Eine eigene Sprache finden und selbst zu Wort kommen – das sind unabdingbare Voraussetzungen und notwendige Werkzeuge für jeglichen Emanzipationsprozess. Wie eine Internet-Plattform dabei helfen kann, einen Ort für den öffentlichen Diskurs über Gender, Feminismus und Sexualität zu schaffen, zeigt das arabischsprachige Projekt GenderWiki. Von Tamara Wyrtki
Nachdem ein Jahr bereits im Hintergrund daran gearbeitet wurde, konnte die Website des Projekts GenderWiki im Dezember 2016 veröffentlicht werden. Mithilfe technischer Expertise der Arab Digital Expression Foundation, mit Sitz in Kairo und finanziert durch des Goethe-Institut, konnten die ersten Autor*innen beginnen, die Grundsteine für ein Wissensarchiv auf Arabisch und aus feministischer Perspektive zu legen.
Zunächst als Plattform gedacht, Informationen über Organisationen und aktive Gruppen zu bündeln und zu sammeln, hat sich das Projekt rasch ausgeweitet und stellt mittlerweile auch einen wichtigen Raum für den Austausch und die Debatte über themenspezifische Begriffe und die (Un)Möglichkeiten der Übersetzung dar.
Eine der Initiator*innen ist Farah Barqawi, eine palästinensische Autorin, Übersetzerin und feministische Aktivistin, die in Kairo lebt. Sie beschreibt GenderWiki als einen Raum, indem es möglich wird, ihre Fragen zu ergründen. „Wir schreiben über verschiedene Themen, Konzepte, Menschen, Events und Kampagnen, die für uns interessant sind. Wir besprechen und kritisieren Bücher, Filme, Lieder und andere literarische und künstlerische Werke“, schreibt sie in einem Artikel über die sprachliche Auseinandersetzung mit Gender, Geschlecht und Feminismus.
Die Notwendigkeit sieht sie darin begründet, dass Wissen über diese Themen meist noch an Universitäten und in akademischen Kontexten produziert wird und sich damit auch in den meisten Fällen der englischen Sprache als Mittel der Kommunikation bedient. Langfristig möchte sie dazu beitragen, dass sowohl Konstrukte wie „gender non-conforming“ oder „heteronormativity“ ihr arabisches Pendant finden als auch Begriffe in einem offenen Dialog geschaffen werden, um die Erfahrungen der Menschen in der Region besser abbilden und ausdrücken zu können.
Dabei sollen starre Festschreibungen vermieden werden und vielmehr der Prozess in den Vordergrund rücken, in dem Auseinandersetzungen stattfinden, Kritik an bestehenden Zuschreibungen und Ausdrücken geübt wird und die Meinung unterschiedlicher Menschen mit einfließen kann. Fester Bestandteil der Plattform ist daher auch eine Art Wörterbuch, in dem englische Termini ins Arabische übertragen werden, die sowohl auf den Diskussionsseiten der Plattform selbst als auch in Facebook-Gruppen, in denen sich die Mitwirkenden zusätzlich organisieren, besprochen werden.
Worte zu finden ist essentiell, um Probleme benennen zu können, stellt jedoch nur den ersten Schritt dar. Oft müssen diese Worte dann mit viel Beharrlichkeit und Ausdauer in die Öffentlichkeit getragen und dort verankert werden. Dass dies gelingen kann, zeigt das Beispiel des Begriffs der „sexuellen Belästigung“ („at-taharrush al-jinsi“): Zahlreiche Kampagnen und Beiträge haben über die letzten zehn Jahre dazu geführt, dass der Begriff mittlerweile allgegenwärtig ist und heute ganz selbstverständlich verwendet wird. Vielen Frauen, so Farah Barqawi, wurde es damit überhaupt erst möglich ihre Erfahrung in Worte zu fassen und darüber zu sprechen, was ihnen widerfahren ist. Die Plattform GenderWiki könnte hierbei in Zukunft einen wichtigen Beitrag leisten.