„All Sizes All Conflicts“ – Mit diesem Slogan warb das Berliner Modelabel WARWEAR für mit den Flaggen von Kriegsparteien bedruckte Pullover. Ein Sturm der Kritik brach los, die Online- Auftritte wurden innerhalb weniger Stunden vom Netz genommen. Was wir von den Fehlern dieses Start-Ups lernen können, verrät Kolumnistin Moshtari Hilal.
Instagram-Post von @wearwarwear, mittlerweile wurden alle Social Media-Konten von WARWEAR deaktiviert. Bild: Screenshot.
Mitte April stelle ich frühmorgens mit Erstaunen fest, dass es seit einigen Monaten ein Berliner Start-Up gibt, das Ware verkauft, welche man mit etwas gutem Willen als Konflikt-Pullover bezeichnen könnte. Unter dem Namen WARWEAR, also Kriegsbekleidung, werden ausschließlich graue Sweatshirts angeboten, auf deren Vorderseite Nationalflaggen verschiedener Kriegsparteien prangen. Zur Auswahl stehen Palästina gegen Israel, die Türkei gegen Kurdistan, Indien gegen Großbritannien oder Russland gegen die USA. Die Flaggen sind einander gegenüber gestellt wie die Flaggen verschiedener Nationen oder Sportmannschaften bei Wettkämpfen, Olympia oder der Fußball-WM etwa. Halten diese jungen Berliner Unternehmer*innen Kriege für Wettkämpfe? Das ist die erste Frage, die mir durch den Kopf geht.
Das Label warb mit dem Slogan „All Sizes All Conflicts”. Auch kundenindividuelle Pullover, also Konflikte auf Wunsch, finden sich im Angebot. In einem der Kommentare auf Instagram wird WARWEAR gefragt, warum sie als deutsches Label ausschließlich Kriege anderer Nationen bewerben. Was ist mit den deutschen Kriegen? Warum gibt es die Paarung Deutschland gegen Polen oder Deutschland gegen die Alliierten nicht? Ginge das dann zu weit?
Onlineshop auf der Website von WARWEAR. Die Website ist mittlerweile offline. Bild: Screenshot
Im Netzwerk von WARWEAR auf Instagram fanden sich unter anderem einflussreiche Blogger*innen der deutschen Modeszene, Galerist*innen, deutsche Rapper und bekannte Gesichter der kreativen Szene Berlins. Wie kann es sein, dass all diesen Menschen monatelang die Morbidität und Ignoranz dieser Idee nicht aufgefallen ist? Wie politisch naiv sind Berliner Hipster und Kreative? Oder anders gefragt: Wie segregiert und isoliert sind ihre Kreise, dass ihnen kein Palästinenser, keine Kurdin oder anders biografisch betroffene Menschen von dieser Idee hätten abraten können? Die Frage Warum war niemand da, dem aufgefallen wäre, wie dumm und menschenverachtend, rassistisch oder sexistisch diese Idee ist? stellt sich nicht nur hier, sondern stand auch im Raum als Pepsi mit Kendall Jenner die Black-Lives-Matter Bewegung karikierte, H&M einen schwarzen Jungen in einen Pullover mit rassistischer Konnotation steckte oder als Dandy Diary, ebenfalls in Berlin, mit der Exotisierung und Sexualisierung asiatischer Frauen für ein Event in der König Galerie mit dem Versprechen auf eine Massage mit „Happy End“ warb.
Liegt es vielleicht daran, dass die Teams und Veranstalter hinter diesen Projekten so homogen, so weiß, oder sogar rein männlich und weiß sind, dass sie keine anderen Perspektiven kennen? Ein wenig machtkritisches Bewusstsein, ein Hauch Selbstreflexion und ein diverses Arbeitsumfeld hätten vielleicht dem einen oder anderen Unternehmen die Peinlichkeit erspart. Spätestens seit dem Aktiensturz bei H&M ist bekannt, dass Rassismus und weiße Ignoranz gegenüber anderen Körpern und Identitäten nicht rentabel sind. Auch das Label WARWEAR hätte sich die Produktionskosten sparen können, wäre da nicht das ungerechtfertigte Selbstbewusstsein und die ungehemmte Selbstgefälligkeit junger weißer Start-Ups gewesen.
Was hat sich WAR WEAR eigentlich dabei gedacht?
