Der neue saudische König Salman versucht, das Bestehen der sunnitischen Königshäuser am Golf durch verstärkte Zusammenarbeit im Golfkooperationsrat zu sichern. Dieser „Club der Monarchien“ sieht sich vor allem von einem wiedererstarkten Iran bedroht. Doch auch der islamistische Terror, die zunehmende Öffnung der islamischen Gesellschaften durch internationale Vernetzung sowie der starke Ölpreisverfall stellen die Zukunft der Golfmonarchen auf wacklige Beine. Von Maria Debre
Während Obama jüngst triumphal den Abschluss des Atomdeals mit dem Iran verkündete, blieben die saudischen Herrscher still. Kein offizieller Kommentar vom Anführer der sunnitisch-arabischen Welt. Lediglich CNN berichtete unter Berufung auf einen anonymen saudischen Beamten, für Saudi-Arabien sei das Abkommen „eine monumentale historische Fehlkalkulation“.
Es steht viel auf dem Spiel: Der Atomdeal mit dem Iran stellt für das saudische Königshaus ein weiteres Problem in der langen Reihe an Herausforderungen dar, die die Vormachtstellung des sunnitisch-arabischen Golfstaats und das Überleben des absolutistisch-monarchischen Staatsmodells bedrohen.
Seit dem „Arabischen Frühling“ fürchten viele Autokraten zwar Massenproteste, die größten Gefahren für die Herrscher am Golf drohen momentan jedoch eher von außen: die globale Vernetzung ihrer Gesellschaften durch soziale Netzwerke, der internationale Verfall des Ölpreises, die Ausweitung des iranischen Einflusses im Jemen seit der Machtübernahme der Huthis bei gleichzeitigem Rückzug der mächtigen amerikanischen Bündnispartner aus der Nahostpolitik oder die ideologische Bedrohung durch den Islamischen Staat und den islamistischen Terrorismus.
Seit seiner Machtübernahme im Januar 2015 verfolgt der neue saudische König Salman deshalb mit noch größerem Enthusiasmus als sein Vorgänger Abdullah den Aufbau einer eigenständigen regionalen Außenpolitik und Verteidigungsstruktur. Denn er hat erkannt: Nur gemeinsam mit den sunnitisch-arabischen Partnern wird er den Gefahren von außen begegnen können.
Der Golfkooperationsrat als Instrument zur Machtabsicherung
Die Zusammenarbeit der Scheiche und Emire am Golf findet vor allem im Rahmen der 1981 gegründeten Regionalorganisation – dem Golfkooperationsrat (englische Abkürzung: GCC) – statt. Dieser hat sich seither zu einem zentralen außenpolitischen Instrument der Monarchien im Nahen Osten entwickelt. Gleichzeitig hilft er den Königshäusern, ihre Macht intern zu stärken und das Überleben der „Familienbetriebe“ abzusichern. Besonders die innenpolitische Sicherheitskooperation wird von Kennern als die erfolgreichste Dimension der Organisation gesehen.
Während die Beziehungen der Herrscherhäuser in ruhigeren Zeiten oft von Rivalitäten und Streitereien geprägt sind, so halten sie zusammen, sobald ihre Macht bedroht wird. Schon während der Aufstände des „Arabischen Frühlings“ kamen GCC-Truppen dem bahrainischen Regime zur Hilfe, um die dort anhaltenden Proteste gewaltsam zu bekämpfen. Mit Geldspenden der reicheren Mitgliedsländer sollte zudem die Loyalität der bahrainischen Bürger erkauft werden.
Auch angesichts der aktuellen Umwälzungen im Nahen Osten ist Saudi-Arabien unter seinem neuen König Salman bemüht, den Zusammenhalt der Monarchien im Golfkooperationsrat zu stärken, um damit einen sunnitisch-royalen Status quo in der Region zu sichern. Der neue Herrscher ist dabei nicht unbedingt ideologisch motiviert. Seine Politik ist vielmehr getrieben vom Interesse am politischen Überleben und dem Erhalt der privilegierten Machtposition der Königsfamilie.
