Die TV-Sender al-Jazeera und al-Arabiya sind die reichweitenstärksten arabischen Nachrichtenkanäle. Doch wie wird ihre Berichterstattung von den Interessen ihrer jeweiligen Eigentümer in Qatar und Saudi-Arabien gesteuert? Ein Dokumentarfilm beleuchtet nun die Arbeit der beiden Fernsehstationen. Eine Besprechung von Erik Mohns.
Die Berichterstattung der beiden panarabischen Nachrichtensender al-Arabiya und al-Jazeera im Frühling 2011 ermöglichte jedem Interessierten, dem Sturz des ägyptischen Präsidenten Mubarak in Echtzeit medial beizuwohnen. Auf beiden Kanälen berichteten Korrespondenten von Demonstrationen, Protesten und Straßenschlachten um und auf dem Midan Al Tahrir aus nächster Nähe.
Der Dokumentarfilm „The Battle for the Arab Viewer“ des Regisseurs Nordin Lasfar widmet sich der interessanten und komplexen Frage, ob die Berichterstattung der beiden Kanäle von Loyalitäten und politischen Interessen ihrer jeweiligen Eigentümer, des qatarischen und saudischen Herrscherhauses, beeinflusst wird. Des Weiteren möchte der Film die Unterschiede in der Berichterstattung beider Sender herausarbeiten, um dadurch ihre unterschiedlichen politischen Agenden zu untersuchen, die im Vorspann des Films – ein wenig simplifizierend – als „progressiv“ und „konservativ“ beschrieben werden.
In der Eingangsszene des Films wird die Live-Schaltungen der Kairoer Korrespondenten beider Sender vor dem Gerichtsgebäude, in dem die Verhandlung gegen Husni Mubarak abgehalten wird, aus dem Off gezeigt. Indem auf die Differenzen in der Berichterstattung beider Sender abgehoben wird, wird bereits zu Beginn das sich den gesamten Film durchziehende Narrativ etabliert, dass beide Nachrichtenkanäle politische Instrumente der saudischen und katarischen Regierung darstellen und als Teile des jeweiligen Regierungsapparates zu verstehen seien.
In dieser Szene kommt es vor dem abgesperrten Gerichtsgebäude zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften, Familienmitgliedern von „Märtyrern“ der Revolution und Anhängern des Mubarak-Regimes, nachdem die „Märtyrerfamilien“ versuchten, gewaltsam in das von den Sicherheitskräften umstellte Gebäude einzudringen. Das Al Arabiya-Team bricht auf Anweisung der Korrespondentin Randa Abul Azm die Berichterstattung ab, als sich stockschlagende Sicherheitskräfte und vor ihnen Flüchtende direkt auf etwas abseits stehenden Kamerateams zubewegen. Das Team des Al Jazeera-Korrespondenten Abdelfattah Fayed setzt die Live-Übertragung fort.
Ein an der Stirn blutender Mann wird auf eigenes Drängen hin von beiden Teams interviewt und äußert lautstarke Kritik an den Sicherheitskräften und dem Militärrat. Während Al Jazeera das Interview auf seinem 24-Stunden-Livekanal Al Jazeera Mubasher in Echtzeit überträgt, weist Randa Abul Azm ihr Team an, das Interview des Augenzeugen vom Band zu löschen. In einer späteren Szene erhält sie Zutritt zum Gerichtsgebäude und berichtet per Mobiltelefon live auf den Sender, während dem Al Jazeera-Korrespondenten Fayed der Zutritt zum Gebäude verwehrt ist.
Auf diesen Szenen aufbauend argumentiert der Film, dass sich die Berichterstattung beider Sender während der Revolution in Ägypten aus den Beziehungen des jeweiligen Eigentümer zum Mubarak-Regime ableitet. Die engen Beziehungen des Hause Sauds zum Regime Husni Mubaraks seien die Ursache, dass die Berichterstattung Al Arabiyas während des politischen Umsturzes deutlich reservierter gewesen sei als die seines katarischen Konkurrenten, dessen Regierung angespannte Beziehungen zu Mubarak unterhielt.
Die Kairoer Korrespondenten beider Sender weisen die Vorwürfe der Intervention der Eigentümer in die Berichterstattung sowie fehlender politischer Unabhängigkeit brüsk zurück und widersprechen vehement dem Vorwurf, dass die Sender den politischen Agenden Saudi-Arabiens und Katars dienten. Diesen Einwände jedoch widerlegt der Film zügig in Interviews mit ehemaligen Mitarbeitern der Sender. So wurde beispielsweise die Sendung des Journalisten Hafez Al Mirazi auf Al Arabiya abgesetzt, als er vor laufender Kamera versprach, seine nächste Sendung der saudi-arabischen Innenpolitik zu widmen. Während Interventionen staatlicher Organe auf die politische Berichterstattung öffentlicher Medienanstalten auch in pluralistisch-demokratischen Systemen keine Seltenheit darstellen, sind Nachrichtensender im Eigentum der Herrschenden eher eine seltene Ausnahme.
