 wieder über einen neuen Regierungschef abgestimmt. Bis heute sind die Bilder der damaligen Zusammenstöße zwischen Bevölkerung und Sicherheitskräften präsent. Wird es in diesem Jahr eine Neuauflage des »Grünen Sommers« geben?
Die »Grüne Bewegung« in ihrer damaligen Form ist inzwischen völlig zerschlagen, ihre Führer Mir-Hossein Moussavi und Mehdi Karroubi sitzen im Hausarrest. Seit 2009 wurden die Reformer an den Rand der politischen Bühne - und teils darüber hinaus - geschoben. Obwohl auch wieder reformistische Präsidentschaftskandidaten antreten werden, kann man von den Reformern dieses Jahr kaum eine organisierte Mobilisierung erwarten. Auf eine zynische Art ähnelt ihre gegenwärtige Situation daher der Lage, mit der Konservativen im Jahr 2005 konfrontiert waren.
Bei den Präsidentschaftswahlen 2005 fanden sich die Konservativen durch die wirtschaftlichen Fortschritte der Regierungen Rafsandschani und Khatami, die auf eine Stärkung der Zivilgesellschaft setzten, in einer politischen Sackgasse wieder. Seit dem Ende des Iran-Irak-Kriegs im Jahr 1988 hatte sich die iranische Bevölkerung dramatisch verjüngt. Sie strebte nach Fortschritt und einer Öffnung des Landes, auch zu den USA hin. Der damalige Kandidat der Konservativen war Ali Laridschani, der allerdings keinerlei Chancen auf einen Wahlsieg hatte. Der wirtschaftsliberalere Rafsandschani war bei der jungen Bevölkerung zwar auch umstritten, besaß aber noch die besten Erfolgsaussichten, da Mohammed Khatami, nach zwei Legislaturperioden – wie Mahmud Ahmadinejad bei den kommenden Wahlen – nicht erneut antreten durfte.
Der Preis für den Wahlausgang 2009 war hoch
Die Konservativen sahen sich 2005 in die Ecke gedrängt und befürchteten, dass die Grundpfeiler der Islamischen Republik Iran mit einer weiteren Reformregierung akut gefährdet und grundsätzlich in Frage stehen würden. Daher unterstützten alle Fraktionen des konservativen Lagers im letzten Moment den damaligen Teheraner Bürgermeister Ahmadinejad, der damals noch für die Bevölkerung ein unbeschriebenes Blatt war. Der Vorwurf der Wahlmanipulation kam schon damals auf, fand aber wenig Beachtung. Ahmadinejad ging aus den Wahlen 2005 als Überraschungssieger hervor und sollte die Hoffnungen der Konservativen erfüllen und die Reformer zurückdrängen. Doch der eigenwillige Präsident nutzte die ihm zugesprochene Macht, um seine eigene Machtbasis zu stärken – und entpuppte sich als Populist, der wie kein Reformer zuvor Revolutionsführer Ali Khamenei herausfordern sollte.
Nun stehen die Reformer mit dem Rücken zur Wand, obwohl sie - mit einem erfolgsversprechenden Kandidaten - grundsätzlich über ein großes Mobilisierungspotential verfügen würden. Aus ihren Reihen wagt sich allerdings bisher keiner aus der Deckung, um nicht Gefahr zu laufen, Mousavis Schicksal zu teilen. So ist die Zukunft der Reformer im Iran ungewiss, ihre Protagonisten und Anhänger sind auf der Suche nach einer politischen Neudefinition.
Revolutionsführer Khamenei hat sein gesellschaftspolitisches Ziel nach den zwei Amtszeiten Ahmadinejads erreicht: Die politische Landschaft ist wieder deutlich konservativer ausgerichtet. Doch der Preis dafür war hoch: Für weite Teile der Gesellschaft hat sich das System der Islamischen Republik endgültig als nicht reformfähig erwiesen.
Die Wahlen im Juni werden daher richtungsweisend für die künftige Ausrichtung des Systems an sich sein. Setzt die neue Regierung einerseits den bisherigen Kurs fort, jegliche Reformen zu verdrängen, würde das Gefühl der Bevölkerung verstärkt, einem autoritären Regime aussichtslos ausgesetzt zu sein; langfristig kann dies die Chancen für einen Umsturz erhöhen. Andererseits würde eine Lockerung der politischen Realitäten, das heißt, unter anderem freiere Presse und weniger Einfluss des Revolutionsführers, unweigerlich die seit 2009 mundtote Kritik, wieder mit breiter Unterstützung der Bevölkerung, hervorrufen, und das System erneut herausfordern – und an dessen Spitze den Revolutionsführer selbst.
