Im Studio des Berliner Gorki Theaters dreht sich vier Wochen lang alles um Widerstand. Mit dabei sind zahlreiche Künstler_innen aus dem Nahen Osten. Alsharq hat mit der Dramaturgin gesprochen und stellt das Programm vor.
Mit dem „Ersten Europäischen Mauerfall“ haben die Aktionskünstler des Zentrums für politische Schönheit und das Berliner Gorki Theater einen Aufruhr beschworen, wie ihn die deutsche Kunst lange nicht bewirkt hat. Zum 25. Jahrestag des Mauerfalls machten sich Dutzende Aktivist_innen auf den Weg an die europäischen Außengrenzen – um sie einzureißen. Eine Kampfansage an die europäische Politik der Abschottung – und die Aufforderung, beim Gedenken an historische Unterdrückung nicht in der Vergangenheit zu verharren.
Die Grenzfahrt war nur der Auftakt: Mit den Festival „Voicing Resistance“ widmet das Gorki Theater eine ganze Performance-Reihe dem Thema Widerstand und seinen Folgen. Prominent vertreten: Künstler_innen aus Nahost mit ihren jeweils ganz eigenen Reflexionen der Umbrüche vor Ort, unter anderem aus der Türkei, Ägypten, Syrien und Marokko. Ihre Performances, begleitet von Filmscreenings und Diskussionen, laufen seit dem 7. November und noch bis zum 7. Dezember im Gorki Studio Я. Alsharq wird jeweils das Programm des kommenden Wochenendes vorstellen. Bevor es richtig losgeht, ein Gespräch mit der Festival-Dramaturgin Irina Szodruch über das Kann-Darf-Soll der Kunst und Rückblicke nach vorn.
Alsharq: Was mit dem Mauerfall begonnen hat, ist „Voicing Resistance“ in seiner zweiten Auflage. Worum dreht sich das Festival?
Szodruch: In seiner ersten Auflage, [2012] am Ballhaus Naunynstraße, hatte das Festival noch klar das Interesse, künstlerische Arbeiten, die im Kontext der beginnenden Revolutionen in Ägypten und in anderen Ländern der arabischen Welt entstanden waren, nach Berlin einzuladen. Im Zentrum stand die Arbeit von Laila Soliman: „No time for Art“. Als wir letztes Jahr im Gezi Park standen und an den Protesten beteiligt waren, war klar: Wir machen wieder Voicing Resistance. Solche Aufbrüche setzen unglaubliche kreative Energien frei – und Kunst kann immer ein Begleiter dieser Entwicklungen sein. Was entsteht da eigentlich? Das war das zentrale Interesse.
Beim Konzeptionieren kam dann die Frage nach der Rückkopplung zu Berlin auf: Welche Gemeinsamkeiten kann man finden und welche Schlüsse zieht man daraus? Als Anlass bot sich der 25. Jahrestag des Mauerfalls an.
Wie wurden die Gäste und ihre Herkunftsorte ausgewählt?
Die Idee zur Neuauflage kam in der Euphorie der Gezi-Proteste. Bis zum Festival-Start verging noch über ein Jahr, das hat natürlich viel Erfahrung mit sich gebracht. Laila Soleiman hat zu mir mal gesagt: Beim ersten Festival steckte hinter den Arbeiten noch ein Ausrufezeichen, daraus hat sich bis jetzt eher ein Fragezeichen entwickelt. Die Frage also: Welche Möglichkeiten zur gesellschaftlichen Veränderung gibt es tatsächlich? Die Arbeiten jetzt beschreiben vielmehr eine Zeit nach dem Aufbruch.
Sicher kommt es nicht von Ungefähr, dass so viele Künstler_innen historische Ereignisse heranziehen, um etwas über heute zu sagen – so wie wir das mit dem Mauerfall tun. Bei der Auswahl haben wir nach Performances gesucht haben, die sich mit diesem Befragen von Widerstand beschäftigen: Was gibt es eigentlich in unserer Geschichte, was können wir damit für heute erzählen?
Schlussendlich sind es aber natürlich Menschen, nicht Konzepte, die Kunst machen. Bei der Auswahl kommt also auch viel darauf an, wo man Menschen findet, mit denen es eine besondere Kommunikation gibt, gemeinsamen künstlerischen Willen. So kommen dann auch so unterschiedliche Orte wie Damaskus und Athen zusammen.
Für das Festival ist kein klassisches Theater, sondern eine Reihe von Performances angekündigt. Was heißt das?
Mich interessieren die Diskussionen über Labels wenig, aber zur Orientierung für das Publikum müssen wir die Arbeiten irgendwie benennen. Die meisten Arbeiten aus den Festival-Ländern entstehen in einem Kontext, der in unserem Verständnis der freien Szene zuzuordnen wäre, stammen also nicht von Künstler_innen an staatlichen Kulturinstitutionen. Sie wollen alternative Geschichten erzählen und alternatives Erinnern praktizieren, um daraus alternative Versionen für die Gegenwart zu finden. Deshalb sind die meisten Arbeiten auch für ein kleineres Publikum konzipiert.
Am Gorki haben wir die große Bühne des Staatstheaters, aber auch das Studio, das durch Drittmittel finanziert wird und eher wie eine freie Bühne funktioniert. Deshalb findet das Festival auch im Studio statt.
Was kann Berlin als Ort bieten?
