Das Kairo-Abkommen zwischen Fatah und Hamas harrt der Umsetzung. Weil keine der beiden Parteien Einfluss abgeben will, rücken die politischen Zielmarken im September in weite Ferne. Ein Gastbeitrag von Michael Bröning
Vor einem Monat einigten sich die palästinensischen Fraktionen Fatah und Hamas in Kairo überraschend darauf, den jahrelang andauernden Konflikt beider Parteien mit einem Einheitsabkommen zu beenden. Vier Jahre der innerpalästinensischen Zerrissenheit zwischen dem Westjordanland und dem Gazastreifen sollten durch eine neue Übergangsregierung endlich beendet werden.
Während die internationale Gemeinschaft der palästinensischen Versöhnung mit gemischten Gefühlen gegenüber stand, wurde die Einigung in den Palästinensischen Gebieten als politischer Durchbruch gefeiert. Doch auch fünf Wochen nach der Unterzeichnung ist die palästinensische Einheit nach wie vor ein Wunschtraum. Die wochenlang andauernden Gespräche und Verhandlungen zur Bildung der neuen Übergangsregierung haben bisher lediglich zu einer nicht enden wollenden Abfolge von ernüchternden Aufschüben geführt. Während die palästinensische Einigung euphorisch in Kairo gefeiert wurde, gehen die Streitigkeiten in den Palästinensischen Gebieten fast ungebremst weiter.
Die größte Hürde ist nach wie vor die Ernennung eines neuen Premierministers. In Kairo einigten sich die Fraktionen zumindest theoretisch auf ein Kabinett von Technokraten, das unabhängig von Parteiprogrammen Wahlen und den Wiederaufbau des Gazastreifens einleiten sollte. Trotz dieses technokratischen Ansatzes stellt sich die Suche nach einem Premierminister aktuell als eine hochgradig umstrittene Kraftprobe dar. Um die internationalen Geldgeber der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) nicht zu verschrecken, ist die Besetzung des Postens besonders wichtig. Nichts Geringeres als die Überlebensfähigkeit der Palästinensischen Autonomiebehörde selbst hängt direkt vom Ansehen des Premierministers ab.
Hamas lehnt Salam Fayyad als Premierminister weiter ab
Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas hat sich bislang deutlich für eine weitere Amtsperiode des derzeitigen Premierministers Salam Fayyad ausgesprochen. Folglich erklärte das Zentralkomitee der Fatah Fayyad in der vergangenen Woche zum offiziellen Fatah-Kandidaten. Der ehemalige IWF-Ökonom hat sich in den vergangen zwei Jahren große internationale Anerkennung für seine Politik des Staatsaufbaus erworben. Das Westjordanland konnte zuletzt Wachstumsraten im zweistelligen Bereichen vorweisen. Ungeachtet dessen lehnt die Hamas Fayyad als einen »Handlanger der USA« ab. Die Regierungspartei aus Gaza versucht damit, ihre Verhandlungsmasse bei der Besetzung anderer wichtiger Ministerposten zu vergrößern.
In der vergangenen Woche erklärte Hamas-Führer Salah Bardawil die formale Ablehnung von Salam Fayyad mit der Begründung: »Sein Name steht in enger Verbindung mit der vier Jahre andauernden Blockade des Gazastreifens und den Festnahmen von Führungspersonen der Hamas im Westjordanland.« Eine neue Verhandlungsrunde wurde erst vor zwei Tagen kurzfristig abgesagt. Ursprünglich sollten sich Präsident Abbas und Hamas-Politbürochef Khaled Mashaal in dieser Woche in Kairo zu direkten Gesprächen treffen. Das Ziel: Die Hamas zu überzeugen und Salam Fayyad zu einer weiteren Amtszeit verhelfen.
Fundamentale Meinungsverschiedenheiten dominieren weiterhin auch den Sicherheitssektor. Obwohl sich beide Fraktionen in Kairo auf die Einführung eines »Höheren Sicherheitsrates« einigten, um die Zusammenführung der Sicherheitskräfte des Westjordanlandes und des Gazastreifens zu überwachen, haben beide Parteien bisher keinerlei Anstalten gemacht, die Kontrolle über ihre jeweiligen Sicherheitsapparate abzugeben. Die Hamas will weiterhin Gaza kontrollieren, während es die Fatah im Westjordanland nach wie vor ablehnt, ihre von den USA trainierten Sicherheitskräfte von einer Organisation führen zu lassen, die auf westlichen Terrorlisten geführt wird. Auch in der Frage der politischen Gefangenen gibt es bislang keine Bewegung – sie bleiben weiterhin in Haft.
Regierungskabinette in Gaza und Ramallah planen unbekümmert nebeneinander
Die Umsetzung des Einheitsabkommens ist bislang auch an administrativen Hürden gescheitert. Nur Tage nach der Unterzeichnung des Kairo-Deals beauftragte Hamas Premierminister Ismael Haniyeh sämtliche Ministerien in Gaza damit, ihre Planungen auch weiterhin unabhängig von Ramallah fortzusetzen. Der postulierten Einheit zum Trotz setzt die Verwaltung in Gaza daher bislang weiterhin auf Parallelstrukturen. Erst kürzlich waren sämtliche Hamas-Ministerien aufgefordert worden, langfristige Strategien mit einem Zeithorizont von drei Jahren zu erarbeiten. Wie diese Politiklinien in Gaza nun mit den Staatsaufbauplänen der PA im Westjordanland in Einklang gebracht werden sollen, bleibt weiterhin rätselhaft.