Welchen Kandidaten empfindet Khamenei als geeignet?
Die wichtigste Person im Zuge der Präsidentschaftswahlen 2013 ist daher Ali Khamenei, der seinen Einfluss nutzen wird, um den "richtigen" Kandidaten wählen zu lassen, damit dieser das Land auf die "richtige Weise" aus der politischen Krise herausführt. Aus diesem Grund wird er er alles daran setzen, einen Kandidaten aus dem Gefolge von Ahmadinejad zu verhindern. Noch einen unberechenbaren Faktor, einen freien Radikalen in seinem Machtsystem, kann sich Khamenei nicht leisten.
Esfandiar Rahim Mashaei, der als Ahmadinejads Wunschkandidat gilt und auffällig viele wahlkampfähnliche Veranstaltungen besucht, äußerte sich allerdings noch nicht zu einer möglichen Kandidatur. Der Präsident wurde gar öffentlich gewarnt, »am Ende seiner Amtszeit vorsichtig« zu sein – eine kaum verhüllte Drohung, seinen Büroleiter und engsten Berater Mashaei auf keinen Fall in Stellung zu bringen. Mashaei hat strategisch den iranischen Nationalismus als politische Leitlinie positioniert - gegen die revolutionäre Staatsreligion, dem Fundament für Khameneis Macht. Als Präsident würde Mashaei also den Führungsanspruch des Revolutionsführers direkt herausfordern. Gleichzeitig kursieren Gerüchte, nach denen Ahmadinejad die Personalie Mashaei zu heikel ist – und er einen anderen seiner Gefolgsleute ins Rennen schicken wird.
Doch welchen Kandidaten empfindet Khamenei als geeignet? Tatsächlich beantwortet er die Frage auf seine typisch uneindeutige Weise selbst. Der nächste Präsident müsse »die Stärken, aber nicht die Schwächen« des gegenwärtigen Amtsinhabers besitzen. Gesucht wird also ein Präsident, der loyal die Revolution vertritt, also Khameneis Wille, und das Land gleichzeitig zumindest vorsichtig aus der internationalen Isolation herausführen kann. Ein weiterer Pluspunkt wären populistische Fähigkeiten à la Ahmadinejad – nur nicht so viel Eigensinnigkeit.
Bei diesen Kriterien bleibt im Grunde kein Kandidat übrig, der in weiten Teilen der Bevölkerung tatsächlich Unterstützung erfahren würde. Im Vorfeld der am Dienstag begonnenen Kandidatenregistrierung, die bis zum 11. Mai 2013 läuft, brodelt die Gerüchteküche. Eine Schlüsselrolle wird in jedem Fall Gholam-Ali Haddad-Adel spielen. Der frühere Parlamentspräsident ist ein verlässlicher Gefolgsmann des Revolutionsführers, seine Tochter ist mit Khameneis Sohn Mojtaba verheiratet. Eine bessere Loyalitätsversicherung gibt es wohl kaum. Allerdings wäre der blasse Apparatschik wohl kaum im Stande, die Massen so mitzunehmen, wie es Ahmadinejad zeitweise vermochte.
Ein Roulette der Notlösungen
Ein weiterer Favorit ist Ali Akbar Velayati, von 1981 bis 1997 Außenminister, der vor allem in diesem Bereich punkten könnte, innenpolitisch bisher jedoch so gut wie gar nicht in Erscheinung getreten ist. Der Teheraner Bürgermeister Mohammad Bagher Ghalibaf, der seine Meriten in der Kommunalpolitik erwarb, hätte ebenso gewisse Chancen, wenn er Khamenei von seiner bedingungslosen Loyalität überzeugen kann. Gelingt das, könnte Ghalibaf von allen »Khamenei-Kandidaten« am ehesten eine moderierende Position zwischen dem Revolutionsführer und der unzufriedenen Bevölkerung einnehmen.