Die schleichende Gefahr der sozialen Medien, des Internets und des Ölpreisverfalls
Denn unter der scheinbar ruhigen Oberfläche der Gesellschaften am Golf brodelt es. Die Region scheint mehr und mehr gespalten, nicht nur zwischen Schiiten, wie sie mehrheitlich in Iran leben, und Sunniten, die in den Golfmonarchien oder auch in Ägypten die Bevölkerungsmehrheit stellen. Auch eine Spaltung zwischen einer immer größer werdenden Zahl erzkonservativ-religiöser Ideologen und einer zunehmend global vernetzten jungen Generation, die trotz drohender Strafen immer öfter Kritik äußert, ist zu beobachten.
Besonders soziale Medien wie Twitter, Facebook und Youtube haben es den Saudis angetan. In vielen Foren werden die Korruption und das luxuriöse Leben der Königfamilie detailgenau auseinandergenommen, wahhabitische Fatwas (Rechtsurteile) verspottet oder über Religionsfreiheit und Menschenrechte diskutiert. Der globale Radius der sozialen Plattformen lässt die Golfstaaten dabei auch vermehrt zum Angriffspunkt westlicher Kritik werden.
Bisher konnten sich die Scheichs noch mit verstärkter Repression gegen Kritik im Internet, wie die des Bloggers Raif Badawi, wehren, auch durch die sicherheitspolitische Zusammenarbeit im Golfkooperationsrat bei der Verfolgung von Dissidenten. Doch der anhaltend niedrige Ölpreis lässt die Reserven aller Königshäuser rasant schwinden und damit ihre Fähigkeit, sich auch in Zukunft die Loyalität ihrer Bürger zu erkaufen.
So können Staatsdefizite und Geldgeschenke derzeit noch mit den enormen Rücklagen der Monarchen finanziert werden. Die Gefahr einer Diffusion demokratischer Werte in den Golf via Internet scheint deshalb noch eher gering. Doch sollten die Saudis weiterhin ihr hohes Produktionsniveau aufrechterhalten, wird der tiefbleibende Ölpreis zum Problem.
Das Ende der Isolierung des Erzrivalen Iran
Unmittelbar beunruhigt die Saudis dagegen vielmehr der Rückzug der Amerikaner aus der Nahostpolitik. Schon die Gründung des Golfkooperationsrates diente primär dem Zweck, einen sunnitischen „Club der Monarchien“ zu schaffen und ein Überschwappen der schiitisch-islamischen Ideologie nach Vorbild der iranischen Revolution in den Golf zu verhindern. Die starke US-Bindung der saudischen Königsfamilie ist damit vor allem einem internen Sicherheitsbedürfnis nach Isolierung des Iran geschuldet.
Doch der iranische Einflussradius in der Region scheint sich derzeit stetig auszuweiten, während die USA unter Obama vermehrt von der direkten Intervention im Nahen Osten Abstand nehmen. Nach dem Vormarsch der schiitischen Huthi-Rebellen im Jemen, die im Januar den von den Saudis unterstützten Präsidenten Hadi gewaltsam aus dem Land vertrieben und die Macht an sich gerissen hatten, schien für die Herrscherfamilie Al Saud das Fass mehr als übervoll. Auch wenn der Iran eine direkte Unterstützung der Rebellen im Jemen vehement bestreitet: Für die Golfmonarchien scheint festzustehen, dass sie eine Ausweitung des iranischen Einflusses bis zu ihren Grenzen nicht weiter zulassen werden. Die saudische „Koalition der Willigen“ – ein rein arabisches Bündnis – bombardiert deshalb seit März unter dem Namen „Entschiedener Sturm“ den Jemen, um eine Wiedereinsetzung von Präsident Hadi zu erreichen.
Zusätzlich bedroht der erfolgreich abgeschlossene Atomdeal mit dem Iran die sunnitische Vormachtstellung im Nahen Osten. Obama erhofft sich von einem wirtschaftlich erstarkten Partner Iran vor allem Hilfe im Kampf gegen die sunnitischen Krieger des Islamischen Staats im Irak und Syrien. Die Golfmonarchien dagegen sehen in Iran vielmehr einen Aggressor, der regionale Konflikte antreibt. Neben der Unterstützung der Huthi-Rebellen im Jemen werfen sie den Iranern auch die anhaltende Unterstützung des syrischen Präsidenten Assad sowie schiitischer Milizen im Irak und der Hisbollah im Libanon vor.
