Viele Jahre war Jörg Armbruster ARD-Auslandskorrespondent für den Nahen und Mittleren Osten, berichtete vom Tahrir-Platz in Kairo ebenso wie aus Aleppo, wo er 2013 angeschossen wurde. Juliane Pfordte vom Institut für Auslandsbeziehungen sprach mit ihm über seine Arbeit, die Erfahrung der eigenen Verletzbarkeit sowie die Anforderungen und Zwänge journalistischer Praxis.
Bereits im vergangenen Jahr haben wir uns auf Alsharq in einer umfassenden Serie mit der Berichterstattung über den Nahen Osten beschäftigt. In unserem Kompendium wollten wir dabei vor allem aufspüren, wie ein Bild des Nahen Ostens vermittelt werden kann, ohne die Verhältnisse vor Ort zu verklären, verzerren oder gar auf den Kopf zu stellen. Daher freuen wir uns über das folgende Gespräch, das wir hier etwas gekürzt veröffentlichen; die längere Version erschien im Original auf den Seiten des Instituts für Auslandsbeziehungen.
Juliane Pfordte: Herr Armbruster, wie war Ihre erste Begegnung mit Kairo – „der Mutter der Welt“, wie sich die Stadt selbst nennt?
Jörg Armbruster: Ich bin in den 70er Jahren das erste Mal als Tourist in Kairo gewesen, um meinen Vetter zu besuchen, der als Archäologe dort gearbeitet hat. Ich hatte von Anfang an einen sehr persönlichen Zugang, weit weg von den normalen Touristenwegen. Als ich dann 1999 für den SWR, damals noch SDR, nach Kairo geschickt wurde, habe ich mich rettungslos in einem der vielen Armenvierteln verlaufen. Irgendwann sah ich, wie ein älterer Mann einem kleinen Mädchen etwas zuflüsterte. Das Mädchen kam auf mich zu, nahm mich an die Hand und führte mich aus dem Labyrinth der vielen Gassen heraus. Diese Freundlichkeit der Menschen hat mein Bild von Kairo sehr stark geprägt.
Warum sind Sie 1999 ausgerechnet nach Kairo gegangen?
Der SDR war ein kleiner Sender mit zwei Auslandskorrespondenten: einem für das südliche Afrika, einem für den Nahen Osten. Ich war in beiden Büros, habe aber irgendwann angefangen, mich auf den Nahen Osten zu spezialisieren, weil ich die Region spannender fand. Im Nahen Osten kreuzen sich viel mehr Konfliktlinien als im südlichen Afrika nach Ende der Apartheid. Wir erleben es heute mit dem Islamischen Staat (IS). Öl spielt nach wie vor eine große Rolle, es gibt viele unterschiedliche Interessen. Das alles aufzuarbeiten, hat mich schon immer sehr fasziniert.
Inwiefern haben sich die Bedingungen als Fernsehkorrespondent in den vergangenen Jahren verändert?
Da hat sich eine ganze Menge getan. Zum Beispiel Syrien: 2011 kamen wir nicht rein. Anfangs brauchte man eine Genehmigung der Regierung. Wir haben Antrag um Antrag gestellt, aber erst Ende 2012 konnten wir nach Damaskus reisen. Anfangs waren wir somit auf Youtube-Videos angewiesen. Das war eine völlig neue Erfahrung, über Unruhen aus zweiter oder dritter Hand berichten zu müssen. Wir haben versucht, ein Sicherheitsnetz aufzuspannen, haben spezielle Redaktionen gegründet, die nichts anderes getan haben, als zu versuchen, diese Videos zu verifizieren. Es war ein schlechter Journalismus aus zweiter oder dritter Hand, und mit Sicherheit haben wir Fehler gemacht.
Zum Beispiel?
Indem wir Bilder falsch zugeordnet haben. Das Assad-Regime hat in Youtube-Streams eigene Videos eingeschmuggelt und hinterher, nach der Verwendung durch die BBC oder Al-Jazeera, offengelegt, dass die Aufnahmen nicht aus Syrien, sondern dem Irak stammten und dann konnten sie sagen: „Seht, so lügen die!“ Wir, die ARD, haben das auch getan, aber wir waren nicht wichtig genug, um an den Pranger gestellt zu werden.
Und wie haben sich die Arbeitsbedingungen als Journalist in Ägypten verändert?
Nach dem Sturz von Mubarak mussten wir keine Genehmigung mehr vorweisen, konnten uns im ganzen Land frei bewegen. Unter Mubarak brauchten wir für jeden Dreh auf der Straße eine Genehmigung, was nervig war, weil man aktuelle Stories natürlich nicht genehmigen lassen kann. So etwas wird bis zu zwei Wochen hinausgezögert. Wir haben trotzdem gedreht, ohne Genehmigung und immer mit einem gewissen Risiko.
Welche Ansprüche haben Sie an sich als Journalist?
Nicht nur den Tag, das Aktuelle zu erzählen, sondern auch, wie es zu dem Konflikt gekommen ist. Entwicklungen zu erahnen, sie rechtzeitig zu erkennen, um dann darauf hinzuweisen. Immer möglichst dicht am Menschen entlang zu erzählen, nicht abstrakte Politik zu vermitteln. Es ist wichtig, kulturelle Unterschiede zu erklären. Zum Beispiel, welche Rolle der Islam spielt, ob er wirklich so schrecklich ist. Bei Beiträgen von eineinhalb Minuten in der Tagesschau ist das natürlich schwierig, aber es gibt andere Formate wie den Weltspiegel, wo es genau darum geht. Andererseits habe ich sogar mal in der Tagesschau drei Minuten bekommen, als ich in Damaskus war und besonders spannendes Material hatte. Das ist natürlich äußerst selten, aber die Tagesschau ist da flexibler, als man vielleicht denkt.