Bezüglich des soziodemographischen Profils der Zielgruppen sowie ihrer Produzenten würden sich beide Sender deutlich unterscheiden, argumentiert der interviewte Journalist und Menschenrechtler Abdul Aziz Al Khamis. Al Arabiya würde von auf sozialer Ebene liberalen Journalisten geführt, welche die saudische Dynastie unterstützten und die Politik der Muslimbrüder sowie der arabischen Nationalisten ablehnten. In seiner redaktionellen Ausrichtung repräsentiere der Kanal den Standpunkt der Mittelschichten, die primär an Stabilität, nicht aber an politischem Wandel zu jedem Preis interessiert seien. Al Jazeera hingegen sei die Stimme der einfachen Leute und sozioökonomisch Vernachlässigten. Auf politischer Ebene repräsentiere der Sender soziale Bewegungen wie die Muslimbrüder und gebe damit denjenigen politischen und sozialen Kräften eine Stimme, die ihnen in staatlich kontrollierten Medien verwehrt würde. Zur Bekräftigung des Arguments verweist der Film auf den sozioökonomischen Hintergrund der Familien beider Kairoer Korrespondenten, die in persona für das Profil der jeweilige Zuschauerschaft und Produzenten der Sender herangezogen werden.
In der letzten Szene auf dem Midan Al Tahrir bedankt sich ein Demonstrant überschwenglich beim Al Jazeera-Korrespondenten Fayed, dem Sender und der Regierung Qatars für ihre Unterstützung und fügt hinzu, dass Al Jazeera zu 90% für die ägyptische Revolution verantwortlich sei. Hier wird die Argumentation des Films konzentriert auf den Punkt gebracht: dass die Berichterstattung Al Jazeeras von den geostrategischen Interessen und der politischen Agenda ihres Eigtentümers, der qatarischen Regierung bestimmt wird und der Sender durch seine Berichterstattung ein überaus wichtiger, genuin politischer Akteur des politischen Umbruchs ist. Während der zweite Teil des Arguments Spielräume eröffnet für kontroverse Diskussionen, wird durch die Reduzierung der Nachrichtensender zu einem reinen Propaganda-Werkzeug die politische Komplexität im Film aber simplifiziert.
Auch die getroffene Auswahl der Interviewpartner hinsichtlich der Ausrichtung der Berichterstattung Al Jazeeras wirft Fragen auf. Die Journalisten Lina Zahreddine und Ghassan Benjeddo betonen, dass sie den Sender aus Protest über die unterlassene Berichterstattung von Anti-Regime-Protesten und deren gewaltsame Niederschlagung im Golfstaat Bahrain verlassen hätten. Sie wenden ein, dass die fast ausschließliche Konzentration der Berichterstattung auf die Proteste/Konflikte in Syrien und Libyen politischen Motiven geschuldet sei und damit jeglichen journalistischen Standards und Ausgewogenheit widerspräche. Dazu gilt allerdings hinzu zu fügen, dass diesen beiden Journalisten bei dem im Juni 2012 in Beirut gegründeten Nachrichtensender Al Mayadeen Positionen übernommen haben. Al Mayadeen wird nicht nur eine Nähe zum syrischen Regime, der Hizbollah und Iran nachgesagt und seine Geldgeber sind bisher anonym geblieben, sondern in der Berichterstattung des syrischen Bürgerkriegs übernimmt Al Mayadeen unreflektiert den sprachlichen Duktus der staatlichen syrischen Medien.
„Die Schlacht um den arabischen Zuschauer“ eignet sich hervorragend, um Diskussionen über die Funktion von Medien in der durch hohe politische Volatilität gezeichneten nahöstlichen Region anzuregen. Der Film verdeutlicht, dass die mediale Repräsentation der ägyptischen Revolution und die redaktionelle Praxis und Perspektiven von Al Jazeera und Al Arabiya insgesamt von politischen Dynamiken und Interessen beeinflusst werden. Ob sich die Ausrichtung ihrer Berichterstattung aber ausschließlich auf die politischen Agenden ihrer Eigentümer reduzieren lässt, wie im Film argumentiert wird, erscheint diskussionswürdig. Die im Film vorgenommene Zuschreibung der Muslimbrüder als soziale Bewegung und Repräsentant der sozioökonomisch Unterdrückten und Subalternen ist allerdings schlichtweg falsch.
Erik Mohns ist Doktorand am Zentrum für gegenwartsbezogene Nahostforschung der Süddänischen Universität.
The Battle for the Arab Viewer (2012)
48 Minuten/Farbe
Regisseur: Nordin Lasfar
Produktion: Helen Goossens & Marie Schutgens
Vertrieben durch NPO Sales, Nederlands Public Broadcasting
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