Ich glaube, dass Berlin für die Kunst ein Ort ist, wo man aussprechen kann, was schon außerhalb der Stadt nicht mehr so aussprechbar ist. Wo auch Kontroversen durch die Kunst angestoßen werden müssen – wie jetzt die Aktion des Zentrums für politische Bildung. Außerdem ist Berlin für Wiedervereinigung, viel mehr als jede andere deutsche Stadt.
Der viel diskutierte „Europäische Mauerfall“: Kunst, Aktivismus, beides?
Man fragt ja immer: was muss die Kunst, was soll die Kunst, was darf die Kunst. Eine der Festival-Künstler_innen hat sich in ihrem Stück „No time for art“ damit auseinandergesetzt, in dem sie sich der Frage widmet: Wie viel Kunst ist in welchen Kontexten angemessen? Die wird sich immer wieder stellen, meine ich. Mich interessiert Kunst, die ein politisches Anliegen hat, die versucht, eine politische Frage zu beschreiben, zu hinterfragen.
Die Aktion des Zentrums für Politische Bildung ist für mich ganz klar Kunst: sie wurde als Kunst erdacht und aufgezogen. Die Performance stieß schließlich im wahrsten Sinne des Wortes an ihre Grenzen, als die Aktionskünstler_innen oder Aktivist_innen vor der Grenze von den gefühlt Hunderten von Polizisten aufgehalten wurden.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das kommende Wochenende:
Los geht es am heutigen Donnerstag mit zwei Beiträgen aus Istanbul: Als die Tanzkompanie Taldans 2013 an ihrem neuen Stück probte, entbrannten auf den Straßen von Istanbul gerade die Proteste rund um den Gezi-Park. Zunächst von den türkischen Behörden nur beäugt und dann repressiv niedergeschlagen, wurde „Gezi“ dennoch zum Symbol einer neuen gesellschaftlichen Ordnung: Selbstorganisation, Solidarität und Widerstand wurden kollektiv gelebt und erprobt. Kurzerhand holte das Performance-Kollektiv die Fragen und Slogans der Straße auf die Bühne. „We Need To Move Urgently“ fragt nach den Bedingungen und Möglichkeiten kollektiven Handelns in Zeiten zunehmender politischer Repression. Performativ wird dabei das Kollektiv als zentraler Ort und Ausgangspunkt von Veränderung und gesellschaftlicher Bewegung in den Mittelpunkt gestellt. Gesammelte Materialien der Proteste dienen hierbei als Rahmen für eine Sequenz an Bildern, Bewegungen und O-Tönen, die das Kollektiv als politischen Akteur zelebrieren, dabei aber keineswegs Uniformität als Lösung propagieren. Aber Bewegung entsteht, wie auch bei den Gezi-Protesten, nur zusammen. Und sie muss schnell passieren, damit sie zu Veränderung wird.
13.11./14.11., jeweils um 20.30 Uhr. Mehr Informationen unter diesem Link.
Auch im Anschluss geht die künstlerische Auseinandersetzung mit der politischen Situation in der Türkei weiter. In „At The Edge Of All Possibilities“ beschäftigt sich die Performerin Zeyno Pekünlü mit der Bedeutung von Kunst in einer Zeit, in der die Information wichtiger geworden ist als die Erfahrung. Wenn alle nur noch Informationen wollen, was passiert dann mit Geschichten? Wenn Videos und Bilder die Erzählung ersetzbar machen, welche Geschichten gehen der Welt dann unerzählt verloren? Die Lecture Performance kreist um die Grenzen des Wissens und die (Un)-Möglichkeit der Erfahrung im Informationszeitalter. Die Gezi-Erfahrung wird zum Ausgangspunkt für eine narrative Entdeckung dessen, was viele zu wissen meinen, aber nicht wirklich erfahren und erlebt haben.
13.11. 22 Uhr, Lecture Performance. Mehr Informationen unter diesem Link
Am Samstag beschäftigt sich „Whims of Freedom“, eine Performance der Künstlerin Laila Soliman aus Ägypten, mit den Grenzen und Möglichkeiten, eine gegenwärtige soziale Veränderung vor dem Hintergrund einer längst vollzogenen Revolution zu betrachten. Ausgangspunkt der performativen Suchbewegung ist dabei die große Bauernbewegung im Jahr 1919 in Ägypten: fast 100 Jahre später, im Schatten der jetzigen Militärdiktatur, durchforsten vier Künstler_innen Lieder, Theaterstücke, Fotos und Lebensfragmente der damaligen Theaterdiven, um die komplexe Geschichte der ägyptischen Gegenwart im Lichte der Vergangenheit zu verstehen. Entstanden ist ein vielschichtiger Einblick in die ägyptische Gegenwart – beleuchtet aus den unterschiedlichen Perspektiven derer, die versuchen sie mitzuprägen.
15.11. /16.11. 20.30 Uhr. Performance. Mehr Informationen unter diesem Link.
Im Anschluss an „Whims of Freedom“ am Samstag gibt es in „Berlin Calling Cairo“ Einblicke in den Arbeits- und Entstehungsprozess der Performance. Laila Soliman und Alia Mossallam, Autor_innen des Gastspiels Whims of freedom, diskutieren über das Neuerkunden von ägyptischer Revolutionsgeschichte und -geschichten sowie über das Unterfangen, die gegenwärtige Revolution durch eine vergangene zu lesen und zu verstehen.
15.11. 22 Uhr. Gespräch. Mehr Informationen unter diesem Link.