Deshalb haben die Golf-Herrscher mit Hilfe des ägyptischen Militärpräsidenten al-Sisi eine Initiative zur selbstständigen Verteidigung des sunnitischen Nahen Ostens lanciert und die Gründung einer gemeinsamen schnellen Eingreiftruppe der Arabischen Liga angeregt. Sollte diese Eingreiftruppe tatsächlich entstehen, hätten die arabischen Staaten unter sunnitisch-royaler Leitung zum ersten Mal in der Geschichte die Regelung ihrer regionalen Konflikte selbst in der Hand.
Ideologische Bedrohung durch den Islamischen Staat
Doch nicht nur die Ausweitung des iranischen Einflusses im Jemen, auch die Gefahr des islamistischen Terrorismus motiviert die Saudis, einen stärkeren Zusammenhalt im Golfkooperationsrat zu erzwingen. Im Süden droht den Monarchien derzeit ein Erstarken von al-Qaida, das im Chaos des jemenitischen Krieges ungestört operieren kann. Im Norden eskaliert die Auseinandersetzung mit dem Islamischen Staat, welcher sich trotz anhaltender Bombardierung durch Amerikaner, Europäer und arabischer Staaten im Irak und Syrien festsetzen kann.
Saudi-Arabien selbst war bereits mehrmals Ziel von terroristischen Anschlägen, zuletzt Anfang August dieses Jahres, als sich ein Selbstmordattentäter im Namen des IS vor einer schiitischen Moschee in die Luft sprengte. Der IS ist jedoch vor allem eine ideologische Bedrohung für Saudi-Arabien: Die Königsfamilie rangiert bei den Kämpfern des Islamischen Staates ganz oben auf der Liste der Feinde. Sie sehen sie als unrechtmäßige Herrscher über die Heiligen Stätten Mekka und Medina sowie als Handlanger der Amerikaner.
Viele saudische Bürger teilen diese Auffassung. Sie begreifen jede noch so geringe Reformbemühung, wie beispielsweise eine Ausweitung von Frauenrechten, als Verrat an der strengen wahhabitischen Ideologie. Die enge Partnerschaft der Saudis mit den USA ist für sie zudem ein Bündnis mit dem Teufel. Viele junge Dschihadisten, die jahrelang ein saudisches Resozialisierungsprogramm durchliefen, ziehen nun erneut in den Kampf, um dem IS unter dessen selbsternannten Kalifen al-Baghdadi auch in Saudi-Arabien zum Erfolg zu verhelfen. Um dieser ideologischen Bedrohung zu begegnen, beschlossen die Saudis und einige ihrer Nachbarn, sich trotz innenpolitischer Kritik von konservativen Kräften der militärischen Intervention der Amerikaner gegen den IS anzuschließen.
Gemeinsamer Kampf um den Erhalt des sunnitisch-monarchischen Status-quo
Zuckerbrot und Peitsche – so lässt sich das Herrschaftsprinzip des saudischen Königreichs zusammenfassen. Während das Volk mit wahhabitischer Ideologie sowie Geldgeschenken aus den bis dato scheinbar unendlichen Ölreserven ruhig gestellt wird, drohen auf jede noch so rational geäußerte Kritik harte Strafen: Gefängnis, Folter, öffentliche Auspeitschungen oder gar die Todesstrafe, brutal ausgeführt durch Steinigung oder Erhängung. Das Königshaus ist nicht zimperlich, wenn es seine Macht in Gefahr sieht.
Dennoch sind auch repressive Herrscher auf die Hilfe anderer angewiesen. Der neue saudische König und seine Riege an neuen Spitzenpolitikern wissen daher auch um die Notwendigkeit eines starken Golfbündnisses, um den Gefahren für den zukünftigen Machterhalt des Königshauses zu begegnen.
Das saudische Modell der Herrschaftssicherung funktioniert bisweilen, allerdings nicht uneingeschränkt. Auch die anderen Herrscherhäuser am Golf sind sich den Bedrohungen von außen bewusst. Sie alle wissen: Nur durch Kooperation können sie sich gegen Neuerungen wehren und damit langfristig das Überleben des sunnitisch-monarchischen Modells sichern.