Ein Blick in den pseudophilosophischen Grundlagentext des Modelabels verstärkt diesen ersten Eindruck. Verantwortlich hierfür war die Nachwuchsjournalistin Paulina Czienskowski, unter anderem aktiv für Zeit, Welt am Sonntag, FAS oder das junge Format das Wetter. Dort heißt es: „Länder, Regionen, Nationen – im Krieg gegeneinander. Ihre einzige Gemeinsamkeit: Der Konflikt.“ WARWEAR sei ein Start-Up, dass zusammen bringe, was nicht zusammengehört: „Vereint auf einem Stück Stoff, prangen Flaggen zweier Gegner ungeniert nebeneinander. Eine Bewusstmachung, plakativ, in der Mitte unserer Brust – ohne Worte, ohne Erklärung.” Das graue Sweatshirt deutscher Hipster als neutraler Boden für die Mediation zwischen zerstrittenen Ländern? Wenngleich von Bewusstmachung schwer die Rede sein kann, gesteht sich das Projekt zumindest die Abwesenheit von tatsächlicher Information ein. Vielmehr sei der Pullover „Projektionsfläche” und „vollkommen wertfrei”. Es heißt sogar „Mit WARWEAR solidarisiert man sich mit beiden Konfliktpartnern gleichermassen”.
Instagram-Post von @wearwarwear, mittlerweile wurden alle Social Media-Konten von WARWEAR deaktiviert. Bild: Screenshot.
Der Drang nach Universalismus dieser uninformierten und doch selbstbewussten Journalistin ist exemplarisch für so viele Start-Ups und Texte dieser „Szene“. Er steht für einen Typus junge*r Europäer*innen, der sich intellektuell dazu befähigt sieht, zu jedem und allem zu sprechen. An der Stelle von Recherche oder gelebter Erfahrung stehen leere humanistische und aufklärerische Worthülsen. So spielt es für die universalistische Solidarität von WARWEAR keine Rolle, dass Großbritannien mit der Unterstützung seiner Bevölkerung andere Länder wie Indien kolonisiert, ausgebeutet und rassifiziert hat. WARWEAR bringt Ausbeuter und Ausgebeutete zusammen, WARWEAR ist wertfrei. Ebenso werden die unter der Besatzung lebenden Palästinenser*innen und ihr bei weitem materiell unterlegener Widerstand mit dem Militärstaat Israel gleichgesetzt.
Doch der graue Pullover von WARWEAR und das naive Pathos von Czienskowski bringen zusammen, was nicht zusammengehört. So etwa auch den ethnonationalistischen Staat der Türkei und die unterdrückte kurdische Minderheit. Zwar wird den Kurd*innen kein eigener Staat gewährt, aber auf die Pullover von WARWEAR schafft es sogar die kurdische Flagge, wenngleich es die Flagge der nordirakischen Autonomieregion ist. Machtgefälle, regionale Unterschiede oder Tatsachen spielen für WARWEAR keine Rolle. Denn Start-Ups müssen hot, hip und edgy sein. Da bleibt kein Platz für Solidarität mit den Unterdrückten, kein Raum für Komplexität und kein Design, das die Anerkennung von asymmetrischer Kriegsführung, von Genoziden oder kolonialer Ausbeutung erlaubt. Denn bei WARWEAR ist Krieg schlicht Krieg und jeder Konflikt gleicht dem anderen.
Das Finale: Sie stapeln hoch und sollen tief fallen.
Nachdem ich an dem besagten Morgen mit Entsetzen meine sozialen Netzwerke über dieses Label in Kenntnis gesetzt hatte, verschwanden die Online-Auftritte des Start-Ups nach nur wenigen Stunden. Kaum 200 Kommentare auf Instagram haben gereicht, um das Label in seiner Existenzberechtigung zu erschüttern. Warum schreibe ich also diesen Text über ein Start-Up, das es nicht mehr gibt? WARWEAR ist kein Einzelfall und doch in seinem vorhersehbaren Fall und seiner plakativen Ignoranz ein so anschauliches Exempel für die politische Naivität weißer Start-Ups. In seinem ersten Statement – es sollte das einzige bleiben – versuchte WARWEAR, seine Kritiker*innen damit zu beschwichtigen, dass die Einnahmen an die Kriegsopfer gespendet würden. Welche der vielen Opfer, welcher der vielen Kriege?
Eine Antwort bot das Label nicht, sondern ging offline, bis heute. Die jungen weißen Unternehmer*innen sollten nicht dem Glauben überlassen werden, dass das Spenden an Betroffene einen Ausweg aus der moralischen und politischen Verantwortung böte. Weder kulturelle Aneignung, rassistische Bildsprache, noch die Vermarktung des Leid der anderen wird legitim, weil man einen geringen Teil seiner Einnahmen einer kleinen betroffenen Gruppe überlässt. Auch die Kritik an der Idee bringt ihr so nicht zum Verstummen, denn Spenden sind kein Schweigegeld.
Kommentare auf dem Instagram-Profil von @wearwarwear, mittlerweile wurden alle Social Media-Konten von WARWEAR deaktiviert. Bild: Screenshot.