Ist es möglich, objektiv über Konflikte zu berichten?
Diese Vorstellung muss man sich abschminken. Objektivität gibt es im Journalismus nicht, wir sind keine Wissenschaftler. Man muss wahrhaftig berichten, darf nicht dramatisieren, nicht über- oder untertreiben oder Partei ergreifen. Der Journalist muss berichten, was er sieht. Aber dass das nicht immer objektiv sein kann, muss der Zuschauer wissen, indem ihm der Reporter das vermittelt. Nachrichten sind sicherlich etwas anderes, aber in Reportagen berichten wir, was wir erleben und für wahr halten.
Was gilt für Sie als „wahr“?
Das mache ich abhängig von Gesprächen, den Informationen, die ich lese und den daraus erkennbaren Positionen. Ich muss mich natürlich auch auf die Menschen einlassen und mir Zeit nehmen, mit ihnen zu reden – sie reden lassen. Das ist in dem schnellen Gewerbe nicht immer einfach, aber wichtig.
Sie haben gesagt, es ginge auch darum, Entwicklungen zu antizipieren. Krisenprävention soll auch in der deutschen Außenpolitik künftig eine stärkere Rolle spielen. Wie könnten Medien präventiver informieren? Aktuell wird ja meist nur in der „heißen Phase“ des Konflikts berichtet.
Ja, das bedauere ich sehr. Erst wenn es richtig knallt, wird auf das Thema eingestiegen. Es sind oft die Mechanismen des Mediensystems selbst, die einem Grenzen setzen. Oft dringt man bei den Kollegen in der Heimatredaktion nicht durch, wenn man darauf hinweist, dass sich etwas zusammenbraut. Das war bei dem IS ähnlich. Großes Thema wurde es erst, als Mossul eingenommen wurde. Wir wissen schon länger, dass es den Islamischen Staat gibt, wir sind ihm 2013 in Aleppo begegnet. Das liegt auch daran, dass dieses Thema von anderen Ereignissen wie dem Ukraine-Konflikt ab November 2013 überlagert wurde. Das war ein Konflikt unmittelbar vor der Haustür, was daher oberste Priorität hatte.
Sie haben Aleppo angesprochen. Dort wurden Sie vor fast genau zwei Jahren angeschossen. Wie geht es Ihnen heute?
Gut. Ich kann den Arm zwar nur eingeschränkt bewegen, aber ich kann schreiben, mit der Hand und dem Laptop, das ist am wichtigsten.
Und wie geht man mit der Erfahrung der eigenen Verletzbarkeit um – als Journalist, aber auch als Mensch?
Das war natürlich erst mal ein großer Schock. Wir alle, die dort rumlaufen, denken wohl, dass wir unverwundbar sind. Als in Tripolis unser Hotel beschossen wurde, lagen wir flach auf dem Boden und fanden das eher komisch. Aber wirklich verwundet zu werden, konnte ich mir nie vorstellen. Auch bei der Reise damals nach Aleppo. Einen Tag, bevor ich angeschossen wurde, sind wir vor Granatbeschüssen in Deckung gegangen, haben aber weiter gedreht, weil wir die Aufregung aufnehmen wollten. Ich glaube, man spinnt da als Reporter auch ein bisschen.
Wer trägt vor Ort die Verantwortung für die Entscheidung, wo es hingeht?
Die trage ich, aber wir diskutieren das im Team. Ich erinnere mich an eine Situation im Jemen, als wir neben einer Rakete standen, die eingeschlagen hatte, aber nicht explodiert war. Als dann jemenitische Soldaten anfingen, diese mit grobem Handwerkszeug auszugraben, wollte der Kameramann nicht weiterdrehen. Also fuhren wir.
Und 2013 in Aleppo?
Ich glaube, wir waren etwas blauäugig, weil wir auf dem Weg nach draußen, in die Türkei, waren. Wir wollten nur noch schnell einen Sack Medikamente in einem Feldlazarett abgeben, aber der Fahrer hatte sich vertan. Er war zu dicht an die Front und damit in die Schusslinie eines Scharfschützen geraten. Als wir das bemerkten, war es zu spät. Man kann hier jedem einen Vorwurf machen: dem Fahrer, mir. Gott sei Dank bin ich verletzt worden, nicht der Fahrer oder einer meiner Kollegen, sonst würde ich mir unendlich viele Vorwürfe machen.
Würden Sie nach Aleppo zurückkehren?
Nach Aleppo derzeit nicht, weil es eingekesselt wird und alle, die können, die Stadt verlassen. Aber nach Azaz würde ich gerne zurückkehren. Vergangenes Jahr war ich auch in Kurdistan, im syrischen Norden, was natürlich im Vergleich zu den akuten Konfliktgebieten weitaus harmloser ist, aber ich interessiere mich noch sehr für das Land.
Seit Dezember 2012 sind Sie offiziell im Ruhestand, aber nach wie vor als Reporter unterwegs. Was sind Ihre Pläne für die kommenden Jahre?
Vor einem Jahr habe ich die letzte große Dokumentation für die ARD gedreht, meine Zeit beim Fernsehen ist vorbei. Ich schreibe ab und an für Zeitungen. Momentan recherchiere ich für ein Buch über deutsche Juden, die in der Nazi-Zeit nach Israel ausgewandert sind. Ich halte dies für dringend, weil diese Generation altersbedingt ausstirbt. Einen Verlag habe ich schon, aber ich stehe mit den Recherchen noch ganz am Anfang.
Vielen Dank für das Gespräch.