Ein Gastbeitrag von Anton Lenz und Matthias Schultheiss
Die ägyptische Revolution wurde von einer heranwachsenden Jugend getragen. Doch nur wenige Monate nach den turbulenten Geschehnissen im Frühjahr sind ihre Rufe bereits verhallt. Was ist aus ihnen geworden und was wollen sie nun, wo Mubarak aus dem Amt geworfen wurde? Um diesen Fragen nachzuspüren, trafen die Geschichts-Studenten Anton Lenz und Matthias Schultheiss den ägyptischen Aktivisten Mohammed in Alexandria.
Auf den Schultern eines stämmigen Ägypters sitzend, brüllt Mohammed eine der Parolen in das Megaphon in seiner Hand, wie sie 18 Tage lang in ganz Ägypten zu hören waren: „Irhal ya Mubarak – Verschwinde, Mubarak!“. Der Slogan wird von Tausenden von Ägyptern aufgegriffen, die mit ihm zusammen durch Alexandria ziehen. Das war am 25. Januar, am Anfang der ägyptischen Revolution.
Mohammed ist 22 Jahre alt und stolz auf dieses und weitere Videos, die er uns auf seinem Laptop zeigt. Wir sitzen in dem kürzlich eröffneten Zentrum der „Jugend für Gerechtigkeit und Freiheit“ in Alexandria, deren örtlicher Vorsitzender er ist. Die Bewegung, wie er sie nennt, gab es bereits vor der Revolution. Doch nie hatte sie so viele Anhänger und nie zuvor genossen diese so viele Freiheiten. In jeder größeren ägyptischen Stadt seien sie nun vertreten, sagt uns Mohammed.
Und tatsächlich, während wir sprechen, betreten immer wieder junge Ägypter und Ägypterinnen das frisch gestrichene und mit zahlreichen Stühlen bestückte Zentrum, setzen sich kurz zu uns, hören Mohammed zu, wie er uns von den politisch-linken Forderungen der Jugendgruppe erzählt, ergänzen ihn, und verschwinden wieder geschäftig in einen der anderen Räume. Für diese Art von Austausch hätten sie das Zentrum gegründet. Die Miete teilen sie unter den knapp 50 ständigen Mitgliedern auf.
Die Entfaltung dieser Jugendgruppe reiht sich damit in einen Politisierungsprozess ein, der ganz Ägypten erfasst hat. Die Politik hat den Fußball als wichtigstes Gesprächsthema in den Straßen und Cafes abgelöst. So berichtete Aljazeera kürzlich, dass knapp 80 Parteien dabei seien, ihre Zulassung für die Parlamentswahlen im September diesen Jahres zu beantragen. Bis zur Wahl könnten es 100 werden.
Aber sobald wir auf das zusprechen kommen, was Ägypten bevorsteht, verfinstert sich Mohammeds Miene. „Sie sind dabei, uns die Revolution zu rauben“, sagt er uns, und meint damit das ägyptische Militär. Seiner Meinung nach ist das Militär Teil des alten System unter Mubarak. Deshalb sei die Revolution bei Weitem noch nicht zu Ende, denn was brächten die errungenen Freiheiten, wenn sich an der sozialen Ungleichheit im Land bisher kaum etwas geändert hat. Immerhin wäre dies neben Freiheit und dem Rücktritt Mubaraks die wichtigste Forderung der Demonstranten gewesen. Weiterhin lebe ein Fünftel der Ägypter unterhalb der Armutsgrenze, ein weiteres Fünftel nur knapp darüber. Die „Jugend für Gerechtigkeit und Freiheit“ setze sich deshalb zunächst für mehr soziale Gerechtigkeit ein, wie es der Name der Jugendgruppe bereits nahe legt, und erst danach für Freiheit.
Ihre Forderungen vermischen sich mit genereller Kapitalismuskritik. Mohammed nennt sich Sozialist, seine politischen Ziele, wie ein Kündigungsschutz oder eine verbesserte soziale Absicherung, stehen dabei aber nicht grundsätzlich im Widerspruch zu einer sozialen Marktwirtschaft. Wir fragen ihn, was er von der aktuellen Debatte in Ägypten halte, ob zuerst die Verfassung verändert oder das Parlament gewählt werden solle. „Die Armen zuerst“, so sein kurzes aber klares Statement.
Solange das Militär nicht in einen Dialog mit der Jugend Ägyptens trete, werde sich nichts verändern. Schließlich seien 50 Prozent der Ägypter unter 35 Jahre alt. Um dieser Gruppe eine stärkere Stimme in der Politik zu geben, solle zum Beispiel das Mindestalter von Parlamentariern von 30 auf 25 Jahre herunter gesetzt werden. Denn auch wenn die linken Gruppierungen im Vergleich zu den Muslimbrüdern oder den Liberalen relativ schwach seien, ist sich Mohammed sicher, dass die Mehrheit der ägyptischen Jugend eigentlich die Ziele der Linken gut heiße – lediglich das politische Konzept dahinter sei ihnen fremd.
Dann wendet sich Mohammed wieder seinem Laptop zu und zeigt uns weitere Videos und Fotos von den Geschehnissen im Januar und Februar. Wir sehen lachende Gesichter, die ägyptische Fahne auf die Wangen gemalt. Riesige Menschenmengen feiern ausgelassen Mubaraks Rücktritt. Auch Mohammeds Gesicht hellt sich wieder auf.