Unklar ist dabei nicht zuletzt die Frage, wie die bislang verabschiedeten Gesetzesvorhaben in Gaza und in der Westbank harmonisiert werden können. Schließlich hat das in Gaza tagende Rumpf-Parlament der Hamas seit 2007 dutzende Gesetze verabschiedet, die das öffentliche Leben in Gaza nachhaltig geprägt haben. Dieselbe Frage stellt sich für den umfangreichen Corpus von Präsidialerlassen aus Ramallah. Die Lösung hieß hier bislang: Ein schlichtes »weiter so« im legislativen und administrativen Nebeneinander.
Auch die beiden Regierungskabinette in Ramallah und Gaza setzen ihre Arbeit bislang unbeeindruckt von der zeremoniell unterzeichneten Einheit fort. Ähnliche Schwierigkeiten bleiben auch in der Frage der Staatsbeamten bestehen. Nach der gewaltsamen Übernahme des Gazastreifens durch die Hamas 2007 revanchierte sich die PA in Ramallah bekanntlich zunächst mit einem verwaltungstechnischen Balanceakt: Abbas-treue Beamte in Gaza wurden weiterhin von Ramallah aus bezahlt. Sie wurden jedoch nicht etwa dazu aufgerufen, gegen die Hamas-Regierung zu opponieren, sondern schlichtweg aufgefordert, bis auf weiteres zu Hause zu bleiben – ein fast einmaliger Fall von einem bewusst herbeigeführten Beamtenstreik auf Staatskosten. Da die streikenden Abbas-Loyalisten in Gaza rasch durch Hamas-treue Bürokraten ersetzt wurden, stellt sich nun die Frage, wie mit den zehntausenden überflüssigen Staatsdienern zu verfahren ist. Angesichts der anhaltend hohen Arbeitslosenquote in Gaza ist dies eine Frage, die über Wohl und Wehe tausender Familien und über ihre politischen Loyalitäten entscheidet.
Politisch noch brisanter: Die in Kairo in Aussicht gestellte Reform der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO). Ursprünglich hatte Mahmud Abbas im Mai eine umfassende Reform der »alleinigen Vertreterin des Palästinensischen Volkes« in Aussicht gestellt. Endlich sollte auf eine alte Forderung der Hamas eingegangen werden und die Hamas, die immerhin die Wahlen von 2006 für sich entschieden hatte, in die Organisation aufgenommen werden. Die Reform jedoch ist über allererste Schritte bislang nicht hinaus gekommen. Sicher: Eine Reformkommission wurde ins Leben gerufen, doch erst vor kurzem meldete sich Abbas mit einem ernüchternden Zwischenruf zu Wort: Die Reform der PLO sei zum jetzigen Zeitpunkt schlicht »verfrüht«.
Der internationalen Gemeinschaft blieb die alles entscheidende Gretchenfrage bislang erspart
Verfrüht scheint aktuell nicht zuletzt jede in Kairo geweckte Hoffnung auf demokratische Wahlen in den Palästinensergebieten. Obwohl in Einheitsabkommen eigentlich vereinbart wurde, binnen Jahresfrist vor die Wähler zu treten, ist der einzige konkrete Schritt in Sachen Wählerbefragung bislang die Verschiebung eines Urnenganges. Die ursprünglich für den Sommer angesetzten Kommunalwahlen wurden kurzum bis auf Weiteres verschoben. Wahltermin ungewiss. Dies jedoch schwächt nicht nur die Autorität von Mahmud Abbas, dessen Mandat spätestens im Januar 2011 ausgelaufen ist, sondern nicht zuletzt demokratische Tendenzen in Palästina insgesamt.
Lediglich ein einziger positiver Aspekt kann der anhaltenden Vertagung der palästinensischen Einheit bislang abgewonnen werden: Die andauernde Ungewissheit hat der internationalen Gemeinschaft bislang die alles entscheidende Gretchenfrage zum Umgang mit der Hamas erspart. So lange nicht klar ist, wer die Regierung anführt, so lange konnte der Status Quo laufender finanzieller Unterstützung nahezu unbemerkt fortgeführt werden. Abgesehen davon, jedoch, dass sich dies bald ändern könnte, dürfte die anhaltende Ungewissheit jedoch auch auf einer anderen Ebene für politischen Fall-Out sorgen: Ein Einheitsdeal, der nicht das Papier wert ist, auf dem er unterzeichnet wurde, schwächt nicht zuletzt das politische Momentum der Palästinenser im Hinblick auf den Gang vor die Vereinten Nationen im September.
Während Präsident Abbas das jüngste französische Angebot zu Endstatusverhandlungen in Paris vorsichtig begrüßt hat, lässt die israelische Weigerung den Palästinensern bislang kaum eine andere Wahl. Nach wie vor erscheint ihnen die Ankündigung, im September in der UN Generalversammlung für einen Staat in den Grenzen von 1967 zu werben, fast alternativlos. Solange jedoch ein einheitlicher Palästinenserstaat nicht einmal in Gaza und der Westbank tatsächliche Unterstützung findet, dürfte weltweiter Rückhalt für eine Staatsgründung auf absehbare Zeit ein Traum bleiben.
Michael Bröning leitet das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) in Ost-Jerusalem.
www.fespal.org