Auch Ali Laridschani ist noch immer im Spiel. Als Präsidentschaftskandidat 2005 ebenso wie Ghalibaf noch deutlich abgeschlagen, leistete er in den vergangenen Jahren als Parlamentsvorsitzender gute Arbeit im Sinne Khameneis und gehört einer der wichtigsten Politiker-Familien im Iran an. Allerdings würde sich selbst ein erfahrener Politiker wie Laridschani auf gefährliches Terrain vorwagen. Das Präsidentenamt ist spätestens seit der Ära Khatami (1997-2005) ein riskanter Posten, der sich im Misserfolgsfall auch negativ auf den Einfluss seiner Familie auswirken könnte.
Möglicherweise steigen somit die Chancen für einen Kandidaten, der im politischen System eine weniger wichtigere Rolle spielt. Said Dschalili, der höchste Diplomat Irans in den Atomverhandlungen, hat zwar kaum politisches Profil, doch könnte gerade deswegen ein passender, weil formbarer Präsident werden. Letztlich wird auch in diesem Fall Khameneis Urteil ausschlaggebend sein.
Während also die Reformer praktisch völlig verdrängt sind, erscheint der Pool an konservativen Kandidaten wie ein Roulette von Notlösungen – ähnlich wie auch 2005, vor den Wahlen, die die Misere der Amtszeit Ahmadinejad einläuteten. Khamenei muss die Missstimmung kanalisieren. Dazu wird er versuchen, die Wahlen als glaubwürdig zu inszenieren.
Droht Ahmadinejad mit Enthüllungen zu Wahlmanipulationen?
Obwohl Khamenei unmöglich völlig transparente Wahlen zulassen kann, ist nicht auszuschließen, dass der Revolutionsführer Ex-Präsident Khatami dazu bewegt, als Kandidat der Reformer anzutreten, um einerseits die Wahlbeteiligung zu steigern und andererseits einen fairen Wettbewerb vorzuspielen. Khatami wird sich allerdings bewusst sein, dass er sich keinen authentischen Wahlkampf erlauben kann, ohne danach im Hausarrest zu verschwinden. Seit 2009, als er regelmäßig neben Moussavi und Karroubi auftrat, wird er öffentlich denunziert und die gleiche Behandlung wie für die anderen »abtrünnigen« Kandidaten gefordert. An einer erneuten Gewalteskalation wie 2009 hat Khamenei kein Interesse. Um jedes Aufbegehren zu verhindern, werden daher im Vorfeld die Sicherheitsvorkehrungen immens verstärkt. Insgesamt ist die Stimmung sehr angespannt, obwohl die Mobilisierungsstrukturen der Reformer zerschlagen wurden.
Ende April tauchte dann für wenige Stunden eine Nachricht auf der iranischen Nachrichtenseite Baztab auf, die genau darauf abzielte, Khameneis Wunsch der Glaubwürdigkeit zu torpedieren. Ahmadinejad plane demnach, eine Audioaufnahme zu veröffentlichen, aus der deutlich werde, dass die Wahlen 2009 tatsächlich durch den Sicherheitsapparat gefälscht worden seien – und er sich dagegen einsetzte. Demnach wäre er auch ohne die Manipulation als Wahlsieger hervorgegangen, jedoch mit einer wesentlich niedrigeren Wahlbeteiligung. Ali Khamenei hatte damals das offizielle Wahlergebnis verkündet – und nicht wie gewohnt das Innenministerium, welches damals unter Führung des Präsidenten stand. Unabhängig davon, ob die Vorwürfe zutreffen und wie stark Ahmadinejad seine verbliebenen Trümpfe noch ausspielt, werden sich die Wahlen 2013 so stark wie nie zuvor um Glaubwürdigkeit drehen.
Nicht weniger bedeutsam werden Wirtschaftsthemen, insbesondere die dramatisch hohe Inflation und der Verfall der Landeswährung sein. Die wirtschaftliche Lage ist mittlerweile so akut, dass der Wertverlust des Iranischen Rials, im Zusammenspiel mit den schlechten Wechselkursen, die Lebensqualität von nahezu allen gesellschaftlichen Schichten beschneidet und die Ärmsten existenziell bedroht. Entscheidend wird mithin also, welcher Kandidat sich glaubhaft beim Thema Wirtschaft positionieren und beim Wahlvolk profilieren kann.